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Ein Ausbluten der Organisation verhindern

Bei Firmenübernahmen machen sich die neuen Eigner im Vorfeld oft wenig Gedanken darüber, was daraus für das Management des akquirierten Unternehmens folgt. Anders ist dies bei dessen Top-Executives. Bei ihnen beginnt, sobald die mögliche Übernahme publik wird, das Gedankenkarussell zu kreisen: Was bedeutet die mögliche Übernahme für mein Unternehmen? Und damit unlösbar verbunden ist die Frage: Was heißt das für meine berufliche Zukunft? Verliere ich meinen Job? Und wenn nein, wie sieht dann mein künftiges Stellenprofil aus? Welche Entscheidungs- und Gestaltungsmacht habe ich noch? Und welche Karrierechancen habe ich unter den neuen „Herren“?

Entsprechend schnell sind in solchen Phasen der Ungewissheit die Leistungs- und Know-how-Träger zu einem Arbeitgeberwechsel bereit. Das wissen auch die Mitbewerber. Also buhlen sie verstärkt um die Personen, die bei dem Übernahme-Kandidaten Schlüsselpositionen innehaben – zum Beispiel, weil sie sich von deren Know-how oder Kontakten einen Gewinn versprechen. Auch deshalb sollten Organisationen, die ein anderes Unternehmen erwerben möchten, im Rahmen der Due-Diligence-Prüfung analysieren: Welche Fähigkeiten brauchen wir zum Erreichen der Ziele unseres Invests? Denn nur dann können sie rasch die für den Erfolg der Übernahme wichtigen Führungskräfte, aber auch Spezialisten und Teams identifizieren und an diese das Signal senden „Wir brauchen euch“.

Kernfrage: Welchem Ziel dient die Akquisition?

Doch wie sollte ein Unternehmen bei einer Leadership-Due-Diligence-Prüfung vorgehen? Zunächst muss es klar definieren: Was wollen wir mit der Übernahme erreichen? Die Antwort kann zum Beispiel lauten:
Wir wollen uns Zugang zu Know-how verschaffen, das unserer Organisation fehlt. Oder:
Wir wollen uns neue Kundengruppen und Marktsegmente erschließen. Oder:
Wir wollen durch die Übernahme Skaleneffekte erzielen und unsere Lohn-Stück-Kosten senken.

Das Akquise-Ziel exakt zu definieren, ist unter anderem wichtig, weil sich hieraus zum Teil die Antworten auf folgende Fragen ergeben: Welche Bereiche im Unternehmen und welche der dort vorhandenen Kompetenzen sind für den Erfolg der Akquisition unabdingbar? Und: Welche Struktur und Kultur muss die übernommene Organisation künftig haben, damit wir unsere Ziele erreichen?

Die Antworten auf diese Fragen wirken sich wiederum auf die Personalentscheidungen aus. Erneut zwei Beispiele. Angenommen ein Unternehmen erwirbt ein anderes vor allem, weil dieses in der Produktentwicklung innovativer als die eigene Organisation ist. Dann stellt häufig der Forschungs- und Entwicklungsbereich des übernommenen Unternehmens das Filetstück dar, das bei der Übernahme auf keinen Fall zu Schaden kommen darf. Also sollte bei der Übernahme darauf geachtet werden, dass in diesem Bereich weitgehend die Kontinuität gewahrt bleibt – und zwar nicht nur auf der kulturellen und strukturellen Ebene, sondern auch bei der Führung. Sonst ist die Gefahr groß, dass das zerstört wird, was das Unternehmen attraktiv macht.

Anders ist die Situation, wenn ein Unternehmen einen Mitbewerber primär erwirbt, um seinen Marktanteil auszubauen und sich Zugang zu neuen Kundengruppen zu verschaffen. Dann ist es vor allem an dessen Kunden und Absatzwegen interessiert. Bei solchen Deals ist es meist sinnvoll, das gekaufte Unternehmen strukturell und kulturell soweit möglich in die eigene Organisation zu integrieren. Oder anders formuliert, es faktisch zu „schlucken“ – selbst wenn nach draußen ein „merger of equals“ verkündet wird. Bei solchen Mergers wird meist das Top-Management weitgehend ausgetauscht – auch weil es den Alphatieren auf der Top-Ebene in der Regel schwer fällt, ins Glied zurück zu treten.

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Dr. Georg Kraus

Dr. Georg Kraus ist geschäftsführender Gesellschafter der Unternehmensberatung Dr. Kraus & Partner, Bruchsal, für die fast 50 Trainer, Berater und Coachs arbeiten. Der diplomierte Wirtschaftsingenieur promovierte an der TH Karlsruhe zum Thema Projektmanagement. Er ist Autor des Change Management Handbuch sowie zahlreicher Projektmanagement-Bücher. Seit 1994 ist er zudem Lehrbeauftragter an der Universität Karlsruhe, der IAE in Aix-en-provence und der technischen Universität Clausthal.

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