Zum Glück sind sie lange vorbei: die Zeiten, in denen es nur die eine „richtige“ Form von Führung gab. Die Welt ist disruptiv und komplex, Unternehmen funktionieren mit völlig individuellen Erfolgsrezepten.
Wer beim Thema Führung in starren Mustern denkt, kommt nicht weit.
Ob strenge Hierarchie oder entspannte Start-up-Mentalität: Jede Kultur birgt Nebenwirkungen – aber auch Vorteile. Doch in Zeiten von Digital Leadership hat ein Führungsmodell klar die Nase vorn.
„Leute, eine gute und eine schlechte Nachricht!“, ruft der Trommler auf der Galeere. „Zuerst die gute: Rum für alle. Jetzt die schlechte: Der Kapitän will Wasserski fahren!“ Was eine römische Galeere mit Leadership zu tun hat, wird deutlich, wenn man sich die Bedingungen auf dem Kriegsschiff genauer anschaut. Wie steht es da um Hierarchie, Motivation und Umgebung? Vergleicht man den getakteten Galeeren-Rhythmus etwa mit der agilen Dynamik eines Segelboots, wird noch deutlicher, wie unterschiedlich ein Unternehmensdampfer unterwegs sein kann.
- Führungskulturen unterscheiden sich durch ihren Vertikalitätsgrad (Hierarchie) sowie in einer entweder starken Menschen- oder Prozessorientierung (Abbildung 1).
Jede Ausprägung bringt Vor- und Nachteile mit. Entscheidend ist daher immer die Frage:
Was will ich als Chef erreichen?
Welches Führungsverhalten eignet sich für welche Situation und Menschen? Häufig ist es sogar nötig, dass der Stil von Situation zu Situation oder von einer Abteilung zur anderen innerhalb eines Unternehmens wechselt. Im hochtourigen Vertrieb geht es sicher anders zu als in der kreativen Forschung und Entwicklung. Folgende Modelle geben einen Überblick.
EXTRA: Situative Führung: So passt du deinen Führungsstil flexibel an
1. Die römische Galeere
Die Führungskultur der „Galeere“ zeichnet sich durch hohe Prozessorientierung und hohe Vertikalität aus. Wo der Trommler die Ruderer in Gleichtakt brachte, sind es heute Stechuhren, Zähler, Prozesse und weitere Instrumente der Leistungsmessung.
Aufgrund der in der Regel monotonen Arbeiten „motivierte“ auf der Galeere stets ein Peitschentreiber die Mannschaft zu Leistung. Heute treten an seine Stelle Akkordlohnsysteme, Zielvorgaben, Boni oder Auszeichnungen. Damit das Schiff überhaupt schwimmt und die Ruderer nicht in Streik treten, braucht es zusätzlich das Wasser als Rahmenbedienung. Nur so bewegt sich das Gefährt nach vorne und die Mitkämpfer bleiben zuverlässig an Bord. Wer will schon allein im Ozean treiben?
In heutigen Zeiten haben Galeeren-Systeme immer potenziellen Nachwuchs im Auge, um Abhängigkeiten zu vermeiden.
Wer schnell ersetzt werden kann, hat schließlich eine deutlich schlechtere Position für überzogene Forderungen.
Mitarbeiter bleiben dann oft aus mangelnden Alternativen. Galeeren-Modelle finden sich auch heute noch, z.B. in Call-Centern, im Versandhandel, in der Systemgastronomie oder an Supermarkt-Kassen.
2. Der erfahrene Bergführer
Im zweiten Modell folgt die Mannschaft dem Kopf der Truppe bereitwillig und ohne angedrohten Peitschenhieb – häufig aus Akzeptanz und Bewunderung für dessen Leistungen und Erfahrungen. Das Modell des „Bergführers“ ist gekennzeichnet durch hohe Menschenorientierung und hohe Vertikalität.
- Ein Bergführer-Chef braucht nicht nur umfangreiches Wissen, sondern auch eine konsistente Führungsart, eine visionäre Kraft sowie vorzeigbare konkrete Erfolgsgeschichten.
Gleichzeitig herrschen in diesem Modell viele unausgesprochene Regeln und Werte, die sich durch gemeinsames (Er-)-Leben entwickelt haben. Solche Unternehmen gewähren ihren Mitarbeitern oft Sicherheit als Gegenleistung für Loyalität. Das System setzt auf eine eher langsame Veränderungsgeschwindigkeit der Umwelt und benötigt eine geringe Veränderungsbereitschaft der Mannschaft.
- Viele mittelständische Produktions-, Handels- und Dienstleistungsorganisationen arbeiten mit dieser Führungskultur.
Oft handelt es sich dabei um Unternehmen, die zum richtigen Zeitpunkt gefragte Produkte oder Dienstleistungen entwickelt haben und damit gewachsen und erfolgreich geworden sind. Darunter fallen zum Beispiel Unternehmen wie Haribo, Ferrero (beide Süßwaren) und Brandt (Zwieback).
3. Rücksichtsvoll in der Kuschelecke
Das Führungsmodell der Kuschelecke (hohe Menschenorientierung und niedrige Vertikalität) findet sich häufig in Unternehmen, bei denen es über eine lange Zeit wirtschaftlich sehr gut läuft. Wer nicht mit der Profitabilität kämpft oder als junges Start-up unterwegs (das anderer Menschen erarbeitetes Geld investiert) ist, bietet häufig die besten „Kuschel“-Bedingungen.
Hier steht der Mensch im Mittelpunkt und die Hierarchien sind flach.
Es versinkt allerdings viel Energie in Trial-and-Error-Prozesse, Selbstverwaltung sowie Abstimmungs- und Ausbildungsprozesse. Ein solches System kann Vorteile haben, aber auch lähmen. Wenn jeder miteinbezogen wird, brauchen Führungskräfte viel Zeit und Geduld.
- Veränderungen dauern lange und lösen schnell Sorgen und Wiederstände aus.
- Es wird alles getan, damit Mitarbeiter zufrieden sind und sich wohlfühlen – nicht selten auf Kosten der Effizienz und Wirtschaftlichkeit.
Die Kuschelecke funktioniert langfristig nur, wenn die Firma von einem sehr profitablen Produkt lebt oder wenig bis gar kein Gewinn abwerfen muss wie etwa Ministerien, Verwaltungen, Universitäten oder NPOs.
4. Das agile Segelboot
Von der Galeere bis zur Kuschelecke – alle Führungsmodelle haben ihre Berechtigung. Wer jedoch in Zeiten von VUCA, New Work und Generation Z als Unternehmen erfolgreich sein will, kommt um das Führungsmodell des „agilen Segelbootes“ nicht herum. Besonders in Businesssituationen, in denen Mitarbeiter proaktiv und mit Engagement am Wandel zu digitalen Geschäftsmodellen mitarbeiten müssen, ist das Segelboot-Betriebssystem die beste Wahl.
Geprägt von niedriger Vertikalität und hoher Prozessoptimierung findet sich der agile Flitzer oft bei Organisationen mit gut qualifizierten und motivierten Mitarbeitern. Diese Struktur passt zu Berufsgruppen wie Anwälten, Ingenieuren oder IT-Experten.
- Sie erwarten Kommunikation auf Augenhöhe, wollen einbezogen werden und ihren Anteil am großen Ganzen leisten.
Wichtig beim Segelboot-Leadership: die Balance zwischen Aufwand und Effizienz. Damit Führung nicht zu individuell gestaltet werden muss, sind Arbeits- und Gedankenmodelle wie z.B. Scrum, Lean Management, Six Sigma oder Working out loud hilfreich – all diese Tools bedürfen einer Ähnlichkeit in der Haltung, der inneren Einstellung und einer gemeinsamen eingeübten und durchgehaltenen Vorgehensweise bei der Arbeit selbst. Hierbei hilft ein klares, einheitliches Wertesystem.
EXTRA: Agile Arbeitsmethoden: Kommen sie auch wirklich zum Einsatz? [Studie]
Gemeinsam auf Erfolgskurs
Damit das agile Segelboot in digitalen Zeiten volle Kraft fahren kann, müssen einige Bedingungen erfüllt sein. Zum einen muss die Mitfahrt für den Einzelnen sinnstiftend sein. Sinn empfindet die Crew, wenn sie ihre eigenen Kenntnisse verbessern, Kunden zufriedenstellen, mit hochqualifizierten Kollegen zusammenarbeiten, eigene Entscheidungen treffen oder Innovationen erzeugen kann. Projektarbeit sorgt dabei für hohe Abwechslung.
Außerdem braucht es Transparenz, ein klares Ziel und Commitment. Die Akteure müssen wissen, wohin die Reise geht, welcher Zielhafen in welchen Etappen angesteuert wird. Sie brauchen Klarheit über ihre eigene Rolle und Aufgabe sowie die der Mitfahrer. Und wo Matrosen einen Schlachtruf verinnerlichen, braucht es im Unternehmen ebenfalls eine innere Selbstverpflichtung für die Route. Apple und Spotify arbeiten z.B. mit diesem Modell.
Unternehmen, die sich mit ihrer Führungskultur beschäftigen, sollten jedoch nie das Ziel haben, mit Gewalt ein bestimmtes Modell verändern oder einführen zu wollen. Vielmehr sollten sie versuchen, anhand des Betriebsumfelds und der Bedürfnisse der Mitarbeiter zu erkennen, welche Kultur in welchem Bereich sinnvoll wäre. Gelingt das, minimiert sich der Führungsaufwand enorm. Gleichzeitig steigt die Zufriedenheit bei den Mitarbeitern, Ressourcen werden optimal genutzt und die Ergebniszahlen wachsen.
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