Deutschlands Einkaufswelt ist um eine Bastion ärmer geworden. Die Jahrzehnte währende Erfolgsgeschichte von Versandhausriese Quelle endet jedoch nur vordergründig abrupt: Tatsächlich ist es dem Unternehmen schon vor Jahren nicht gelungen, sich rechtzeitig im boomenden Online-Handel zu etablieren. Chaos und hektische Schuldzuweisungen bereiteten dem Traditionsunternehmen nun ein unwürdiges Ende. Ein Nachruf.
Von Unternehmer.de-Reporterin Linda Csapo
Die Realität ist offenbar noch nicht im Internet angekommen: „Sind Sie auf der Suche nach einer interessanten neuen Stelle? Hier können Sie sich direkt auf ein Stellenangebot bewerben!“ heißt es nach wie vor auf den Karriere-Seiten von Quelle.de: „Wir haben viel vor. Auch mit Ihnen!“ Und weiter: „Auf Kurs in die Zukunft!“
Tatsächlich ging der Kurs, den Europas einst größtes Versandhaus in den vergangenen Jahren eingeschlagen hat, geradewegs ins Bodenlose – die Geschwindigkeit der Talfahrt war dabei atemberaubend. Noch im Sommer 2002 freute sich das Unternehmen mit einem Umsatz von 4 Milliarden Euro über zweistellige Wachstumsraten. Das rauschende Fest zum 75. Firmenjubiläum wurde von TV-Liebling Günther Jauch moderiert, 26.000 Mitarbeiter feierten europaweit mit.
Nun ist nur wenige Jahre später mit der endgültigen Abwicklung von Quelle eine beispiellose Entlassungswelle angerollt: „Die größte innerhalb einer Woche in der Geschichte der Bundesagentur für Arbeit“, so Rainer Bomba, Chef der Regionaldirektion Bayern. Was war geschehen?
Fliegender Wechsel auf der Chef-Etage
Fehleranalysen und Schuldzuweisungen kursieren derzeit viele, und sicherlich lässt sich nicht ein einzelner Sündenbock ausmachen. Die meisten Bürger sehen jedoch in der Person Madeleine Schickedanz die Hauptverantwortliche: Die sich nun öffentlich zur Armut bekennende Quelle-Erbin habe immer wieder neue Manager ins Unternehmen geholt und dabei die Zügel des jahrzehntelang von ihren Eltern geführten Unternehmens viel zu leichtfertig aus der Hand gegeben. Gegenüber der Bild-Zeitung gab sie selbst zu: „Ich habe viel zu spät gemerkt, dass ich die Kontrolle verloren hatte.“
Auch der Name Thomas Middelhoff fehlt in kaum einer Schuldzuweisung: Der frühere Arcandor-Chef sollte ab Mai 2005 auf Wunsch von Madeleine Schickedanz den angeschlagenen Konzern sanieren, verkaufte im Zuge dessen die Karstadt-Kaufhäuser, um sie wenig später teuer zurückzumieten, strich hunderte Stellen und erklärte das marode Unternehmen schließlich für saniert – bevor er im März 2009 mit einer Millionenabfindung das sinkende Schiff verließ.
Für bundesweite Empörung sorgte auch sein Nachfolger Karl-Gerhard Eick, dem nach nur 185 Tagen auf dem Chefposten sagenhafte 15 Millionen Euro an Abfindung zustanden – das entspricht 81.000 Euro für jeden einzelnen Tag im Amt. Und nun wird auch die Kritik an Insolvenzverwalter Klaus Hubert Görg immer lauter: Er habe im Verkaufsprozess gravierende strategische Fehler und mangelnde Transparenz zu verantworten. Zu allem Übel verbreitete er auch noch wenige Tage vor dem endgültigen Aus unbegründeten Optimismus mit der falschen Hoffnung auf einen Investor.
Doch dieses Chaos im Schlussakt erklärt nicht, weshalb Quelle überhaupt so tief in die roten Zahlen rutschen konnte. Denn dafür, so sind sich Experten einig, sind in erster Linie die Versäumnisse des Unternehmens im Internetzeitalter verantwortlich.
Internet-Zeitalter verschlafen
Während Quelle seine Kunden noch unbeirrt im altmodischen, kiloschweren Katalog blättern ließ, zogen andere Anbieter längst auf der virtuellen Überholspur vorbei. Quelle hatte den Handel übers Internet schlichtweg verschlafen, der kostspielige Haupt- und die bis zu 20 Spezialkataloge blieben stets die wichtigsten Verkaufsinstrumente. Als sich Quelle dann doch laut Firmenangaben als angeblicher „Pionier im E-Commerce“ etablieren wollte, hatten sich Amazon und Ebay den Markt längst untereinander aufgeteilt.
Auch Versandhauskonkurrent Otto reagierte rechtzeitig auf die neue Ära: Das Hamburger Unternehmen hatte früh auf intensive Online-Vermarktung gesetzt und dadurch Quelle als Nummer Eins im deutschen Versandhandel abgelöst. Hinter dem unangefochtenen Marktführer Amazon ist Otto mittlerweile sogar weltweit der zweitgrößte Internet-Verkäufer.
Es ist also ein Irrglauben, den Niedergang von Quelle mit einer Krise des Versandhandels an sich gleichzusetzen. Die Branche steckt tatsächlich mitten im Boom, die Deutschen haben soviel Spaß am Home-Shopping wie nie zuvor. Der Bundesverband des Deutschen Versandhandels schätzt, dass die Bundesbürger 2009 mehr denn je im Online- und Versandhandel ausgeben werden: Mit 29 Milliarden Euro Jahresumsatz führt die Branche selbst im Krisenjahr ihren Wachstumskurs fort. Der E-Commerce bietet also einen sicheren Zukunftsmarkt für diejenigen, die sich von der Vergangenheit rechtzeitig loslösen konnten.
Versagen der Politik?
Nun bleibt noch die Frage: Hätte die Politik mit einer Intervention à la Opel dem strauchelnden Riesen nicht unter die Arme greifen können, ja müssen? Der Blick geht Richtung Berlin: „Die Frage bleibt, warum Quelle nicht Opel gewesen ist,“ so Nürnbergs Oberbürgermeister Ulrich Maly. Doch als im Juni in den Ministerien in Berlin und in der Münchner Staatskanzlei über Staatshilfen beraten wurde, war den Experten bereits bewusst, dass Quelle damit allenfalls Zeit gewinnen, nicht jedoch gerettet werden könne.
Mitten im Bundestagswahlkampf stellte sich Horst Seehofer dennoch mit dem druckfrischen Quelle-Katalog in der Hand vor das Hauptgebäude und ließ sich als vermeintlicher Retter bejubeln: „Quelle hat diese Chance verdient!“ rief er der Belegschaft zu. „Tausend Wünsche. Eine Quelle“ war dabei als Titel auf dem Winterkatalog zu lesen, den Seehofer stolz in die Kameras hielt. Dieser wird seitdem von den ehemaligen Quelle-Mitarbeitern höhnisch „Seehofer-Gedächntis-Katalog“ genannt – gedrucktes Zeugnis für die Ohnmacht der bayerischen Politik
Zuvor hatte die Europäische Kommission nämlich den Konzern längst als nicht förderungswürdig eingestuft und sich gegen Staatshilfen ausgesprochen – Quelle habe ja bereits vor der Bankenkrise in hausgemachten Schwierigkeiten gesteckt. Seehofers Parteikollege und damaliger Bundeswirtschaftsminister Karl-Theodor zu Guttenberg warnte deshalb vor dem Trugschluss, Quelle könne mit Regierungsgeldern gerettet werden. So wurde die erhoffte Staatsbürgschaft von 650 Millionen Euro letzten Endes auch verweigert, und es kam darüber zum offenen Streit zwischen Senkrechtstarter Guttenberg und seinem Parteivorsitzenden. Seehofer habe jedenfalls „alle Register gezogen, um den Standort zu retten“, wie er nach dem Quelle-Aus verlauten ließ.
Außer der bayerischen SPD will heute deshalb niemand mehr über politisches Versagen sprechen. Im Oktober waren sich CSU, Grüne, FDP und die Freien Wähler in einer Aussprache im Landtag fraktionsübergreifend darüber einig, dass die Regierung die massiven Management-Fehler nicht hätte ausgleichen können: Die Nachfolger von Gründerpaar Gustav und Grete Schickedanz seien schlichtweg nicht in der Lage gewesen, das Unternehmen erfolgreich zu führen. „Ich glaube, was politisch zu tun war, ist politisch getan worden“, sagt auch Fritz Schösser, der bayerische DGB-Chef.
Begräbnis statt Geburtstagsfeier
Dennoch ist es den nun zu Tausenden arbeitslos gewordenen Quelle-Mitarbeitern schwer zu vermitteln, warum damals bei Opel dasselbe Problem mit anderen Mitteln angegangen wurde: Zu Guttenberg, der auch bei Opel eine Insolvenz befürwortete, knickte ein und die Gelder flossen. Der Verdacht liegt nahe, dass im Wahlkampf schlichtweg andere Regel galten: Die Rettung von Opel wurde zur Prestigefrage. Ulrich Maly wirft der Bundesregierung deshalb auch vor, bei den Rettungsbemühungen für Opel und Quelle „mit zweierlei Maß“ gemessen zu haben.
Am 26. Oktober hätte das Traditionsunternehmen jedenfalls sein 82. Firmenjubiläum feiern können. Nun wird es statt einer Geburtstagsfeier ein Firmenbegräbins. Nur auf der Quelle-Homepage ist diese Nachricht noch nicht angekommen: „Wir blicken nach vorne. Sie auch?“ ist dort nach wie vor zu lesen.
(Bild: © Peter Kerkhoff – Fotolia.com)
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