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Als ich mich vor ein paar Tagen etwas eingehender mit dem großen Energieversorger RWE (kennt den noch jemand?) beschäftigt habe, bin ich auch über diverse interessante Fragmente des Scheiterns gestolpert. Und ich habe plötzlich eine gefährliche Analogie zum deutschen Mittelstand entdeckt. Dazu später mehr. Erstmal möchte ich den Blick auf die mehr oder weniger offensichtlichen Indikatoren für die schwierige Situation des Unternehmens lenken.

RWE hat sich jahrzehntelang auf die riesigen Erträge aus der Atomkraft verlassen. Deshalb konnte man es sich leisten, jahrelang und wiederkehrend strategisch fatale Entscheidungen zu fällen. Damit verbrannte man Milliarden in Verlustgeschäften. Es folgte die Energiewende und RWE sah aufgrund sprudelnder Gewinne aus der Atomkraft wenig Grund zum Handeln. Dann aber überrollte eine gewaltige Tsunamiwelle ein Atomkraftwerk in Japan. Mehrere Kernschmelzen verseuchten die Region Fukushima auf hunderte von Jahren und machten sie unbewohnbar. Das Restrisiko war zur gnadenlosen Katastrophe geworden.

Fröhlich fatal in die Vergangenheit katapultiert

Die Kanzlerin handelte pragmatisch und Deutschland beschloss den Atomausstieg. Bis 2022 werden alle Atomkraftwerke abgeschaltet. RWE und auch andere Atomkraftbetreiber hat dieser radikale Schritt eiskalt erwischt. Darauf war man nicht vorbereitet. Hektische Betriebsamkeit setzte ein. Lösungen mussten her. Das Geschäftsmodell von RWE war über Nacht veraltet.

Und als wäre die versiegende Geldquelle Atomstrom nicht schon schlimm genug, graben auch andere Probleme das Wasser ab. Die Kosten für den Rückbau von Meilern und die risikofreie Endlagerung gehen in die Milliarden. Wie aus dem Nichts, steht das gesamte Unternehmen dumm da. Plötzlich sieht man sich am Rande seiner Existenz. Was war passiert?

Das haben Atomausstieg und Digitalisierung gemeinsam

Ich arbeite ja viel mit dem klassischen Mittelstand zusammen. Hier sitzen mir als Inhaber oder Geschäftsführer meist Ingenieure gegenüber, die der Innovation als Solches durchaus offen gegenüber stehen. Aber eben vor allem in Bezug auf ihre Produkte oder die Produktion. Hier geht eine entscheidende Komponente verloren. Ganzheitlich strategischer Weitblick. Was man Mittelständlern nicht mal verübeln kann, da die Entwicklungsfrequenz immer enger wird und es im operativen Geschäft zu führen gilt. Dabei liegt genau hier eine entscheidende Chance, nämlich Führung zu übernehmen.

Je mehr ich mich dem Thema zuwendete, desto mehr erschreckende Gemeinsamkeiten zwischen RWE und dem deutschen Mittelstand wurden mir klar. Das, was der Atomausstieg für den Energieriesen war, ist die Digitalisierung für den Mittelstand. Oder Industrie 4.0. Oder ganzheitliche Innovation.

Fähigkeit zur Innovation wird globale Währung

Der Publizist Gunnar Sohn beschäftigt sich viel mit dem Thema „Industrie 4.0“ und mahnt seit Jahren, dass wesentlich mehr kommen muss als nur Kongresse und hochtrabende Artikel von Experten für Experten. Er sagt:

„Was wir brauchen, sind kreative Köpfe und keine Maschinen-Prediger.“

Hieran wird ein Denkmuster deutlich, das unter anderem auch bei RWE zur Beinahekatastrophe führte. Deutsche Unternehmen sind es nicht gewohnt, ernsthafte Konkurrenz zu haben. Wie RWE sich zu sehr auf seine Cashcow verlassen hat, liebt man in vielen Führungsetagen der deutschen Wirtschaft seine eigene maschinelle Leistungskraft. Man war ja schon immer gut darin, werthaltige Waren zu produzieren. Gerade der Maschinenbau und die Automobilindustrie sind riesige Wirtschaftszweige, die auf Basis dieser Erfolgsverwöhntheit gar nicht merken, wer an ihrem Ast sägt.

Plötzlich kommt da ein Tesla und baut Autos, plötzlich ist da ein Google und lässt Autos autonom fahren und ein Privatunternehmen namens „SpaceX“ schießt innovative Raketen ins All. Nebenbei sprießen weltweit StartUps aus dem Boden, die uns mit digitalen Servicedienstleistungen versorgen. Aber nein, es ist nicht die globale Konkurrenz. Es ist nicht der böse Chinese, der unser Knowhow geklaut hat. Es ist auch nicht der Pole, der mittlerweile genau die gleiche Qualität wie deutsche Zulieferer anbieten kann. Und es ist auch nicht der Inder, der einfach innovative Software liefern kann oder ein Google, Tesla, Amazon. Es ist die eigene Geisteshaltung, sich zu sehr auf bereits Erreichtem auszuruhen.

Der deutsche Mittelstand ist nie in der Situation gewesen, den Markt in seinem Wandel nicht mehr zu verstehen. Aber genau das passiert seit 20 Jahren. Man ist nicht mehr Akteur. Man war Google, man war Amazon. Jetzt ist man Kunde dieser Unternehmen. Doch Fakt ist:

Wir ruhen uns auf unseren Erfolgen aus. #deutschermittelstand Klick um zu Tweeten

Wer hilft Deutschland?

Ich finde die Analogie zwischen dem in seiner Heftigkeit plötzlich auftretenden, aber durchaus abzusehenden Wandel durch den Atomausstieg und die zögerliche, strategische Stoßrichtung des deutschen Mittelstands in Richtung Wirtschaft 4.0 unangenehm gefährlich. Und es ist nicht nur die Beobachtung der politischen Aktivitäten, die mir dabei Sorge bereitet.

Es ist die fast schon arrogante Haltung vieler Geschäftsführer und Inhaber von Konzernen und mittelständischen Unternehmen. Eine nicht selten gehörte Ausweichlogik, wie der Onlinemarketing-Experte Karl Kratz sie nennt, ist folgende:

„Ich kann nicht in etwas investieren, dessen Gegenwert ich nicht verstehe“.

Ja, die Situation ist lästig und kompliziert. Planung ohne konkreten ROI, Wagnisse eingehen. Man kennt es nicht, dass man vom Thron gestoßen wird und das auch noch von einer unheimlichen Macht namens Innovation. Ich verstehe die Haltung sehr gut. Auch Veränderung mag man nicht so gerne. In einer hochdynamischen Wirtschaft mit einer extrem engen und stark ausschlagenden Amplitude von Innovationsschritten, wird so etwas allerdings hart bestraft und führt zu nicht weniger als dem Verlust der eigenen Existenz. Unser Wohlstand steht auf dem Spiel. Neue Denkmuster müssen her.


Ich denke ganzheitlich, also bleibe ich!

Moderne Unternehmen brauchen nicht nur den Impuls zur Veränderung. Der kommt in kräftigen Stoßwellen jeden Tag auf’s Neue. Ein Inhaber sagte mal zu mir:

„Ich weiß gar nicht mehr, wohin es eigentlich geht. Man fühlt, man verliert den Anschluss, fühlt sich dabei aber gelähmt“.

Damit ist er nicht alleine. Es braucht tragfähige Konzepte und Brücken, über die Unternehmen gehen können. Auf die Politik ist hier wenig Verlass. Also muss man selbst ran. Ich rate seit einiger Zeit zum Beispiel dazu, eigene „ThinkTanks“ zu etablieren. Ein gezieltes Innovationsmanagement zu betreiben. Außerdem braucht es eine andere Ressourcenplanung und weniger Silodenken. Collaboration is the new way. Synergieeffekte verschiedener Abteilungen nutzen. Das alles geht Hand in Hand mit ganzheitlicher Professionalisierung, wozu eine moderne Unternehmenskommunikation oder die Überprüfung des eigenen Marketings gehört.

Ohne externe Hilfe geht es nicht

Ja, zu all dem sind Wille und Ressourcen notwendig. Gänzlich neue Strukturen, vor allem im klassischen Mittelstand, um die Lücke zwischen den KMU und Großunternehmen nicht noch größer werden zu lassen. Wer kann in dieser komplexen Zeit noch sagen, welche Entscheidungen strategisch richtig sind? Das alles kostet viel Zeit und Geld. Aber was sind die Alternativen? Es gibt keine, denn:

Wer nicht mit der Zeit geht, geht mit der Zeit. #business #digitalisierung Klick um zu Tweeten

Oliver Marquardt

Oliver Marquardt ist studierter Kommunikationsdesigner. Er arbeitete als Texter in renommierten Werbeagenturen, bevor er sich als Marketing- und Kommunikationsberater für Großunternehmen selbstständig machte. Mittlerweile ist er gefragter Berater für Markenentwicklung im Mittelstand und Autor vieler Fachartikel. 2013 gründete er zusammen mit seiner Frau das Büro "Marquardt+Compagnie" für wertebasierte Markenentwicklung. Privat spielt Golf, produziert Musik und kocht gerne.

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