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Scott Chacon befasst sich in diesem Gastbeitrag mit einem Datensatz von über 670.000 Teilnehmern, der letztes Jahr in der Zeitschrift Cognition mit dem Titel „A Critical Period for Second Language Acquisition“ veröffentlicht wurde. In diesem Paper wurden Daten – erhoben durch ein Facebook-Quiz – zusammengefasst, um neue Erkenntnisse darüber zu gewinnen, wie Menschen Sprache lernen und welchen Einfluss das Alter auf diesen Prozess hat.

Lernen Kinder Sprachen wirklich schneller?

Wenn man als Kind 5 Stunden am Tag in einer englischsprachigen Schule sitzt und ein Elternteil aus Zeitmangel lediglich eine Stunde am Tag die gleiche Sprache lernt, ist es dann fair anzunehmen, dass Kinder besser lernen als Erwachsene?

Forscher des Massachusetts Institute of Technology (MIT) haben festgestellt, dass, wenn man eine Sprache vor dem 18. Lebensjahr erlernt, eine viel größere Wahrscheinlichkeit besteht, ein muttersprachliches Niveau für Grammatik- und Sprachgefühl, zu erreichen, als wenn man später anfängt. Das Alter von 18 ist ein viel höheres Alter ist als bislang angenommen.

Die Daten zeigen, dass Erwachsene jeden Alters das Beherrschen einer Sprache fast so schnell erlangen können wie Kinder.

Leider haben einige Journalisten das Paper der MIT-Studie falsch interpretiert, was dazu geführt hat, dass viele Artikel fälschlicherweise den Eindruck vermitteln, dass „eine neue Sprache fließend sprechen“ unmöglich sei, obwohl das Gegenteil belegt wird.

“Spätlerner” können sehr wohl eine Sprache auf Muttersprachler-Niveau erlernen

Natürlich ist es von Vorteil, eine Sprache so früh wie möglich zu erleben, zu erfahren und zu erlernen, um sie gut zu beherrschen. In vielen Artikeln wird jedoch behauptet, dass es unmöglich sei, ein muttersprachliches Niveau zu erlangen, wenn man älter als 10 (oder 18, je nach Artikel) ist, aber ist das wahr? Sicherlich hat der Spätlerner im Durchschnitt weniger Zeit, aber ist es tatsächlich unmöglich?

Die Daten sagen uns, dass dies nicht der Fall ist. Im Durchschnitt ist es zwar unwahrscheinlicher, dennoch gibt es Tausende von Teilnehmern in diesem Datensatz (> 20 Jahre), die an diesem Quiz teilgenommen haben und eine Punktzahl im Bereich eines Muttersprachlers (Punktzahl über 90 Prozent) erhalten haben.

Betrachtet man die Ergebnisse des oberen Quartils der Lernenden nach 20 Jahren mit den Medianwerten der anderen Gruppen (diejenigen, die vor 5, vor 10 und vor 20 Jahren mit dem Lernen begonnen haben), sieht man keinen gravierenden Unterschied (siehe Grafik).

Der Vergleichswert muss stimmen

Doch warum sollte man diesen Vergleich anstellen? Es ist nicht wirklich fair, den Median einer Gruppe mit dem Besten einer anderen zu vergleichen, oder? Das Problem hierbei ist, dass es keine Möglichkeit gibt, Äpfel mit Äpfeln in diesem Datensatz zu vergleichen.

Wenn Kinder im Alter von 6 Jahren mit dem „Lernen“ einer Sprache beginnen, setzen sie sich nicht mit einem Buch hin und lernen die Sprache explizit für eine Stunde am Tag. Sie befinden sich mit ziemlicher Sicherheit in einem Klassenzimmer, in dem diese Sprache möglicherweise für mehrere Stunden pro Tag gesprochen wird. Wenn man mit 20 Jahren eine Sprache anfängt zu lernen, ist dies oft nicht der Fall.

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Wie sieht das Lernumfeld aus, wie sind die Lebensumstände?

Einer der Gründe dafür könnte die Veränderung der Lebenssituation im Alter von 16 bis 18 Jahren sein. Meist verändert sich nämlich das Leben der Menschen zu diesem Zeitpunkt grundlegend. Sie gehen nach dem Abitur auf Reisen oder fangen ein Studium an, steigen in die Arbeitswelt ein, ziehen aus dem Elternhaus aus, etc. Daher nimmt die Auseinandersetzung mit einer neu zu erlernenden Sprache ab einem höheren Alter sehr wahrscheinlich ab und ist nicht vergleichbar mit der eines 5-Jährigen.

Es ist durchaus möglich, dass dieser Lernunterschied je nach Alter darauf zurückzuführen ist, dass Erwachsene nicht so viel Zeit haben, sich mit der Sprache so auseinanderzusetzen wie Kinder und oft ein Level erreichen, auf dem sie langsamer und weniger offensichtlich Verbesserungen erreichen. Sie werden fließender im Sprechen, aber eben in einem langsameren Tempo. Es sollte also nicht heißen, dass es für Lernende über 20 schwieriger ist, denn vermutlich sind sie nicht den gleichen Möglichkeiten im alltäglichen Leben ausgesetzt.

Sprachherkunft spielt keine Rolle

Zusätzlich bietet das Paper des MIT einige weitere Erkenntnisse zu den Hintergründen des Tests, der Sprachherkunft und der Dauer eine Sprache zu lernen.

Es ist üblich zu sagen: „Diese Sprache ist schwer zu lernen“ oder „diese Sprache ist so einfach“, aber die Daten weisen daraufhin, dass diese Aussagen wohl falsch sind. Die Ergebnisse zeigen, dass es kaum Unterschiede in der Lerngeschwindigkeit oder im letztendlichen Erlangen der bspw. englischen Sprache gab, egal um welchen sprachlichen Hintergrund es sich handelt.

Die zweite Erkenntnis ist, wie schwierig das angewendete Quiz eigentlich für Muttersprachler ist. Denn selbst für diejenigen, die als Kleinkind mit dem Erlernen der Sprache begonnen haben, dauert es mindestens 7-8 Jahre, bis eine der Gruppen in diesem Test konstant mit über 90 % abschneidet.

Wie lange dauert das Lernen einer Sprache?

Aus persönlicher Erfahrung (Video: 150h Deutsch-Unterricht mit Scott Chacon) kann ich behaupten, dass Menschen neue Sprachen in ein bis zwei Jahren erlernen können – von keinerlei Sprachwissen bis hin zu einem sehr kompetenten, fließenden Sprachlevel.

Das letzte Stück um von fließend-sprechend auf ein Muttersprachler-Niveau aufzusteigen, ist statistisch schwieriger, wie die Studie zeigt, aber wie jede gute 80/20-Regel, brauchen die ersten 80 % der Ergebnisse 20 % der Zeit.

Schlussendlich können Erwachsene sehr wohl sehr gut eine Sprache erlernen. Es mag für uns zwar schwieriger sein uns mit einem Einheimischen zu messen, aber das ist wahrscheinlich nicht der Grund, warum die meisten von uns anfangen, eine Sprache zu lernen, oder? Oft sind es persönliches Interesse, das Verständnis für eine fremde Kultur, der Spaßfaktor an Sprachen oder auch die berufliche Weiterbildung, die uns motivieren.

Scott Chacon

Scott Chacon ist Serial Entrepreneur, aufstrebendes Sprachtalent und Mitgründer des 2008 gegründeten Software-Unternehmens GitHub. Sein neuestes Start-up Chatterbug ist ein Online-Sprachlernsystem, das die Einfachheit eines onlinebasierten Selbststudiums mit der Effektivität von Privatunterricht verbindet.

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