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Das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) tritt im Sommer 2025 in Kraft. Unternehmen sind damit gesetzlich verpflichtet, ihre digitalen B2C-Angebote barrierefrei zugänglich zu machen. Doch was genau bedeutet das? Und warum kann es sich für Unternehmen lohnen, schon jetzt mit der Umsetzung zu beginnen?

Für die meisten Menschen bedeutet der Fortschritt der Digitalisierung eine enorme Erleichterung im Alltag. Für sehr viele bringt er aber auch Hindernisse und Einschränkungen mit sich. In Deutschland leben rund acht Millionen Menschen mit einer amtlich anerkannten Behinderung. Bei zunehmender Digitalisierung und gleichzeitig fehlender digitaler Barrierefreiheit haben diese Menschen zu vielen Bereichen der digitalen – und folglich auch der analogen – Welt kaum Zugang.

Auch für ältere Menschen, die mit digitalen Angeboten nicht vertraut oder überfordert sind, wird eine zunehmend digitaleren Welt zur immer größer werdenden Herausforderung.

Um digitale Angebote für die große Mehrheit zugänglicher zu machen, hat die Bundesregierung das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) verabschiedet. Dieses verpflichtet private Marktakteure, die Barrierefreiheit ihrer Produkte und Dienstleistungen sicherzustellen. Viele von ihnen stehen aber mit der Umsetzung noch ganz an Anfang, zögern diese hinaus oder wissen nicht, was genau zu tun ist.

Digitale Angebote noch nicht barrierefrei

Nur 12 von 78 getesteten Onlineshops sind laut einer aktuellen Studie barrierefrei. Und auch die große Mehrheit der digitalen Angebote deutscher Unternehmen ist für Menschen mit Beeinträchtigung aufgrund fehlender digitaler Barrierefreiheit nicht in vollem Umfang zugänglich. Websites ohne Audio-Option sind für Nutzerinnen und Nutzer mit einer Sehbehinderung beispielsweise nicht barrierefrei. Für Menschen mit einer Sehbeeinträchtigung, die häufig im Alter auftritt, sind hohe Kontraste, gut leserliche Schriftarten und eine ausreichende Zoomfähigkeit (mind. 200%) wichtig. Nutzerinnen und Nutzer mit sehr eingeschränktem Sehvermögen sind auf einen Screenreader angewiesen. Beschriftungen, Beschreibungen von Bildern und Filmen, die Navigation durch Formulare oder Links zu anderen Webseiten sind für sie sonst nicht erreichbar – und somit nicht nutzbar.

Dank des BFSG sind Unternehmen künftig verpflichtet, den Zugang zu Webseiten, elektronischen Dokumenten oder mobilen Anwendungen allen Menschen ohne Hindernisse zu ermöglichen. Hersteller, Händler und Importeure der genannten Produkte sind dazu verpflichtet, das Gesetz umzusetzen. Ausgenommen sind Kleinstunternehmen, solange sie keine Produkte verkaufen. Die im Gesetz erwähnten Produkte und Dienstleistungen, wie etwa Computer, Notebooks, Smartphones, Geldautomaten und Check-in-Automaten, müssen ab 28. Juni 2025 barrierefrei sein. für Selbstbedienungsterminals gilt eine Übergangfrist von 15 Jahren.

Eine frühe Auseinandersetzung mit dem Thema lohnt sich

Die Herausforderung dabei: Die große Mehrheit der deutschen Unternehmen hat die Thematik noch nicht auf der Agenda.

Oftmals fehlt es an Wissen und einer geeigneten Organisationsstruktur. Denn es liegt nicht allein an der IT-Abteilung, sich um digitale Barrierefreiheit zu kümmern. Unternehmen, für die digitale Barrierefreiheit mehr als nur ein Lippenbekenntnis ist, treffen Entscheidungen auf der C-Level-Ebene. Vielerorts fehlt es aber noch immer am Bewusstsein dafür, wie wichtig diese Thematik ist. Eine Lösung wäre es, sich externe Barrierefreiheitsexperten in beratender Funktion zur Seite zu holen. Derzeit gibt es in Deutschland allerdings viel zu wenige dieser Fachleute. Da ab 2024 mit einer gesteigerten Nachfrage gerechnet werden kann, werden diejenigen Unternehmen profitieren, die vorausschauend handeln und sich frühzeitig mit der Thematik befassen.

Jetzt wäre für Unternehmen der passende Zeitpunkt, sich etwa darüber bewusst zu werden, welche digitalen Touchpoints es in ihrer Customer Journey (außer Webseiten oder dem Webstore) gibt. In diesem Zuge gilt es auch zu entscheiden, wie wichtig ihnen die Inklusion aller potenzieller Kundinnen und Kunden ist. An zwei simplen, aber richtungsweisenden Kernfragen können sich Entscheiderinnen und Entscheider in Unternehmen dabei orientieren:

Sind unsere digitalen Angebote für die große Mehrheit wirklich zugänglich? Und können wir es uns überhaupt leisten, potenzielle Kundinnen und Kunden von unseren Angeboten auszuschließen?

Denn digitale Barrierefreiheit und die Förderung von Teilhabe wirkt sich positiv auf das Image eines Unternehmens aus und kann den Kundenkreis erweitern. Denn nicht nur Menschen mit Behinderung oder Beeinträchtigung, sondern auch die bereits exemplarisch erwähnten älteren Menschen und Nichtmuttersprachler sind aufgrund der fortschreitenden Digitalisierung zunehmend auf digitale barrierefreie Angebote angewiesen.

Sich frühzeitig mit der Umsetzung des BFSG auseinanderzusetzen kann also zu einem Wettbewerbsvorteil werden und kurz- bis mittelfristig zu einer merklichen Wanderung im Kundenstamm führen. Denn Menschen, die aufgrund bestimmter Einschränkungen digitale Angebote kaum oder gar nicht nutzen können, werden durch barrierefreie digitale Angebote hinzugewonnen. Aktuell wird eine Umsatzsteigerung für Unternehmen von bis zu 10 Prozent in Fachkreisen gehandelt, die sich bis dato noch nicht mit dem Thema digitale Barrierefreiheit beschäftigt haben.

Mehr digitale Teilhabe

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Umsetzung digitaler Barrierefreiheit nur dann gelingt, wenn bei der Entwicklung digitaler Angebote von Anfang an mit dem Thema gearbeitet wird. Je früher Unternehmen ein Bewusstsein dafür entwickeln, dass barrierefreie digitale Angebote für sehr viele Menschen eine unmittelbar positive Auswirkung auf den Lebensalltag bewirken und konsequent mit der Umsetzung der Anforderungen durch das Gesetzes beginnen, desto mehr Vorteile entstehen. Fehlen innerhalb des Unternehmens die Ressourcen, hier positive Veränderungen herbeizuführen, ist die Hinzuziehung externer Experten ein erster Schritt zur aktiven Gestaltung der Digitalisierung.

Alle Akteure, die neue digitale Welten erschaffen, stehen letztlich in der gesellschaftspolitischen Pflicht, sich der Schaffung digitaler Zugänglichkeit zu verschreiben. Das BFSG ist ein wichtiger Schritt und soll dazu anhalten, digitale Barrierefreiheit umzusetzen – aber ein Gesetz allein wird dies weder durchsetzen noch nachhaltig etwas verändern! Denn fehlende digitale Teilhabe bedeutet in Zeiten der Digitalisierung auch fehlende soziale Teilhabe – und das können wir uns als Gesellschaft auf Dauer nicht leisten.

Michael Düren

Michael Düren ist seit 2016 Leiter des Geschäftsfelds IT und verantwortet zudem den Bereich "Digitale Barrierefreiheit" bei der in München ansässigen Stiftung Pfennigparade. Er beschreibt sich als Accessibility Advocate - jemand, der Zugänglichkeit und Barrierefreiheit sowie den gesellschaftlichen Diskurs darüber aktiv fördert.

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