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Kaum etwas kostet Unternehmen so viel unproduktive Energie wie „Cover your Back“-Verhalten.

Es gibt ein Phänomen, das jeder kennt, der Mitarbeitende hat. Das in großen Organisationen endemisch, aber auch in kleinen Handwerksbetrieben oder Start-ups anzutreffen ist. Das für jedes Unternehmen schädlich ist – und das doch nie thematisiert wird. Es ist wie der Elefant im Raum: Alle wissen um ihn, aber alle tun zugleich so, es gäbe es ihn nicht. Dies ist umso rätselhafter, als jenes Phänomen eine gigantische Verschwendung von Ressourcen bedeutet, es sich also mehr als lohnen sollte, es zu beseitigen oder wenigstens zu verringern – und umso mehr in derart renditezehrenden Zeiten wie den heutigen.

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Die Rede ist von einem Verhalten, das im angloamerikanischen Sprachraum „Cover your back“ (oder noch etwas derber) genannt wird. Einen gängigen deutschen Begriff gibt es nicht, auch keinen deutschen Wikipedia-Eintrag (!). Am treffendsten wäre wohl eine Formulierung wie „Absicherungsverhalten“. Denn genau darum geht es: Sich in einer Weise zu verhalten, die keinen anderen Zweck verfolgt, als sich gegen mögliche Sanktionen abzusichern: Sanktionen, die drohen, wenn ein Fehler gemacht wurde. „Cover your Back“-Verhalten kann daher zahlreiche unterschiedliche Formen annehmen. Ihnen allen ist gemein, dass Verantwortung vermieden, verschleiert, verleugnet, abgewehrt oder wenigstens so weit diffundiert wird, dass – wenn ein Schuldiger gesucht wird – alle mit im Boot sind.

Die überall vorkommende Neigung, möglichst viele und auch die nur am alleräußersten Rande möglicherweise mit einem Vorgang befassten Personen in einer diesen Vorgang betreffenden E-Mail cc zu setzen, hat seinen Grund sehr oft auch einfach darin, dass der Absender dann im Falle des Falles auf alle jene Personen verweisen kann, die ja schließlich ebenfalls involviert gewesen seien und damit nicht minder in der Verantwortung stünden.

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Schon dieses – ja noch eher harmlose – Beispiel zeigt, welchen Schaden „Cover your Back“-Verhalten anrichtet: Auch wenn erfahrungsgemäß nicht alle Personen in cc die betreffenden E-Mail lesen werden: Einige tun es doch, und womöglich denken sie dann darüber nach, was sie wohl mit diesem Vorgang zu tun haben – und vielleicht halten sie sich für wichtig genug, dass sie auf die E-Mail auch noch antworten (gar dem gesamten Verteiler), so dass eine weitere Runde sinnlos vertaner Zeit beginnt.

Meetings, die ohne klare Vereinbarung enden, wer nun was als nächstes zu tun hat. Statusberichte, die die Realität schönen, weil eine wahrheitsgetreue Darstellung peinliche Fragen auslösen könnte. Fehler, die nicht aufgearbeitet werden, so dass ihre Ursache fortbesteht. Entscheidungen, die nicht gefällt werden, so dass die Prozesse sich noch und nöcher hinziehen. Geld, das für Projekte versenkt wird, die von Beginn an zum Scheitern verurteilt waren – nur wollte sich niemand mit der schlechten Botschaft unbeliebt machen. All das sind Effekte von „Cover your Back“-Verhalten – und welche/r UnternehmerIn wollte behaupten, bei ihm/ihr in der Firma gäbe es so etwas nicht?

Somit stellt sich die Frage, was man denn tun könnte gegen diese Verhaltensweisen? Ist es nicht einfach nur menschlich, sich gegen mögliche unangenehme Konsequenzen abzusichern? Und sind Risikobereitschaft und Mut nicht einfach Charakterzüge, die individuell eben ungleich verteilt sind? Man kann beides bejahen und gleichwohl dafürhalten, dass die spezifische Kultur eines Unternehmens ein beträchtlicher Faktor ist dafür, ob und inwieweit die Beschäftigten willens sind, Verantwortung zu übernehmen auch auf das Risiko hin, einen Fehler zu machen. Wer also „Cover your Back“-Verhalten in seinem Unternehmen zurückdrängen will, sollte sich als erstes fragen, wie dort mit Fehlern umgegangen wird. Aber auch, wie geschätzt oder verpönt Widerspruch – insbesondere gegen Vorgesetzte! – ist. Und nicht zuletzt, wie groß denn die Entscheidungsspielräume der Mitarbeitenden und insbesondere der Führungskräfte tatsächlich sind.

Merke: Wer ohnehin kaum etwas zu entscheiden hat, wird umso weniger bereit sein, sich angreifbar zu machen.

Nein, auch wenn sich fast alle Unternehmen damit abgefunden zu haben scheinen: „Cover your Back“-Verhalten ist kein quasi naturgegebenes Phänomen, das es eben auszuhalten gilt und die WettbewerberInnen ja immerhin genauso trifft und beeinträchtigt. „Cover your Back“-Verhalten im Unternehmen kann man überwinden – und dann hat man gegenüber den Wettbewerbern einen Vorteil. Man darf dafür allerdings keine Scheu vor den Fragen haben – und erst recht nicht den Antworten –, die schmerzhaft sein können. „Cover your Back“-Verhalten zu überwinden, fängt ganz oben an.

Jana Hecker

Jana Hecker ist Geschäftsführerin des Global Organizational Integrity Institutes und Geschäftsführerin der Unternehmensberatung cetacea. Sie hat mehrere Transformations-, Reorganisations- und Integritätsprogramme internationaler Konzerne wie auch mittelständischer Unternehmen mitgestaltet – immer mit dem Schwerpunkt Change Management und Change Communications.

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