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Der Wolf im Schafspelz

Und dann gibt es noch Experten, die im Namen der Wissenschaft auftreten, aber eigentlich Lobbyisten sind. Da gibt es den von den Medien gerne hochgehaltenen Rentenexperten-Professor von einer Fachhochschule, der in den Medien die Vorzüge der Riesterrente auslobt. Ein genauer Blick in sein Tätigkeitsspektrum entlarvt dann aber die Versicherungsbranche als spendablen Brötchengeber (sie finanziert großzügig seinen Lehrstuhl mit, fragt um seinen Rat und lässt ihn als Referent auftreten). Doch das kriegt keiner mit.

Aber nicht nur bei den großen Fragen der Lebensrisiken tauchen Experten auf. Kaufen Sie mal einen Lattenrost, eine Matratze oder wirkungslose Medikamente. Gerne werden Experten mit akademischen Titeln in Verbindung mit wohlklingenden Institutsnamen herangezogen, um die perfekte Experten-Illusion aufbauen und Glaubwürdigkeit zu erzeugen. Denn der Otto-Normalverbraucher kennt das Institut eben nur vom Vorbeifahren an der Uni – dass das oben genannte Institute mit Wissenschaft nichts zu tun hat, schwant den Wenigsten.

Experten ohne Titel

Experten sind auch Experten, wenn sie keinen akademischen Titel tragen. Denn die Investmentbanker haben sich nicht lange damit aufgehalten, akademische Titel anzuhäufen. Wir sind ihnen trotzdem nachgelaufen und tun es immer noch. Bitte beachten Sie, wie stark uns die Experten der Finanzindustrie manipuliert haben, bestimmte Begriffe geradezu umzucodieren. Schulden? Meine Eltern wussten noch, dass Schulden ein sehr negativer Begriff war. Wie denken wir heute darüber? Seit etwa zehn bis zwanzig Jahren beobachten wir diese begriffliche Umcodierung. Schulden sind plötzlich mit einem Schlag nichts mehr, wofür man sich schämen müsste, ganz im Gegenteil. Wer sich nicht verschuldet, ist naiv. Warren Buffett hat das einmal sehr elegant ausgedrückt: „Debt now became something to be refinanced rather than repaid.“ (Schulden wurden etwas zum Umfinanzieren, nicht zum Zurückzahlen.) Und alles das haben uns „Experten“ eingebrockt. Wir sind ihnen gefolgt wie die Lemminge. „Aus Dreck Gold machen“ – das sind die alchemistischen Weisheiten der Finanzakrobaten. Groß nachgedacht haben wir selten.

Kaum eine Dienstleistung, die heute verkauft wird, kommt ohne Experten aus. Titel unwichtig, Qualifikation zweitrangig. Wenn „Experte“ drauf steht, wird es schon richtig sein. Das haben wir gelernt. Für den Experten zahlen wir gerne etwas mehr. Ein ungeschützter Begriff der Sicherheit vermittelt. Es ist doch einfach beruhigender, wenn „Der Experte für Anlagestrategien“ Ihr Geld abgreift – äh managed – als wenn Sie es bloß vom Bankkaufmann Müller verwalten lassen, oder?

Neonschrift im Kopf

Zweifelsohne versteht mein Arzt mehr von Bronchitis, mein Anwalt mehr vom Erbrecht und mein Steuerberater mehr von Abschreibungen. Aber Faktenwissen ist nur eine Seite der Medaille. Weisheit und Lebensklugheit eine ganz andere. Wir schalten nur allzu gerne unseren Verstand aus, wenn uns jemand als „Experte“ gegenübertritt. Damit werden wir das willkommene Opfer von Experten. Vom Arzt, der mir als willkommenem Privatpatienten eine teure, aber auch wirkungslose Spezialtherapie verpasst. Vom Anwalt, der mir eine zu optimistische Prognose über den vielleicht zu führenden Prozess gibt. Vom Steuerberater, der mir empfiehlt, in Schweinebäuche zu investieren, weil er „zufällig“ dazu auch ein „Finanzprodukt“ im Angebot hat. Wenn Ihnen in Zukunft also ein Experte gegenübersitzt – vertrauen Sie ihm ruhig – aber lassen Sie gleichzeitig vor Ihrem inneren Auge eine rote Neonschrift aufleuchten: Vorsicht Manipulation.

(Das Buch zum Artikel von Wolf Erhardt: Ich mache doch, was ich nicht will)

Seiten: 1 2

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