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Welche Herausforderungen birgt ein Job in der Esports-Szene? Was sind die Besonderheiten im Management? Und ist das Informatik-Studium noch zeitgemäß?

Antworten auf diese Fragen gibt Sven Lund. Er ist seit über 10 Jahren als Software Engineer und Data Scientist tätig. Bei Bayes Esports verantwortet er als Vice President Esports Data Services die kontinuierliche Weiterentwicklung der Technologie.

Sven, was hat dich in die Esports-Szene verschlagen?

Ich bin Core Gamer. In meiner Jugend habe ich viel mehr gespielt, als meinen Eltern lieb gewesen wäre. Diese Leidenschaft ist bis heute geblieben. Und da ist es natürlich extrem cool, in einem Bereich zu arbeiten, der mit Games zu tun hat.

Was fehlt dem Esports, damit er in einer breiten Masse ankommt?

Was mir persönlich beim Esports fehlt, ist das physische Drama. Ich komme vom Kampfsport. Viel physischer geht es gar nicht! Wenn du dir einen Boxkampf anschaust oder ein Fußballspiel … das Drama, dass sich da teilweise abspielt und sich auch in den Gesichtern der Athleten widerspiegelt. Da ist ein etwas, das mich – und ich denke viele andere – anspricht.

Dieses Drama fehlt mir persönlich beim Esports komplett. Man hat zwei Teams, jeweils fünf Leute und die sind vielleicht enttäuscht, aber es ist keine dramatische Erzählung, in der jemand das letzte aus seinem Körper rausholt … und dann reicht es doch nicht zum Sieg.

Was macht ein Vice President Esports Data Services?

Mit meinem Team integrieren und verteilen wir Datenströme. Das ist wichtig, damit z. B. unsere Kunden das erhalten, was sie gebucht haben. Einige wollen nur Katowice, andere wollen jede existierende LoL League.

Auch machen wir Datenqualität sichtbar. Der Wert der Daten ist ein wichtiges Thema in unserer Branche. Er steigt mit der Geschwindigkeit der Daten. Entsprechend haben wir die Möglichkeit, Daten zu verzögern, um eine gewisse Produktdifferenzierung zu erreichen.

Daneben sind wir Enabler für andere Abteilungen, wie z. B. Sales, denn wir bauen Tools bzw. Web-Oberflächen, die Nicht-EntwicklerInnen helfen sollen, ein System zu bedienen. Meine eigene Rolle dabei ist im wesentlichen, Prozesse zu erklären, zuzuhören und zu koordinieren.

Was fasziniert dich an deinem Job?

Mich faszinieren drei Dinge:

  1. Als Manager kannst du gestalten, das finde ich total cool. Klar kannst du nicht machen, was du willst und du musst viele Stakeholder glücklich machen, aber du kannst immer wieder aktiv die Richtung vorgeben. Du musst dann natürlich auch den Kopf hinhalten, wenn etwas schief geht.
  2. Daneben fasziniert mich die Produktentwicklung: Da gibt es erst einmal nichts und dann setzt man sich mit schlauen Leuten zusammen und nach einiger Zeit entsteht da etwas. Man kann andere empowern, z. B. durch bestimmte Tools. Im Management hat man hier ganz klar die größeren und spannenderen Brocken.
  3. Ich bin ein Linker. Mein Jüngeres Ich würde mich vermutlich für einen Sell-Out halten, aber so manche meiner Überzeugungen haben sich nicht geändert. Manchmal denke ich, dass gewisse Ideale, wie z. B. jenes der Basisdemokratie, mir in meiner Position hilft. Ich sage zu meinen MitarbeiterInnen nicht, du machst das so und so. Entwicklung ist im höchsten Grade agil. Ich muss eine Richtung vorgeben, das ist ganz klar meine Aufgabe. Aber diese ausformen sollen die Leute im Team – und den Mut haben, mir zu sagen, wenn sie von meiner Idee nicht viel halten. Das ist heute in der Softwareentwicklung Standard. Wenn wir neue Leute für das Team einstellen, hat jeder im Team ein Vetorecht. Das ist zwar manchmal nicht besonders effizient, aber dafür haben wir ein super Teamgefühl. Auf Grund meiner politischen Sozialisierung sind für mich auch Themen wie Rassismus und Sexismus nicht nur Nebenthemen, was perfekt reinpasst in ein Startup mit stark internationaler Prägung.

Mit deinem Weg ins Management von Bayes Esports hast du die Rolle des Data Scientist hinter dir gelassen. Warum?

Data Science und Management lassen sich aus meiner Sicht nur bedingt miteinander vereinbaren, insbesondere, wenn Deadlines zusammenkommen. Ich sehe das selbst bei den Lead Developern, die teilweise Managementaufgaben haben. Die zerreißen sich zwischen Verantwortlichkeiten. Man hat den Eindruck, dass man nichts richtig macht.

Hinzu kommt aber sicherlich auch, dass das obere Management neu für mich war. Und nachdem ich das nun schon eine Weile mache, muss ich sagen: Dazu gehört ein Haufen Wissen. Man muss viel lernen und den Ehrgeiz haben, es gut zu machen. Schließlich hat man verdammt viel Verantwortung – nicht nur für ein großes Team, sondern für das gesamte Unternehmen. Das lässt sich, zumindest für mich, nicht nebenbei machen.

Was ist die größte Herausforderung beim Führen?

Die größte Herausforderung ist für mich, das ganze Team mitzunehmen. Was so 100% ja nur selten funktionieren wird. Entsprechend stellt sich die Frage, wie man damit umgeht, wenn jemand nicht mitziehen mag. Das ist teilweise ein emotionales Thema. Ich habe mich früher schwerer damit getan. Mittlerweile habe ich aber akzeptiert, dass ich es – auch wenn ich mich zu einer Brezel verknote – nicht immer allen werde recht machen können. Aber ich persönlich finde es immer noch schade, dass das so ist und versuche trotzdem noch das irgendwie hinzubekommen. Ich habe dabei oft Camus im Kopf: Wir müssen uns Sisyphos als einen glücklichen Menschen vorstellen.

Was sind die größten Herausforderungen, mit denen du und dein Team kämpfst?

Hahaha … schön, dass du es Herausforderungen nennst. Wir treiben gerade mehrere Projekte parallel voran. Nennenswert ist sicher Project V. Wir syncen da im Kern Live-Daten mit Video-Streams. Das erlaubt uns, Tools zu bauen, bei denen Ereignis-Getriggert (z. B. Tripple-Kill) und in Echtzeit automatisch kleine Video-Snippets generiert werden, die das Ereignis und seine Vorgeschichte zeigen. So etwas ist für das Broadcasting natürlich hochinteressant.

Was ist dein besonderer Beitrag zum Management(-Team)?

Unser CEO sagt immer, ich sei ein Kümmerer. Ich höre zu und versuche, Spielräume zu nutzen, damit die Leute sich bei ihrer Arbeit wohlfühlen. Regelmäßig bringe ich MitarbeiterInnen-Belange ins Management-Meeting ein.

Ich denke, auch mein Tech-Background ist bei bestimmten Entscheidungen von nicht unwesentlicher Bedeutung.

Worauf achtest du, wenn du neue MitarbeiterInnen einstellst?

Es gibt immer einen Programmier-Wissenstest. Ab einem bestimmten Prozentsatz werden die KandidatInnen für uns interessant. Relativ spät im Prozess machen wir auch einen Coding-Challenge in dem die KandidatInnen an etwas arbeiten können, das relativ nahe an dem liegt, das sie später im Job machen könnten. Die Leute müssen ihr Fach grundsätzlich beherrschen und direkt losstarten können.

Auch müssen sie eine Meinung haben – und diese vertreten. Wichtig ist aber auch, dass sie akzeptieren, dass man ggfs. nicht alles umsetzen kann. Diese Flexibilität ist wichtig. Man muss damit klarkommen, dass sich Prioritäten ändern. Ich mache das ich in jedem Interview klar.

www.mikefuchs-fotografie.de

Bayes Esports hat im Management QuereinsteigerInnen aus anderen Branchen wie check24 oder google. Lässt sich das auf dein Team übertragen oder suchst du gezielt nach Gamern? Wenn ja, wieso?

Ich stelle nur Gamer ein. Die können auch gern von Google kommen, aber sie müssen Gamer sein. Wir haben den Luxus, dass wir Leute einstellen können, die für unsere Themen brennen. Da gibt es sicher Firmen, bei denen die Themen weniger Fans haben. Wir spielen alle auch in unserer Freizeit Computerspiele. Es ist klar, dass die Motivation höher ist, wenn sich die Leute auf Arbeit mit ihren Freizeitthemen beschäftigen können.

Ihr habt mit BEDEX den weltweit ersten unabhängigen Marktplatz für Esports Daten entwickelt. Was zeichnet ihn aus?

BEDEX zeichnet zunächst aus, dass der Marktplatz keine Esports-Daten kennt. Wir haben BEDEX so aufgebaut, dass der Marktplatz Daten-Agnostisch funktioniert. BEDEX könnte entsprechend leicht auch normale Sport-Daten oder – um mal ein weiter entferntes Feld zu nehmen – jemandes Herzfrequenz ausliefern.

Ein weiteres zentrales Feature ist die Möglichkeit, Daten verzögert an unsere Kunden auszuliefern. Dies erlaubt uns eine gewisse Produktdifferenzierung, bei der es im Premium-Segment keinerlei Verzögerung gibt, während wir Kunden, die ein kostengünstigeres Produkt bevorzugen, bedienen können, indem wir eine gestaffelte Zeitverzögerung draufpacken.

ESL und Bayes Esports wollen den Esports professionalisieren. Dabei helfen soll CARP. Worum handelt es sich hierbei genau?

CARP ist ein Parser für CSGO und Dota 2, der wesentlich mehr Daten aus den Spielen rausholen kann als gängige Technologien wie z. B. Log-Parser. Die Breite an Daten, die wir damit liefern können, sind ein echter Marktvorteil. Wir haben unter anderem Positionsdaten im Sekundentakt. Das ist gerade, wenn du an die Visualisierung von Esports denkst, extrem spannend.

Ein weiterer Vorteil ist, das der Turnier-Organisator keine Software bei sich installieren muss. Auch sind wir in der Lage, ihm in dem Zusammenspiel CARP/BEDEX zu erlauben, seine eigenen Daten auf BEDEX anzubieten.

Wohin soll die Reise gehen? Wo steht Bayes Esports in 5 Jahren?

Wir werden der zentrale Ansprechpartner für Esports Live Daten sein. Die Leute kommen um uns nicht herum. Wir können unseren Kunden sämtliche Esports-Daten liefern, die am Markt verfügbar sind. Für unsere Partner, die uns ihre Daten zur Distribution zur Verfügung stellen, werden wir datengetriebene Tools zur Verfügung stellen, die eine noch bessere Community-Experience ermöglichen.

Was hat sich in der IT am stärksten geändert in den letzten Jahren?

Ich denke da an zwei Themen: Zum einen die Omnipräsenz der Cloud. Es stellt sich nicht mehr die Frage, ob man in die Cloud gehen soll oder nicht. Wenn es keinen expliziten wichtigen Grund gibt, ist die Serverinfrastruktur – zumindest für Startups – immer in der Cloud. Das zeigt sich auch bei den Erwartungen bezüglich Neueinstellungen Es geht z. B. nicht, dass heutzutage ein Kandidat für eine Senior-Position keine Cloud Erfahrung hat.

Das andere, was weniger die EntwicklerInnen als die Manager betrifft: Die Tools heute sind alle Browserbasiert. Ich brauche kein Macbook oder sonst was, sondern eigentlich nur einen Browser.

Ist das Informatik-Studium noch zeitgemäß? Welche Kompetenzen werden ggfs. nicht vermittelt?

Ich fand das Informatik-Studium noch nie zeitgemäß. Allein schon dieser unglaublich starke Schwerpunkt auf Mathematik. Damit werden so viele rausgeprüft, obwohl es nicht notwendigerweise die Fähigkeiten sind, die einen zu guten Software-EntwicklerInnen machen. Damit wird ein zu starker Fokus auf Wissenschaft gelegt. Aber die aller wenigsten InformatikerInnen verbringen ihr Berufsleben als Forscher. Die meisten entwickeln Software. Eine Sensibilisierung für die Produktentwicklung kommt im Studium meines Erachtens zu kurz.

Hast du 3 Tipps für IT-Studierende?

  1. Versucht, in der IT-Industrie zu arbeiten. Idealerweise als EntwicklerIn. Im Studium werden zu wenig Produktentwicklung-Schwerpunkte gesetzt. Die praktische Arbeit kann das gut vermitteln. Ich schaue bei den BewerberInnen direkt auf diese Erfahrungen.
  2. Lernt eure Inhalte zu präsentieren. Ansonsten bekommt man von anderen die Butter vom Brot genommen. Ihr solltet keine Angst haben, eure Entwicklungen und Arbeiten vorzustellen.
  3. Und natürlich sollte man herausfinden, was man mag und was nicht. Ich kann z. B. stundenlang Machine Learning-Modelle optimieren. Aber sobald ich einen Server Log anschaue, schlafe ich fast ein. Entsprechend lag mir persönlich Data Science immer näher als z. B. Backend-Entwicklung. Zu jedem Berufsfeld gehören bestimmte Tätigkeitsfelder, die gemacht werden müssen. Wenn man feststellt, dass man diese Tätigkeitsfelder nicht ausfüllen kann oder mag, dann sollte man sich anders orientieren.

Eine letzte Frage: was machst du, wenn du nach der Arbeit nachhause kommst?

Computerspiele spielen und von Zeit zu Zeit ein bisschen Balkon-Gärtnerei.

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