Das Volumen des Coachingmarkts wird stark überschätzt. Davon ist Bernhard Kuntz, Marketingberater für Trainer, Berater und Coachs, überzeugt. Entsprechend wenigen Selbstständigen gelingt es, rein als Coachs ihren Lebensunterhalt zu finanzieren.
Thomas Hönscheid: Herr Kuntz, Sie behaupten das Volumen des Coachingmarkts werde stark überschätzt. Wie gelangen Sie zu dieser Einschätzung?
Bernhard Kuntz: Wenn man zum Beispiel mit Personalverantwortlichen in Unternehmen spricht, dann zeigt sich meist: Die Maßnahmen, die sie als Coachings bezeichnen, sind faktisch individuelle Trainingsmaßnahmen, die darauf abzielen, dass Mitarbeiter ihren Job besser machen.
Thomas Hönscheid: Was ist daran schlimm?
Bernhard Kuntz: Nichts! Weil diese Maßnahmen aber letztlich keine Coachings, sondern Trainings sind, die auch gewisse Coachingelemente enthalten, werden hierfür in der Regel keine reinen Coachs engagiert.
Thomas Hönscheid: Sondern?
Bernhard Kuntz: Zum Beispiel Trainer, die aufgrund ihrer Biografie eine Ahnung vom Vertrieb haben. Oder ehemalige Führungskräfte, die nun als Berater arbeiten, und aufgrund ihrer Führungserfahrung wissen, welche Probleme oft auftauchen, wenn eine Führungskraft eine neue Position übernimmt.
Firmen achten primär auf fachliche Kompetenz
Thomas Hönscheid: Heißt das, die Unternehmen achten primär auf das fachliche Know-how des Coaches oder Beraters und dessen Feld- beziehungsweise Branchenerfahrung?
Bernhard Kuntz: Ja, und auf dessen Persönlichkeit. Denn weil es primär die Funktion eines Coachs ist, Entwicklungsprozesse bei seinem Gegenüber anzustoßen und zu begleiten, braucht er auch eine bestimmte Persönlichkeit – ähnlich wie ein Mentor. Auch hierfür eignet sich nicht jede Führungskraft. Ob der „Entwicklungsbegleiter“ aber eine Coachingausbildung absolviert hat, das ist, so mein Eindruck, den meisten Firmen relativ egal. Sie rundet aus Firmensicht für gewisse Aufgabenstellungen nur das Profil eines Trainers und Beraters ab. Deshalb rate ich Neueinsteigern im Beratungsmarkt oft davon ab, sich als reine Coachs selbstständig zu machen. Denn mit Coaching könnten sie meist nur ein Zubrot verdienen.
Thomas Hönscheid: Gilt das auch für Coachs, deren Zielgruppen primär Privatpersonen, also Selbstzahler sind?
Bernhard Kuntz: Ja, sogar in verschärftem Umfang.
Thomas Hönscheid: Wieso?
Bernhard Kuntz: Weil nur wenige Privatpersonen bereit sind, für eine eineinhalb- bis zweistündige Karriere- oder Work-Life-Balance-Beratung 150 Euro und mehr zu bezahlen. Entsprechend mühsam, zeitaufwändig und werbeintensiv in dieses Geschäft.
Selbstzahler scheuen die Kosten
Thomas Hönscheid: Wieso werbeintensiv?
Bernhard Kuntz: Unter anderem, weil die Coachingaufträge von Privatzahlern unterm Strich betrachtet zumeist Kleinaufträge sind. Das heißt, die Klienten kommen vielleicht vier, fünf Mal und zahlen jeweils 150 Euro pro Sitzung. Danach ist der Auftrag erledigt. Und der Coach? Er muss sich einen neuen Klienten suchen.
Gehen wir nun mal davon aus, ein Coach muss pro Monat einen Umsatz von 6000 Euro erzielen, um seinen Lebensunterhalt zu bestreiten und seine Betriebskosten zu decken. Dann bedeutet dies, wenn er pro Coachingsitzung 150 Euro verlangt: Er muss im Monat 40 Coachings, also bei maximal 20 Arbeitstagen im Monat pro Tag 2 Coachings durchführen. Um auf eine solche Auslastung zu erreichen, muss die Werbe- und Akquisemaschinerie wie geschmiert laufen. Auch weil gerade Newcomer im Markt die Erfahrung sammeln: Von fünf Personen, die sich zum Beispiel per Telefon näher über meine Leistungen informieren, gewinne ich vielleicht einen als Kunden. Der Rest legt, überspitzt formuliert, erschreckt den Hörer auf, wenn ich den Preis nenne.
Thomas Hönscheid: Aber irgendwann sind doch auch Newcomer im Markt etabliert?
Bernhard Kuntz: Sofern sie nicht zuvor wieder vom Markt verschwinden. Denn bis es soweit ist, vergehen in der Regel mindestens drei, zumeist sogar fünf Jahre.
Coachingblase wird platzen
Thomas Hönscheid: Wie beurteilen Sie die weitere Entwicklung des Coachingmarkts?
Bernhard Kuntz: Offen gesagt, ich kann mir den aktuellen Hype nicht erklären. Vor über 20 Jahren, als ich noch Redakteur der Zeitschrift „management & seminar“ war, veröffentlichten wir ein Schwerpunktheft zum Thema Coaching. Denn damals nach dem Wimbeldon-Sieg von Boris Becker poppte das Thema Coaching erstmals auf – in Zusammenhang mit dessen Beziehung zu seinem väterlichen Trainer Günther Bosch. In diesem Heft wurden schon fast alle Themen debattiert, die heute in der Beraterszene in Zusammenhang mit dem Thema Coaching erörtert werden. Damals interessierte das, überspitzt formuliert, niemand. Doch dann zehn, zwölf Jahre später war das Thema Coaching plötzlich in aller Munde. Eine Ursache hierfür war, dass viele Unternehmen erkannten „Wir müssen bei unseren Weiterbildung stärker auf individuelle Fördermaßnahmen setzen“.
Das allein genügt als Erklärung aber nicht. Aus meiner Warte wurde der Hype vor allem durch die Institute verursacht, die Coachs ausbilden, und folglich ein Eigeninteresse daran haben, das Thema Coaching zu puschen. Ich vermute: In drei, vier Jahren wird die „Coachingblase“ wie eine „Börsenblase“ platzen, und im Lebenslauf vieler Berater wird die Coachingausbildung, die sie absolviert haben, nur noch eine Fußnote sein.
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Coaching kämpft einfach mit der Schwammigkeit des Begriffs. Tatsächlich ist Coach kein geschützter Beruf – wer sich unter dieser Bezeichnung herumtreibt, lässt sich als nur für jeden Einzelfall prüfen. Wenn die Blase platzt, dann meines Erachtens nur, weil einfach zu viel unter diesem Begriff läuft, was, wie Hönscheid ganz richtig sagt, überhaupt kein Coaching ist. Vielleicht sogar ein ganz heilsamer Prozess.