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Ständiger Stress? So erschwindeln Sie sich Ihren Feierabend! [Kolumne]Manager müssen nicht ständig erreichbar sein. Doch dafür braucht man keine Regeln, sondern gute Ausreden. Ich fand das großartig, als ein bedeutender Manager kürzlich erklärte, er fahre extra nach Chile in die Anden, um für drei Wochen nicht erreichbar zu sein: Für niemanden, nichts und überhaupt. Dass er am hinteren chilenischen Kreuzpfeiler auch keinen Notruf absetzen könnte, wenn er sich den Knöchel verstaucht, ging mir als Gedanke nur so nebenbei durch den Kopf, aber das ging natürlich unter unter diesem revolutionäre Signal gegen die Globalisierung, den Stress, die Urlaubsregelung oder wogegen auch immer.

Es ist ja aber auch ein Kreuz mit dieser globalen Erreichbarkeit, der wir als moderne Führungskräfte ausgesetzt sind: Kaum sind die Amerikaner eingeschlafen, wachen die Japsen auf und rufen einen zur nächsten Schaltkonferenz. Schön wäre es, wenn wir den Amerikanern einfach sagen könnten, sie sollen selber um 4 Uhr aufstehen, aber die US-Boys sind die Weltmacht mit Giftgas und Atombomben, während wir kleinlich rumstreiten über den Euro. Da können wir denen nicht mit vier Uhr morgens kommen. Natürlich hat das ganze einen ernsten Kern: Kürzlich ist in meinem Bekanntenkreis eine Beziehung in die Binsen gegangen, weil der Manager stets um 23 Uhr aus den USA angerufen wurde, wenn es gerade kuschelig wurde mit der Partnerin. Das hält keiner lange aus.

Nicht immer erreichbar – die moderne Folter

Die Volkswagen AG war es, soweit ich mich erinnere, die ihre Führungskräfte dazu verdonnert hat, dass sie ab 18 Uhr nicht mehr ereichbar sein sollen: Kein Smartphone, kein IPad, keine Mails, gar nix. Das soll dazu dienen, dass sich die Führungskräfte besser erholen können. Freilich ist eher unwahrscheinlich, dass die Vorstände von Volkswagen plötzlich besorgt wie Krankenschwestern rumagieren. Der ganze Zirkus dient wohl eher dem Zweck, dass die Vertriebler am nächsten Tag den Kunden erfrischt über den Tisch ziehen können. Als moderne Form der Folter war das Volkswagen-Modell jedoch von vorneherein zum Scheitern verurteilt: Da liegt das Smartphone rum und du darfst nicht draufgucken! Das IPad sendet ein Eingangssignal und du musst dich auf Vorstandsbeschluss hin weiter untätig auf der Couch rumlümmeln. Eins ist klar: Mit Verboten entgehen wir der 24-Stunden-Zeitschleuder ebenso wenig wie mit Türen zumachen, Kissen über die Ohren, Strom ausschalten.

Das moderne Leben liefert uns inzwischen ganz andere Ausreden, die uns vor Meetings und Schaltkonferenzen retten. Hatte früher noch einfach der Hinweis auf die Batterie des Handys oder das Funkloch geholfen, nehmen heute gestrandete ICEs diesen Platz ein. Bei den dutzenden von flächendeckend liegengebliebenen ICEs kann immer einer herhalten, in dem wir angeblich gerade sitzen, wenn irgendwelche Konferenzteilnehmer bereits auf unsere Einwahl warten, wir aber keine Lust haben. Bei liegengebliebenen ICE`s ist das Funknetz erfahrungsgemäß durch Rettungsdienste völlig überlastet, die angeblich die Gestrandeten mit hunderten frischer Trinkflaschen versorgen. So konnten wir – leider, leider – auch nichts von uns hören lassen. Seit kurzem liefert im übrigen Mainz den absoluten Bringer: Verspätet eintreffende Konferenzteilnehmer werden nicht beschimpft, sondern pfleglich umsorgt, wenn sie behaupten, ihr Zug sei entgegen Fahrplan an Mainz vorbeigefahren. Was früher als hilfloser Anfängerscherz gegolten hätte, führt heute nur zu kollegialem Kopfschütteln über die Deutsche Bahn. Die anlaufende Konferenz wird unterbrochen und dem Betroffenen wird Gelegenheit gegeben, wortreich diese moderne Odyssee zu schildern. Im Gegenteil: Wer heute nicht mindestens einmal ungeplant an Mainz vorbeigefahren ist, darf nicht auf die Weihe als globaler Traveller hoffen.

Ausreden: Die andere Leitung

Will man nicht erreichbar sein, obwohl man da ist und unvorsichtigerweise den Telefonhörer gehoben hat, hilft nach wie vor der Klassiker: „Ich habe gerade ein Gespräch auf der anderen Leitung“. Rums, da schaut der andere in die Röhre und wartet, natürlich vergeblich, auf den Rückruf. Ich selber habe noch nie Telefonate auf verschiedenen Leitungen geführt, weil meine Mobilteile und Handys so unkoordiniert in der Wohnung rumliegen, dass ich sie gar nicht finde, wenn es klingelt. Und bis ich überhaupt weiß, wo der Klingelton herkommt, ist es schon zu spät. Ich sehe daher im Traum meine Gegenüber immer vor einem riesigen Panel mit roten und grünen flackernden Lichtern wie in der Straßenbahnzentrale, wo sekündlich Telefonate auf den anderen Leitungen eintreffen, die abgewimmelt werden müssen, so dass der arme Wurm dann überhaupt nicht mehr zum Telefonieren kommt. Natürlich weiß ich, dass der andere gerade keine Lust hat oder in der Badewanne liegt, aber das darf man so offen natürlich nicht sagen, das verstehe ich gut.

Eigentlich ist ja der ganze Telekommunikations-Schnick-Schnack nur erfunden worden, um uns erreichbar zu machen. Offenbar aber hat er dazu geführt, dass unsere ständige Nicht-Erreichbarkeit überhaupt erst offenkundig geworden ist. Die Technik kann man ändern, die Psychologie nicht. Erreichbar zu sein ist ein Zeichen von Schwäche, von Nichtstun. Wer ständig ans Telefon geht, wirkt als armer Stümper, der keine Kunden hat, um die er sich stundein, stundaus kümmern muss. Der Satz „Ich hab es –zigmal versucht bei Ihnen“ ist kein Vorwurf, sondern wie eine Art Adelstitel im Telefonat: Der Mann hat zu tun, der Mann ist wichtig. Abwesenheit ist ein wichtiger Erfolgsfaktor, auch bei den Kohorten von Selbstständigen, die untätig vor sich hin vegetieren und sich freuen könnten, wenn mal jemand anruft. Doch gerade deshalb gehen Sie dann nicht dran.

Vermisste Mails: Das isländische Strudelsystem

Die verschärfte Version der Entschuldigung wird in einen Vorwurf umgemünzt: „Ich habe Ihnen etwas auf dem AB hinterlassen“ oder, noch listiger: „Ich hatte bei Ihrer Sekretärin auf den AB gesprochen“. Das bringt die gegnerische Seite in Not, weil sowohl der AB von der IT-Abteilung überprüft als auch erstmal die Sekretärin zur Rechenschaft gezogen oder gleich die ganze Telefonanlage ausgetauscht und der Abteilungsleiter entlassen wird. Dieses Prinzip lässt sich 1:1 auch auf E-Mails anwenden: „Hatt ich Ihnen vorgestern abend geschickt. Na, ich schick‘ die Mail gleich nochmal, Sie Hornochse, gucken Sie, dass Sie Ihren versifften Laden in den Griff kriegen“.

Das letzte sagt man naturgemäß nicht laut, darf es aber denken. Das gibt einem ein Gefühl von Überlegenheit. Es ist ein gottgleiches Wunder, dass „gleich-nochmal“-geschickte E-Mails zu rund 100 Prozent ankommen, während von den Erstversendungen angeblich rund 50 Prozent wie in einem isländischen Strudelsystem verschwinden. Die Antwort freilich ist einfach: In der Regel sind sie nie verschickt worden. Auch dass wir heute mit so vielen unterschiedlichen Geräten rumlaufen, spielt uns bei Ausreden in die Hände: Stets geeignet ist der Satz: „Das Smartphone stellt die Präsentation jetzt aus irgendeinem Grund nicht richtig dar“ oder „Hier ist jetzt eine Fehlermeldung“. Dabei drücken wir stirnrunzelnd diverse Knöpfe und tun so, als arbeiten wir das Problem IT-technisch gerade auf. Dabei haben wir keine Ahnung von den Knöpfen.

Eins verbietet sich bei all diesen Entschuldigungen und Vertuschungen von selbst: Irgendwann die Wahrheit zu sagen. Die Wahrheit ist grau, langweilig und peinlich: Dass man auf dem Golfplatz war, dass die Freundin die Nacht dann doch da geblieben und die Präsentation nicht fertig geworden ist, das Weinfest, der Wecker – die Realität hat im großen Täuschungstheater der Business-Kommunikation keine Chancen.

Der nächste Hit, da können Sie Hustendrops drauf nehmen, wird sein: „Ich komm nicht rein, die NSA schöpft offenbar gerade meine Daten ab“. Je eher sie ihn benutzen, desto geheimdienst-schnittiger wirken Sie aufs andere Geschlecht. Oder Sie wählen etwas aus wer Wellness-Ecke, etwa den absoluten Bringer: „Ich hatte gestern meinen Abend im Kloster“. Das ist mindestens genauso gut wie der Satz mit der NSA. Da staunen die Japsen und die US-Hedge-Fonds-Boys und die Vorstände. Kloster, das kommt weltweit gut, da kann man nicht gegen an. Kloster klingt nach Inspiration und Kreativität, nach Zielfindung und Ausgleich, das versteht heute jeder. Es ist alles eine Frage des Zeitgeistes. Da dürfen wir auch mal weg sein, einfach so, ohne jede Regel.

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(Bild: © studali – Fotolia.de)

Dr. Klaus-Ulrich Moeller

Dr. Klaus-Ulrich Moeller ist Kommunikationsberater, Kolumnist, Speaker und Autor. Er war PR-Chef bei der Deutschen Lufthansa, der TUI und beim weltweiten Beratungskonzern PricewaterhouseCoopers. Viele Jahre hat er mit Unternehmern im Unternehmernetzwerk Vistage International gearbeitet. Als Journalist schreibt er satirische Kolumnen. Für die Aufdeckung der STERN-Affäre um die gefälschten Hitler-Tagebücher erhielt er den renommierten Theodor-Wolff-Preis. Mehr Informationen unter: www.creative-comm.de.

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