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Ein Beispiel aus dem Führungsalltag

Doch wie funktioniert das Coachen in der Praxis? Das sei an einem Beispiel beschrieben. Angenommen ein noch junger und recht unerfahrener Key-Acounter eines IT-Dienstleisters hat den ersten Gesprächstermin beim kaufmännischen Leiter eines mittelständischen Unternehmens und ist im Vorfeld des Gesprächs unsicher, weil er von seinem Vorgänger weiß: Herr Mayer ist „etwas eigen und schwierig zu handeln“ – nicht nur weil er an die LieferantInnen und DienstleisterInnen seines Unternehmens sehr hohe Anforderungen stellt, sondern auch, weil er weiß: Unser Unternehmen ist für viele IT-DienstleisterInnen ein attraktiver Kunde.

Wie lief nun das klassische Vorgespräch zwischen dem KundInnenbetreuer und seinem Vorgesetzten ab? Die Führungskraft sagte zu dem KundInnenbetreuer: „Also, bei Herrn Mayer müssen Sie auf folgende Punkte achten: 1. …. 2. …. 3. …. Und am besten gehen Sie so vor, dass Sie zunächst …. Danach …. Und dann ….“ Die Führungskraft agierte also weitgehend mit Anweisungen und gab dem jungen Mitarbeiter zahlreiche Tipps (Anleiten), wie er sich im KundInnenkontakt verhalten soll.

Ganz anders agiert eine Führungskraft, die sich auch als Coach ihrer MitarbeiterInnen versteht. Sie würde den Mitarbeiter im Vorgespräch zum Beispiel zunächst fragen:
Führungskraft (F): „Mit welchen Gefühlen fahren Sie zu dem Kunden?“
Mitarbeiter (M): „Ich bin ziemlich unsicher und nervös.“
F: „Was bewegt Sie, wenn Sie an den Termin denken?“
M: „Ich befürchte, Herr Mayer nimmt mich als jungen Berater nicht ernst und …“
F: „Hatten Sie diese Befürchtung schon mal in Ihrer Laufbahn als Verkäufer?“
M: „Ja, als ich nach meiner Ausbildung erstmals alleine ein Beratungsgespräch mit dem Inhaber eines Ingenieurbüros führte – doch am Schluss habe ich ihm eine neue Computeranlage verkauft.“
F: „Toll. Was haben Sie gemacht, damit das Gespräch trotz Ihrer Nervosität erfolgreich war?“
M: „Ich habe mich auf das Gespräch gut vorbereitet. Und im Gespräch fand ich schnell einen Draht zum Kunden, so dass ich innerlich ruhiger wurde.“
F: „Und wie fanden Sie einen Draht zum Kunden?“
M: „Indem ich dem Kunden zunächst einige persönliche sowie auf sein Unternehmen bezogene Fragen stellte, die ich mir im Vorfeld überlegt hatte, und ihn zunächst einmal erzählen ließ.“
F: „Und welche Rolle spielte in diesem Gespräch Ihre jugendliches Alter?“
M: „Im Prinzip keine, da ich sehr gut vorbereitet war und …. Eigentlich war mein Alter zu Beginn eher für mich als für den Kunden ein Problem.“

Eine Führungskraft, die als Coach agiert, präsentiert ihren MitarbeiterInnen also keine fertigen Lösungen.

Sie führt ihnen vielmehr mittels Fragen an den Punkt, dass sie zum Beispiel selbst erkennen, was die möglichen Ursachen ihrer Unsicherheit sind und wie sie in einer anderen Situation diese meisterte.

Und erst dann beginnt sie mit ihnen eine Strategie für das anstehende KundInnengespräch zu entwerfen – und zwar indem sie den BeraterInnen erneut Fragen stellt. So könnte das Gespräch zum Beispiel weitergehen:

F: „Wenn Sie sich die Situation damals bei Ihrem Gespräch mit dem Inhaber des Ingenieurbüros nochmals vor Augen führen, was bräuchten Sie dann im Gespräch mit Herrn Mayer, um in ihm souverän zu agieren?“
M: „Eine gewisse Erstinformation darüber, wie Herr Mayer ‚tickt’?“
F: „Die kann ich Ihnen geben oder Ihr Vorgänger. Was noch?“
M: „Noch einige kundenspezifische Eingangsfragen, um Herrn Mayer erst mal zum Reden zu bringen, damit ich ein Gespür für ihn entwickeln kann.“
F: „Okay, und was noch?“
M: „Vielleicht zwei, drei ausgewählte Produkte beziehungsweise Lösungsvorschläge, die für sein Unternehmen passen könnten, nebst einer kundenspezifischen Nutzenargumentation, die ich ihm abhängig vom Gesprächsverlauf präsentieren könnte.“
F: „Und mit welchem Ziel gehen Sie in das Gespräch – außer souverän zu wirken?“
M: „… mit ihm einen Wartungsvertrag für seine Computeranlage abzuschließen.“
F: „Es freut mich, dass Sie so umsatz- und ertragsorientiert denken. Aber sind Sie sicher, dass Sie dieses Ziel bei einem Kunden wie Herrn Mayer, der Sie noch nicht kennt, erreichen?“
M: „Schön wär’s. Aber sicher bin ich nicht. Vielleicht sollte ich noch ein weniger anspruchsvolles alternatives Ziel formulieren.“
F: „Welches könnte dies sein?“
M: „Zum Beispiel, dass Herr Mayer mit mir nach dem wechselseitigen Kennenlernen einen Folgetermin vereinbart, bei dem wir dann ….“
F: „Was wäre der Vorteil davon?“
M: „Ich würde gelassener in das Gespräch gehen und könnte mich stärker auf mein Gegenüber konzentrieren, als wenn ich permanent im Hinterkopf habe ‚Ich muss einen Abschluss erzielen’. Und ich vermeide die Gefahr, dass ich die Beziehung zum Kunden gefährde, weil ich zu stark auf einen Abschluss zusteuere.“
F: „Und wenn es dann trotzdem mit dem Abschluss klappt, ist es spitze. Aber es muss nicht sein, weil das Wichtigste zunächst ist, dass Herr Mayer eine Beziehung zu ihnen entwickelt.“

EXTRA: 7 Coaching-Stolpersteine und wie du sie aus dem Weg räumst

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Uwe Reusche

Uwe Reusche ist einer der beiden Geschäftsführer des ifsm Institut für Salesmanagement, Urbar (Tel.: 0261/962 3641; info@ifsm-online.com), das unter anderem offene und firmeninterne Weiterbildungen zum Sales-Coach durchführt.

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