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Bestandsmanagement und Liefertreue, für 69 Prozent der Unternehmen sind dies die wichtigsten Strategien im Supply-Chain-Risikomanagement (PRTM 2010). Wie aber Bestände richtig planen und Liefertermine abschätzen, wenn die Entwicklung der Märkte kaum vorhersehbar ist?

Aufschwung oder zweite Krisenwelle – so euphorisch das aktuelle Konjunkturbarometer steht, so mahnend sind doch viele Expertenstimmen. Absatzprognosen sind entsprechend schwer zu treffen, und von ihnen hängt die gesamte Planung der Produktion ab.

Erschwerend kommt hinzu: in den letzten Jahrzehnten hat sich die Marktmacht verschoben, Anbieter können nicht mehr alles Produzierte absetzen, auch wenn der Vertrieb noch so viel Einsatz zeigt. Stattdessen bestimmen im wachsenden Verdrängungswettbewerb nun die Käufer, was sie zu welchen Preisen und in welcher Menge abnehmen. Das war nicht immer so, und die Fertigungskultur vieler Unternehmen ist zu Zeiten der Anbietermacht entstanden. Deshalb läuft die Produktion oft auf Hochtouren, auch wenn gar keine Aufträge vorliegen, denn jede einzelne Anlage soll möglichst viel produzieren.

Das führt zu einer Abweichung von Produktionsinteresse und Marktinteresse. Es wird immer schwieriger bis unmöglich, die Produktion zu planen und zu steuern. Dabei geht auch der Überblick verloren, welche Chargen dringend sind. Und trotz überhöhter Bestände wird der Lieferrückstand immer größer, an Lieferverzögerungen hat man sich fast schon gewöhnt. Zu viel produzierte Ware wird unverkäuflich und muss abgewertet werden, die Preise fallen.

Der Markt wird von den Käufern bestimmt, und die Absatzentwicklung ist nicht vorhersehbar. Wie lässt sich die Produktion dennoch am Markt ausrichten? Ein paar Überlegungen dazu:

Der Engpass als Steuerungsinstrument

Einige Unternehmen zeigen, wie es anders geht. Sie liefern in führender Qualität, schneller als der Wettbewerb, zu den versprochenen Terminen, mit mindestens zufriedenstellender Marge – und das nicht nur in Krisenzeiten, sondern gerade auch bei Hochkonjunktur. Kurz: sie haben eine marktorientierte Produktion.

Das klingt zunächst einfach, bedeutet aber in vielen Fällen umfangreiche Veränderungen, die Mut und konsequente Umsetzung erfordern. Denn dann geht es gerade nicht mehr darum, auf jeder Anlage eine möglichst hohe Produktivität zu erreichen; eine Herausforderung für manchen Produktionsleiter. Nicht mehr die Produktion, sondern der Markt ist Richtungsgeber. Das bedeutet in erster Linie: es wird nur noch das produziert, wofür ein Kundenauftrag vorliegt, und nichts mehr „auf Halde“. So wird insgesamt meist weniger produziert – nicht immer leicht zu akzeptieren.

Um sicher zu stellen, alle Aufträge zum vereinbarten Liefertermin ausgeführt zu haben, ist es hilfreich, den Engpass der Fertigung zu kennen. So lässt sich die gesamte Produktion an diesem Engpass ausrichten, damit alle Teile eingeplant und zum Termin fertig gestellt werden. Wichtig dabei ist: jede Produktion hat nur einen Engpass innerhalb der gesamten Wertschöpfungskette; an ihm werden alle anderen Fertigungsstufen ausgerichtet. Dieses sogenannte Constraint Management (nach der Theory of Constraints) hat sich in der Praxis als erfolgreich erwiesen, und die notwendigen Schritte sind meist schnell und ohne große Investitionen umsetzbar.

So zum Beispiel bei der Zusage von Lieferterminen: bisher werden dem Kunden meist standardmäßig Lieferfristen benannt, zum Beispiel immer drei Wochen. Manchmal werden sie auch nach der Auslastung der Endmontage festgesetzt; allerdings ist die Endmontage fast nie der Engpass. Folglich führt beides zu Unregelmäßigkeiten in der Einhaltung der Liefertermine, mit entsprechendem Ärger. Beim Constraint Management dagegen wird der Liefertermin an der Kapazität des Engpasses ermittelt, seine Einhaltung wird somit realistisch. Die Unzuverlässigkeit in der Belieferung kann so fast vollständig beseitigt werden.

Engpasstheorie: Die flexible Produktion

Durch die Fokussierung auf den Engpass wird die Produktion wesentlich einfacher steuerbar. So können die Produktionsressourcen auf den vorab geschätzten zukünftigen Bedarf abgestimmt werden, Die Grenzen der Über- oder Unterlastung lassen sich ohne großen Aufwand darstellen, sogar die Unsicherheiten der Vertriebsprognosen können so bis zu einem gewissen Grad kompensiert werden: zum Beispiel wird deutlich, ab welchem minimalen Absatzniveau Kurzarbeit oder Entlassungen notwendig werden, oder auch, ab welcher Auslastung des Engpasses Sonderschichten gefahren werden müssen.

So lässt sich der Bestand mit Blick auf den tatsächlichen Bedarf planen und die Liefertreue verbessern. Obendrein werden auch die Kosten der Produktion gesenkt. In der Praxis fällt es vielen schwer, vom Ehrgeiz der maximalen Produktivität abzurücken. Doch wer bereit ist weniger, aber genau für den Markt zu produzieren, wird sich im Wettbewerb behaupten.

(Bild: © Sean Gladwell – Fotolia.com)

Jürgen Abel

Jürgen Abel ist „Produktionsmann“ durch und durch: seit über 25 Jahren setzt er sich mit dem industriellen Supply Chain Management auseinander. Heute berät er mittelständische Unternehmen bei der Optimierung ihrer Produktion.

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