Skip to main content

Viele Mittelständler entwickelten sich im zurückliegenden Jahrzehnt zu High-Tech-Unternehmen und international agierenden Unternehmen – ohne dass sich ihre (Führungs-)Kultur merklich wandelte. Das entpuppt sich als Hemmschuh für ihre weitere Entwicklung.

Freitagnachmittag in der Kantine eines mittelständischen Maschinenbauers in Baden-Württemberg. Fast 600 Augenpaare blicken zum Rednerpult. Hinter ihm steht der schon stark ergraute Firmeninhaber und lässt in seiner Rede anlässlich der Weihnachtsfeier die Entwicklung seines Unternehmens in den letzten Jahren Revue passieren. „Wenn ich in den Saal schaue“, stellt er fest, „sehe ich, wie viel sich im letzten Jahrzehnt geändert hat.“ „Vor zehn Jahren“, fährt er fort, „waren die meisten Mitarbeiter Facharbeiter. Heute sind über zwei Drittel Akademiker. Vor zehn Jahren arbeiteten für unser Unternehmen nur wenige Frauen – vorwiegend als Schreibkräfte und Kantinenpersonal. Und heute sind über ein Viertel der Mitarbeiter Frauen – und zwar hochqualifizierte. Und vor zehn Jahren sprach bei uns kaum einer Englisch. Und heute sprechen viele von uns fließend zwei, drei Fremdsprachen. Das zeigt mir, wie stark sich unser Unternehmen verändert hat“, sagt der Firmenchef dann. „Und wie viel sich in den kommenden Jahren noch ändern wird“, ergänzt er.

Aus „Local heros“ wurden „Global Player“

Eine ähnliche Rede könnten viele Inhaber mittelständischer Betriebe halten. Denn auch für ihre Betriebe gilt: Sie haben sich von eher handwerklich geprägten Produzenten in High-Tech-Unternehmen gewandelt. Und während sie vor zehn, fünfzehn Jahren noch vorwiegend für den deutschen Markt produzierten, vertreiben sie heute ihre Produkte weltweit. Doch nicht nur dies. Sie lassen zudem einen großen Teil von ihnen im Ausland
produzieren.

Aufgrund dieser Entwicklung hat sich auch die Belegschaft der Betriebe gewandelt. Sie wurde nicht nur internationaler, sondern auch weiblicher. Und: Sie ist höher qualifiziert als vor zehn, fünfzehn Jahren.

Kultur hinkt der Entwicklung hinterher

Diese Veränderungsprozesse vollzogen sich bei den meisten Mittelständlern nicht aufgrund einer definierten Strategie. Sie reagierten vielmehr, was eine typische Stärke des Mittelstands ist, ganz pragmatisch auf die neuen Markterfordernisse. Sie nutzten sozusagen die Chancen, die sich aus der Globalisierung und dem technischen Fortschritt ergaben, und entwickelten sich vielfach zu „Hidden Champions in der Provinz“, die in ihrem Marktsegment oft zu den Weltmarktführern zählen. Was jedoch meist nicht mit der Entwicklung Schritt hielt, war die Organisationsstruktur und (Führungs-)Kultur in den Unternehmen.

Ein Beispiel

Der eingangs erwähnte Maschinenbauer stellte in den zurückliegenden Jahren immer wieder fest: Es gelingt uns zwar, hochqualifizierte Nachwuchskräfte, die nicht aus Baden-Württemberg kommen, als Mitarbeiter zu gewinnen. Doch nach zwei, drei Jahren kehren diese unserer Firma oft wieder den Rücken. Denn sie schlagen in unserem Betrieb keine Wurzeln. Und ihre Familien? Sie werden in der „schwäbischen Provinz“ nicht heimisch. Denn überspitzt formuliert bleibt in unserem Betrieb und im „Ländle“ jeder ein Exot, zu dessen Leibspeisen nicht „Spätzle mit Linsen“ zählen.

Jede „Stärke“ hat zwei Seiten

Hinzu kommen weitere Faktoren, die jungen Leuten oft die Arbeit bei Mittelständlern verleiden. Anfangs sind sie meist davon begeistert, dass bei ihnen in der Regel hierarchiefreier kommuniziert und vieles schneller entschieden wird als in Konzernen. Doch nach einiger Zeit nehmen sie dieses Plus eher als Minus wahr. Zum Beispiel, wenn sie registrieren: Vieles was gestern noch galt, gilt heute nicht mehr – wenn „der Chef“ es sich anders überlegt. Und formal wird mir zwar als Führungskraft oder Projektleiter viel Verantwortung übertragen. Doch faktisch sind meine Befugnisse begrenzt. Immer wieder „regieren“ die Firmeninhaber und „altgediente Fürsten“ in meinen Bereich hinein. Mit der Konsequenz, dass meine Autorität schrumpft, weil meine Mitarbeiter insgeheim denken „Letztendlich hat der ‚Mayer’ doch nichts zu sagen.“

Registrieren die Nachwuchskräfte dies, dann sinkt ihre Identifikation mit dem Unternehmen. Und: Sie sind immer weniger bereit, sich so stark zu engagieren, wie dies speziell vom Führungspersonal bei Mittelständlern – aufgrund des Arbeitsethos der Top-Entscheider – oft unausgesprochen erwartet wird: rund um die Uhr. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Nachwuchskräfte zugleich registrieren: Unter meiner 60- oder gar 70-Stunden-Woche leidet meine Lebensqualität.

Die Folge: Die Nachwuchskräfte denken irgendwann – oft angeregt durch ihren Lebenspartner – über einen Arbeitgeberwechsel nach. Oder sie „unterwerfen“ sich der herrschenden Unternehmenskultur, weil sie merken: Dann lebe ich stressfreier. Das heißt: Von ihnen gehen keine Veränderungsimpulse mehr aus.

Die (Führungs-)Kultur muss sich entwickeln

In unserem Unternehmen besteht auf der strukturellen und der kulturellen Ebene ein Entwicklungsbedarf. Das haben inzwischen viele Mittelständler erkannt – auch weil sie zunehmend die Auswirkungen des Fachkräftemangels spüren.

Hinzu kommt: Sie haben inzwischen oft eine Größe erreicht, in der es nicht mehr genügt, flexibel auf Marktanforderungen zu reagieren. Die Entwicklung des Unternehmen und seiner Kompetenz muss gezielt forciert werden. Sie haben zudem eine Größe, bei der es nicht mehr dem Belieben der einzelnen Führungskräfte überlassen werden kann, wie sie ihre Mitarbeiter führen. Es muss sich eine einheitliche Führungskultur entwickeln – und zwar eine Führungskultur, in der Nachwuchskräfte, von denen neue Impulse ausgehen, gehört und gefördert werden. Sonst stagniert das Gesamtsystem, weil in ihm kein kollektives Lernen erfolgt.

Erkannt haben das viele Mittelständler, weshalb sie heute mehr Zeit und Energie in die Organisationsentwicklung investieren; auch ihr Engagement in Sachen Personal- und Führungskräfteentwicklung haben sie erhöht. Dabei kämpfen jedoch gerade kleinere Mittelständler oft mit dem Problem, dass sie keine Experten in Sachen Personal- und Organisationsentwicklung in ihren Reihen haben.

Passgenaue Lösungen für den Mittelstand

Entsprechend hilflos sind sie oft, wenn sie vor der Frage stehen: Wie können wir einerseits die (Führungs-)Kultur in unserer Organisation wie gewünscht entwickeln und andererseits unsere typischen Stärken als Mittelständler bewahren?

Eine Standardantwort auf diese Frage gibt es nicht – auch weil die Mittelständler in verschiedenen Märkten agieren und aufgrund ihrer Historie teilweise verschiedene Stärken haben. Klar ist jedoch: Die Lösungen dürfen keine abgespeckten Varianten der Personal- und Organisationsentwicklungsprogramme der Konzerne sein. Denn diese berücksichtigen die Spezifika des Mittelstands nicht.

(Bild: © mediendesign.de)

Hubert Hölzl

Hubert Hölzl ist Inhaber des auf den Mittelstand spezialisierten Trainings- und Beratungsunternehmens Hölzl & Partner, Lindau; Tel.: 08382/5042814; Email: mail@fuehrungstrainer.net

Der Artikel hat dir gefallen? Gib uns einen Kaffee aus!

Leave a Reply