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Während die meisten von uns gerne davon überzeugt sind, ihr Urteil wäre differenziert und rational, zeigt die Wissenschaft längst: falsch gedacht.

Rund 90 Prozent unserer Entscheidungen treffen wir schnell und intuitiv, aus dem Bauch heraus.

Dabei verlassen wir uns auf Erfahrungen, Faustregeln (Heuristiken) und Annahmen, so dass unbewusste Vorurteile (unconscious bias = Wahrnehmungsverzerrungen) und Stereotype unsere Einschätzung trüben. Aus Sicht der Evolution war das trotzdem eine wirklich gute Idee. Wenn schon ein Kumpel von einem Säbelzahntiger gefressen wurde, frage ich besser nicht lange nach, wenn eine große Katze schnell auf mich zuläuft.

Auch heute rettet uns dieses Verhalten durch den Tag. Stell dir vor, du müsstest dich jedes Mal auf dem Weg ins Büro völlig neu orientieren. Du wüsstest bei Terminen nicht, wohin du dich setzen sollst, weil vier Beine und eine Lehne als Indiz nicht reichen. Du wärst nicht in der Lage, Dinge des täglichen Lebens zu erkennen, weil du sie nicht einordnen könntest. Nur weil wir Dinge kategorisieren und die allermeisten Informationen schlicht ignorieren, kommen wir im Alltag zurecht. Wir haben etwas schon mal gesehen, etwas anderes sieht so ähnlich aus. Dann werden die Sachen wohl übereinstimmen. Apfel ist Apfel, Birne ist Birne. Haben wir eine gegessen, bestimmt das unsere Erwartungen für zukünftige – und ob wir überhaupt noch welche anfassen.

Wer uns nicht vertraut ist, landet in einer Schublade

Vorbehalte und Vorurteile haben wir besonders Menschen gegenüber, die uns weniger vertraut sind und mit denen wir nicht viel gemeinsam haben. Dann nutzen wir Schubladen und machen sie tendenziell immer kleiner. Egal was wir mit ihnen erleben, es wird als typisch wahrgenommen. Wer sich einmal verspätet, ist jemand, der zu spät kommt. Wer einmal aufbegehrt, ist ein Mensch der Konflikte sucht. Dass eventuell der Fahrstuhl stecken blieb oder die Situation speziell oder unfair war, solche Details ignorieren wir.

Das liegt vor allem daran, dass wir nicht alle Informationen gleich bewerten. So fallen uns eher Dinge auf, die unsere Überzeugung stützen. Wir können uns auch besser an sie erinnern. Und zu allem Überfluss interpretieren wir das Geschehen unbewusst auch noch so, dass es in unser Weltbild passt. Das führt dazu, dass sich Stereotype entwickeln (und eisern halten!), die besagen wie klug, qualifiziert und vertrauenswürdig unterschiedliche Menschen sind. Wie sie sich nach unserer Meinung üblicherweise verhalten oder verhalten sollten.

Unser Hirn braucht Hilfe: 4 Tipps

Für faire und qualifizierte Entscheidungen, braucht unser Gehirn Hilfe. Strukturen, die Vergleichbarkeit gewährleisten. Stolpersteine, die einen Automatismus unterbrechen. Ein Sicherheitsnetz, das uns in Situationen auffängt, in denen wir leicht Fehleinschätzungen erliegen.

Nur wenn wir aktiv gegensteuern, können wir verhindern, dass unser Verstand eine Abkürzung nimmt und eine schnelle, aber ungerechte Einschätzung trifft.

Ein Beispiel gefällig? In einigen Situationen verlassen wir uns besonders gerne auf unsere Intuition: Bei zu vielen Information oder wenn uns welche fehlen, wenn die Zeit knapp ist oder wir überlastet sind. Dann helfen die folgenden Empfehlungen für qualifiziertere Entscheidungen:

1. Wir haben zu viele Informationen

Statt sich von der Informationsflut überwältigen zu lassen, lohnt sich ein Schritt zurück. Welche Informationen sind im aktuellen Kontext tatsächlich relevant? Was sind die wesentlichen Entscheidungskriterien? So können wir uns auf das fokussieren, was wirklich zählt.

2. Wir haben kein vollständiges Bild

Wenn relevante Informationen fehlen, füllen wir die Lücken. Wir generalisieren und verlassen uns auf Stereotype und die eigene Interpretation. Stattdessen gilt es zu hinterfragen, was wir tatsächlich wissen bzw. nur vermuten. Was fehlt und wie lassen sich diese Daten beschaffen?

3. Wir haben zu wenig Zeit

Gestresst oder müde? Das schafft fast optimale Bedingungen, damit Stereotype und Annahmen uns beeinflussen. Wichtige Entscheidungen sollte man daher lieber mit frischem Kopf angehen. Auch der eigene Biorhythmus beeinflusst die Entscheidungsqualität. Ob du lieber früh aufstehst oder eine Nachteule bist – berücksichtige persönliche Präferenzen.

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4. Uns platzt fast der Kopf

Wenn zu viel anliegt, bemüht sich das Gehirn Ressourcen zu schonen. Wir verlassen uns auf unsere Instinkte und ignorieren, was uns aufhalten könnte. Um sich in solchen Situationen zu fokussieren, helfen Notizen. Schreib dir auf, was dir wichtig ist. Das hilft bei der Konzentration.

Leg dir einen Fahrplan zurecht und halte dich dran

Ein weiteres hilfreiches Instrument sind Checklisten. Sie haben in den letzten Jahren einen Siegeszug durch immer mehr Branchen angetreten, denn sie greifen eine verbreitete Schwierigkeit auf. In der Vergangenheit ist die Lösung eines Problems oft daran gescheitert, dass wir nicht das erforderliche Wissen oder die notwendigen Informationen hatten. Heute ist mangelnde Information ganz oft die geringste Sorge. Stattdessen gilt es angesichts einer überwältigenden Flut von Daten und Eindrücken nicht die Orientierung zu verlieren.

Persönliche Checklisten lohnen sich vor allem dort, wo ich gerne Abkürzungen nehme. Wo ich schon erlebt habe, dass sich Fehler oder Ungerechtigkeiten eingeschlichen haben, oder ich den Gedanken zumindest nicht ganz vermeiden kann.

In der Baubranche kommt bei der Zusammenführung verschiedener Gewerke ein „Clash Detective“ zum Einsatz. Das ist eine Software, die überprüft, wo sich Probleme ergeben und die Verantwortlichen daher genauer hinsehen und sie adressieren müssen.

Checklisten geben dir die Möglichkeit, deinen persönlichen „Detektiv für Zusammenstöße“ zu entwickeln.

Hierfür überlegst du dir vorher, wann sich Fehler einschleichen, wann deine Handlungen eventuell mit deinen Werten kollidieren – bei welchen Gelegenheiten, bei welchen Menschen. Dann planst du einen Stopp ein, ein Innehalten, um nicht blind in eine Situation zu stolpern, sondern sie überlegt anzugehen. Notiere dir, wonach du Ausschau halten willst:

  • Was sind deine Trigger?
  • Was beeinflusst dein Verhalten?
  • Welche Informationen interpretierst du eventuell falsch?
  • Was übersiehst du vielleicht?

Obwohl sie das Leben leichter machen, werden Checklisten oft müde belächelt. „Ich kann das auch so“ oder „Ich habe Erfahrung“, denkt man dann. Wer das glaubt, könnte sich Flugkapitän Chesley B. Sullenberger III zum Vorbild nehmen – Sully, den Held vom Hudson. Er hatte 20.000 Stunden Flugerfahrung. Aber als man nach der Notwasserung den Voice-Rekorder aus dem Cockpit auswertete, hörte man darauf ihn und seinen Co-Pilot, wie sie systematisch ihre Checkliste durchgehen.

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Veronika Hucke

Veronika Hucke war fast 20 Jahre in Führungs-positionen für Kommunikation und Markenführung bekannter Unternehmen tätig, bevor sie bei Philips in Amsterdam die weltweite Verantwortung für Vielfalt und Chancengleichheit übernahm. Heute unterstützt sie als Beraterin Konzerne rund um die Welt, ebenso wie die UNO in Fragen zu Diversity und Inclusion (D&I).

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One Comment

  • Dr. Oliver Mattmann sagt:

    Herzlichen Dank für den interessanten Beitrag!
    Ich unterscheide gerne zwischen der bewussten und unbewussten Wahrnehmung. Alles, was wir mit dem Bauchgefühl entscheiden, geschieht eher unbewusst. Täglich verarbeitet der Mensch über 100’000 Informationsimpulse. Davon nehmen wir bloss drei Prozent bewusst auf. So können Vorurteile entstehen. Das heisst, es liegt jeden Tag an uns selbst zu entscheiden, mit welchen Vorurteilen wir durchs Leben gehen. Werden dabei negative Vorurteile präferiert, kann dies in eine negative Einstellung resultieren, d.h. ein mentaler Zustand im Langzeitgedächtnis, welcher das Verhalten und die Gefühle beeinflusst. Durch die bewusste Wahrnehmung kann allerdings ein positiver Führungs- und Lebensstil entwickelt werden. Die Erkenntnis ist daher meiner Meinung nach entscheidend.

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