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Es ist beschlossene Sache: Das aktuelle Urteil des Europäischen Gerichtshofs verpflichtet Arbeitgeber in der EU fortan zur systematischen Arbeitszeiterfassung. Und alle beteiligten Staaten müssen sich daran halten – das haben die obersten Richter in Luxemburg nun unmissverständlich festgelegt. Es ist ein Grundsatzurteil, das auch unseren Arbeitsalltag in Deutschland bald schon fundamental revolutionieren könnte.

Mit der neuen gesetzlichen Regelung stehen nicht wenige Unternehmen vor großen Herausforderungen und Unsicherheiten. Schließlich werden längst nicht in allen Branchen die Arbeitszeiten der Angestellten per System erfasst. Das soll sich nun ändern. Wir beantworten deshalb die 5 wichtigsten Fragen zum EuGH-Urteil:

1. Was steht in dem EuGH-Urteil?

Alle Arbeitgeber in den EU-Staaten müssen künftig ein System vorweisen können, das in der Lage ist, die täglich geleistete Arbeit ihrer Angestellten systematisch zu messen – unabhängig von den jeweiligen Arbeitszeiten und -orten. Diese Systeme müssen zudem:

„objektiv, verlässlich und zugänglich sein.“

Das weit verbreitete Homeoffice oder der Außendienst fallen beispielsweise auch unter diese Regelung. Dennoch gibt es innerhalb der einzelnen EU-Staaten gewisse Spielräume, die sie selbst festlegen dürfen, etwa bei besonderen Tätigkeiten oder Branchen. Hier muss im Einzelfall entschieden werden, wie diese Verpflichtung zur Arbeitszeiterfassung geregelt wird.

2. Ab wann gilt das EuGH-Urteil?

Für die Arbeitgeber hat das Urteil noch keine Gültigkeit. Bislang hat der Gerichtshof lediglich die EU-Staaten dazu verpflichtet, für sich selbst ein entsprechendes Gesetz zu erlassen. In Deutschland wird das Urteil jetzt zunächst geprüft, bevor das Bundesarbeitsministerium einen Entwurf zur Änderung des Arbeitszeitgesetzes vorlegen wird. Dieser muss dann vom Bundestag beschlossen werden.

Da es bereits jetzt heiße Diskussionen um Details und bestimmte Ausnahmen gibt, wie etwa die Aufzeichnungspflichten in der Mindestlohn-Branche, wird die gesetzliche Arbeitszeiterfassung in Deutschland vermutlich erst 2020 greifen – womöglich sogar noch später.

3. Müssen Überstunden in Zukunft bezahlt werden?

Das kann nur im Einzelfall entschieden werden. Bedenkt man aber, dass sich deutsche Arbeitgeber laut einer Studie des DGB circa 18 Milliarden Euro jährlich durch Überstunden ihrer Angestellten sparen, wird es wohl primär darum gehen, diese Mehrarbeit zu entlohnen, anstatt das halbe Unternehmen zum Urlaub zu zwingen.

EXTRA: Muss ich für meinen Arbeitgeber auch in der Freizeit erreichbar sein?

Infografik: Bezahlte/unbezahlte Überstunden in Mio

Infografik: So viele Überstunden machen die Deutschen | Statista

4. Bringt das EuGH-Urteil die Stechuhr zurück?

Diese Befürchtung ist unbegründet. Inzwischen gibt es etliche Softwareunternehmen, die sich auf Zeiterfassungssysteme für Unternehmen jeder Größenordnung spezialisiert haben. Egal ob mit einer App auf dem Smartphone oder einem Programm auf dem Laptop – Arbeitszeit lässt sich heutzutage flexibel und völlig ortsunabhängig dokumentieren.

EXTRA: Mitarbeiter-Arbeitszeiterfassung: Excel vs. Online vs. Software

Verständlich ist jedoch der Ärger mancher Arbeitgeber wie auch Arbeitnehmer, die weiterhin auf die Vertrauensarbeitszeit schwören. Schließlich steht hier nicht die zeitliche Präsenz der Mitarbeiter, sondern das unternehmerische Ziel im Vordergrund. Dieses Modell sei mit dem neuen gesetzlichen Beschluss „praktisch tot“, betont der Arbeitgeberverband Gesamtmetall.

5. Wie sind die Reaktionen auf das Arbeitszeit-Urteil

Dem Gerichtshof zufolge kann nur auf diese Weise sichergestellt werden, dass die Zahl der Überstunden verlässlich ermittelt werden und Arbeitnehmer ihre Rechte durchsetzen können. Annelie Buntenbach, Vorstandsmitglied beim Deutschen Gewerkschaftsbund, sieht den Beschluss durchweg positiv:

„Das Gericht schiebt der Flatrate-Arbeit einen Riegel vor – richtig so.“

Bei aller Freude von der Gewerkschaftsseite gibt es jedoch auch Gegenstimmen: Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) beispielsweise äußert Kritik an dieser Entwicklung und verweist auf mögliche negative Konsequenzen für Angestellte, die flexibel arbeiten wollen.

Andreas Wickles

Andreas Wickles studierte Literatur- und Medienwissenschaft. Von 2019 bis 2021 war er Teil der Redaktion von unternehmer.de und schrieb unter anderem zu den Themen Arbeitsrecht, Karriere und New Work. Außerdem war er für Interviews mit Experten sowie diverse SEO-Maßnahmen zuständig.

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One Comment

  • Olaf Barheine sagt:

    Wenn ich als Freiberufler im Rahmen eines Dienstvertrags für einen Kunden tätig bin, muss ich auch genau meine Arbeitszeiten für die Abrechnung dokumentieren. Der Aufwand hält sich in engen Grenzen. Probleme gab es bisher noch nie und sollte auch für festangestellte Mitarbeiter machbar sein.

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