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Mythos Produktivität: Produzieren Sie nicht am Markt vorbei!In der Praxis werden die meisten Fertigungsbetriebe noch an einer möglichst hohen Produktivität ausgerichtet. Doch damit produzieren sie meist am Markt vorbei, sagt Produktionsexperte Jürgen Abel. Im Interview erklärt er, warum Flexibilität heute wichtiger ist als Produktivität.

Unternehmer.de: Herr Abel, ist es nicht einleuchtend, wenn Produktionsverantwortliche die Anlagen auslasten müssen und so ihre Investitionen amortisieren?

Jürgen Abel: Diese Auffassung ist nachvollziehbar, aber sie stammt aus einer Zeit, in der erst einmal produzierte Waren bereits einen Wert darstellten. Mit entsprechend gutem Vertrieb ließ sich fast alles verkaufen. Aber das ist längst nicht mehr so, inzwischen bestimmen allein die Konsumenten, was sie wann zu welchem Preis und in welcher Qualität abnehmen. Dazu kommt die Variantenexplosion: Waren sind inzwischen in unzähligen Ausführungen erhältlich – und werden vom Verbraucher auch gefordert. Wer etwa auf Vorrat Mobiltelefone in der Modefarbe weiß herstellt, wird kein einziges verkaufen, wenn plötzlich moccabraun angesagt ist, auch wenn alle technischen Details stimmen. Vor ein paar Jahren gab es ohnehin nur schwarze Handys, und auch wesentlich weniger technische Unterschiede. Die Folge von maximaler Produktivität sind in der Praxis meist Wertberichtigungen auf unverkäufliche Waren.

Unternehmer.de: Woran sollen Verantwortliche ihre Produktion ausrichten, wenn nicht an der Produktivität?

Jürgen Abel: Jeder Schritt in der gesamten Fertigung lässt sich konsequent am Markt ausrichten. Im besten Fall werden nur Produkte angefertigt, für die bereits ein Auftrag vorliegt. Konsequent bedeutet das, dass die Fertigung für sich genommen noch nicht als Wert betrachtet wird, sondern die Wertschöpfung erst mit dem Verkauf des gefertigten Produkts entsteht bzw. mit dem entsprechenden Zahlungseingang.

Unternehmer.de: Das klingt einfach. Worin liegt die Schwierigkeit?

Jürgen Abel berät mittelständische Unternehmen bei der Optimierung ihrer Produktion. Im Juni ist sein Buch „Die flexible Produktion. Praxisbuch für Entscheider“ erschienen.

Jürgen Abel: Wer nur für den Markt produziert, der muss manchmal auch Maschinen abschalten, wenn keine Aufträge vorliegen; es gibt dann kein Produzieren auf Vorrat mehr, das fällt Fertigungsleitern verständlicherweise schwer. Außerdem bedeutet es häufigeres Umrüsten, um unterschiedliche Varianten zu produzieren und auch kleine Lose mit Priorität zu fertigen, wenn sie gerade gebraucht werden. Insgesamt werden weniger Teile die Fabrik verlassen, aber mehr solche, die auch tatsächlich Umsatz generieren. Ich habe mehrmals erlebt, wie erfahrene Fertigungsleiter bei dieser Diskussion mit sich ringen mussten oder sogar kopfschüttelnd den Raum verließen. Dabei führt kein Weg an einer flexiblen Produktion vorbei. Niemand kann es sich mehr leisten, für sein eigenes Lager zu produzieren.

Unternehmer.de: Aber wie lässt sich die notwendige Flexibilität in der Fertigung umsetzen?

Jürgen Abel: Indem Sie die Produktion am Engpass ausrichten – nach dem Constraint Management. Diese Methode folgt der „Theory of Constraint“ und hat sich bewährt, um komplexe Produktionsabläufe zu steuern: Jede Prozesskette in der Produktion hat genau eine Stufe, die die geringste Kapazität aufweist und so den Materialdurchsatz und damit den Mengenausstoß der gesamten Prozesskette bestimmt. Diese Fertigungsstufe ist der sogenannte Engpass, er gibt den Takt der gesamten Fertigung vor und dient somit als Leuchtturm. Das bedeutet gleichzeitig, dass die Kapazitäten der anderen Operationen nicht voll ausgelastet werden. Aber solange die Marktnachfrage nicht die Engpasskapazität übersteigt, ist dies kein Problem und der Engpass wird auch nicht erweitert.

Unternehmer.de: Was ist daran neu?

Jürgen Abel: In der traditionellen Auffassung, die auf größtmögliche Produktivität ausgerichtet ist, führt das Streben nach Harmonisierung der Produktion meist zum Erweitern von vermuteten Engpass-Operationen. Genau das ist im Constraint Management nicht der Fall. Es gibt hier nur einen einzigen Engpass, und an diesem richten sich alle anderen Schritte aus. Somit stabilisiert sich die gesamte Produktion. Rüstungen an der Engpassoperation bekommen Priorität, sie werden bestmöglich organisiert und schnellstmöglich durchgeführt. Durch die Steuerung über den Engpass lässt sich der Fokus leicht auf den Kundenauftragsbestand lenken. Aufträge werden mit realistischen Lieferterminen versehen, nach Plan abgearbeitet und die Liefertermine werden eingehalten. Somit wächst der Kundenservicegrad, eine entscheidende Größe im wachsenden Wettbewerb der produzierenden Unternehmen.

(Bild: © imageteam – Fotolia.com)

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