In Erwartung einer Leistung, sei es ein Service oder eine Produktnutzung, funktioniert unser Hirn so: Es befürchtet das Schlimmste und hofft auf das Beste. Dies wird beeinflusst durch eigene positive oder negative Vorerfahrungen, durch Empfehlungen Dritter, durch die Kommunikationsmaßnahmen des Anbieters oder die Bestform der Mitbewerber.
Und nun gleicht unser Kunde durch diesen Filter subjektiver Wahrnehmung seine Erwartungen mit der erhaltenen Leistung ab. Und das Resultat? Ungenügend? Mangelhaft? Befriedigend? Sehr gut? Unerwartet gut? An dieser ur-persönlichen und von der jeweiligen Tagesform abhängigen Beurteilung werden Sie gemessen.
Ist der Kunde gut drauf, fällt das Ergebnis blendend aus. Hat er einen rabenschwarzen Tag, kommen bei aller Anstrengung auch Sie nicht gut weg.
So ist etwa die viel beschworene Qualität keine objektiv messbare Leistung. Sie entsteht vielmehr immer subjektiv im Kopf des Nutzers und wird von jedem anders definiert.
Qualitätsstandards, die Ihnen passend erscheinen, können für den Kunden völlig inakzeptabel sein. Denn seine Messlatte liegt deutlich höher. In jedem Fall gilt: Um ihn zu begeistern, werden Sie seine Erwartungen übertreffen müssen.
Das Denken in den folgenden drei Kategorien (inspiriert durch das Kano-Modell des japanischen Universitätsprofessors Noriaki Kano) ist beim Umgang mit Kundenerwartungen hilfreich: Bestrafungs-, OK- und Begeisterungsfaktoren. Diese sollten für jeden Kundenkontaktpunkt ermittelt werden – gemeinsam mit den Mitarbeitern und aus Sicht des Kunden betrachtet.
Bestrafungsfaktoren
Mit dieser Kategorie von Produkt- und Dienstleistungsmerkmalen können Sie Ihren Kunden weder begeistern noch befriedigen, aber Sie können es sich gründlich mit ihm verderben. Wenn Sie etwa einen Elektriker beauftragen, bei Ihnen zu Hause eine Designer-Lampe zu montieren, werden Sie eine schlussendliche Funktionsprüfung erwarten. Wird diese nicht durchgeführt und stellen Sie fest, kaum dass der Elektriker das Haus verlassen hat, dass die Lampe nicht brennt, werden Sie sehr unzufrieden sein. Macht er die Prüfung, ist das für Sie ganz normal, also nicht der Rede wert.
Mängel oder Fehler bei Bestrafungsfaktoren tolerieren wir nicht, da es sich dabei einfach um Selbstverständlichkeiten handelt (so denken wir). Unsere negative Reaktion ist überproportional stark, vor allem wenn von unserem Auftragnehmer dann noch die Antwort kommt, man möge sich wegen dieser Kleinigkeit nicht so aufregen, das könne schon mal passieren.
Wer treue Kunden und positive Empfehler will, dem dürfen keinerlei Bestrafungsfaktoren vorkommen. Gerade Fehler bei ‚Nichtigkeiten‘ geben dem Kunden das Gefühl der offensichtlichen Missachtung. Ergebnis: Er wird Sie bestrafen, so gut er nur kann – indem er nämlich alle in seinem Umfeld warnt!
Identifizieren Sie, welche Faktoren für Ihre Kunden ‚musts‘ sind und stellen Sie sicher, dass zumindest diese bei jedem Kunden immer zu 100 Prozent erfüllt werden. Über alle Branchen hinweg sind das Aspekte wie etwa Sicherheit, Sauberkeit, Höflichkeit und Ehrlichkeit.
Zusatzleistungen und Begeisterungsfaktoren bleiben völlig wirkungslos, solange es noch derbe Bestrafungsfaktoren gibt. Sehr deutlich erleben wir das bei der Bahn. Wir können weder den Service am Platz noch den hilfsbereiten Zugführer goutieren, wenn jeder dritte Zug Verspätung hat.
OK-Faktoren
Wenn Sie über die Vermeidung von Unzufriedenheit hinauswollen, müssen Sie an den OK-Faktoren arbeiten. Mit denen haben Sie, im Gegensatz zu den Bestrafungsfaktoren, die Chance, über den Zufriedenheitsnullpunkt hinauszukommen. Ein schönes Beispiel dafür ist die Freundlichkeit.
Ist Ihr Elektriker bei der Montage unfreundlicher als Sie erwarten dürfen (denn schließlich sind Sie ja der Kunde), werden Sie unzufrieden sein, auch wenn die Lampe funktioniert. Ist er so freundlich wie Sie es von einem Elektriker erwarten, werden Sie weder unzufrieden noch begeistert sein. Übertrifft er aber Ihre Freundlichkeitserwartungen deutlich, werden Sie ihn – wenn die Lampe dann immer noch funktioniert und er nicht nur nett mit Ihnen geplaudert hat – womöglich auch beim nächsten Mal anrufen und mit einem neuen Auftrag belohnen.
Die OK-Faktoren gilt es zu identifizieren und dafür zu sorgen, dass mindestens das erwartete bzw. als selbstverständlich erachtete Niveau erreicht wird. Dazu gehören termingerechte Lieferungen, vollständige Bestellungen, eingehaltene Versprechen usw. Dem Kunden kommt es womöglich gar nicht auf den ganzen Service-Schnickschnack an, der bei Ihnen eine Kostenexplosion verursacht. Für ihn müssen zunächst die Kernleistungen stimmen.
Begeisterungsfaktoren
Die ergiebigste Kategorie für Kundentreue und massenhaft Empfehlungen? Das sind die Begeisterungsfaktoren. Mit diesen können Sie nur gewinnen. Ein Fehlen wird Ihnen vom Kunden nicht übel genommen, aber wenn Sie ihm diese bieten, wird er Sie dafür lieben.
Wenn also der Elektriker nach der Montage und der Überprüfung noch höflich fragt, ob Sie im Schein dieser Lampe bevorzugt lesen oder Fernsehen wollen, Ihnen dem entsprechend eine Empfehlung für einen bestimmen Strom sparenden Glühbirnen-Typ gibt und diese gleich noch einsetzt, Ihr Wohnzimmer so sauber verlässt wie er es betreten hat und Ihnen den kleinen Aufpreis für die Sparlampe mit einem netten Augenzwinkern und einem herzlichen ‚gern geschehen’ erlässt (da es angesichts des Lampenpreises wirklich keine Rolle spielt), werden Sie wahrscheinlich sehr positiv überrascht, vielleicht sogar ein wenig begeistert sein.
Und wenn Sie dann ein paar Tage später hinter der Gardine einen plüschigen Knut-Teddy finden, der Sie von Ihrem Elektriker herzlich grüßen soll und erklärt, es sei bei Ihnen so schön, dass er gerne bleiben möchte, ja dann sind Sie womöglich restlos begeistert – und erzählen die Geschichte gleich weiter.
Viele Begeisterungsfaktoren haben ihren Ursprung nicht nur in dem, was getan wird, sondern vor allem in dem, wie etwas getan wird. Gerade, wenn bei Dienstleistungen der Kunde in den Produktionsprozess mit eingebunden wird, merkt er sehr schnell, ob die Mitarbeiter ihren Job ‚liebevoll‘ oder ‚lieblos‘ erbringen. Man spürt beim Arzt, ob er die Untersuchung nach Schema F durchführt oder ob ihm das Wohlbefinden des Patienten wirklich am Herzen liegt. Und man spürt, ob die Spritze liebevoll oder lieblos gesetzt wird.
Man spürt die Begeisterung der Kellner beim Lieblingsitaliener und die Uninteressiertheit bei der 08/15-Gaststätte von nebenan. Man spürt, ob die Verkäuferin einem wirklich etwas Passendes verkaufen möchte oder ob sie nur lustlos ihre acht Stunden ableiert und Thekenbewacherin spielt. Studien haben gezeigt, dass die Qualität während der Leistungserbringung höher bewertet wird als das Schlussergebnis.
Doch gerade die ‚weichen’ Faktoren, also der herzliche, liebevolle und zuvorkommende Umgang mit dem Kunden kann nicht per Dienstanweisung angeordnet werden. Ist dem so, erhalten wir Kunden höchstens ein ‚Muss-Lächeln‘, und das wird sofort enttarnt. Das echte, wahre Lächeln und all die vielen kleinen freiwilligen Gesten des Entgegenkommens, die sich so gut anfühlen, sind eine Frage der Einstellung, also des ‚wollen wollens’ der Mitarbeiter.
„Make your customer Wow“
Welche Erlebnisse hat nun der Kunde bei Ihnen, die ihn begeistern und damit zum Weitersagen treiben? Hat Ihre Dienstleistung Empfehlungspotenzial? Oder bekommt man bereits beim ersten Kontakt einen Schrecken? Bewacht ein leibhaftiger Cerberus Ihren Laden oder Ihre Telefonzentrale? Machen Ihre Mitarbeiter Dienst nach (ISO-Norm-) Vorschrift, oder wachsen sie auch schon mal über sich hinaus, um Kunden zu betören?
Bei der amerikanischen Franchisekette Build-a-Bear, die inzwischen auch Standorte in Europa hat, können Kunden nicht nur knuffige Plüschbären kaufen. Vielmehr baut dort eine Mitarbeiterin den Wunschteddy überaus liebevoll nach den ganz individuellen Kundenvorstellungen zusammen. Der Clou bei der Sache: Der Teddy bekommt ein kleines Herz, das der zukünftige Besitzer küsst, bevor es die Mitarbeiterin im Brustraum des Plüschtiers unterbringt. Die Wirkung ist einfach rührend.
Wo zeigt Ihr Produkt eine solche Wirkung, über die man fasziniert spricht? Begeistern und faszinieren heißt auch, nicht alles was eine Dienstleistung hergibt, vorab preiszugeben. Überraschen Sie den Kunden doch einmal mit einem Detail, mit dem er überhaupt nicht gerechnet hat. ‚So machen die das also‘, sagt der Kunde entzückt. ‚Das hätte ich nicht gedacht!‘. Die Überraschung kann etwas Materielles sein – oder eine zwischenmenschliche Geste. Der Fahrer einer Senioren-Busreisegruppe, der sich beispielsweise einen Frack anzieht und majestätisch klingende Musik einlegt, während er den Gästen ein Glas eisgekühlten Sekt serviert, wird garantiert in guter Erinnerung bleiben – und zum beliebten Gesprächsthema bei der Rückkehr.
In einer von der Kommunikationsagentur Weber Shandwick durchgeführten Online-Befragung mit 4000 Konsumenten aus vier europäischen Ländern bezeichnen sich übrigens vier von zehn Befragten selbst als Advokaten ‚ihrer‘ Marke. Über 70 Prozent dieser Advokaten motiviert die Fähigkeit ‚ihrer‘ Marke, unerwartete und lustige Erlebnisse zu schaffen, zu einer aktiven Empfehlung. Eine Steigerung positiver Überraschungsmomente kann also die Weiterempfehlungswahrscheinlichkeit überproportional verbessern.
Wer fragt, gewinnt
Allerdings können wir höchstens erahnen, aber niemals sicher wissen, ob und wann ein Kunde begeistert ist – oder eben auch nicht. Aus diesem Grund ist es sinnvoll, den Kunden nicht nur zu beobachten, sondern ihn diesbezüglich auch zu befragen. Nachdem man ihm einzelne Leistungsmerkmale vorgestellt hat, bietet man ihm folgende Antwortmöglichkeiten an:
- Das wäre einzigartig.
- Das würde mich begeistern.
- Das würde ich als selbstverständlich erwarten.
- Das wäre mir egal.
- Das würde mich sehr stören.
Dem entsprechend lässt sich ein besseres Kundenverständnis entwickeln und auf Kundenwünsche individueller eingehen. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass Kunden nicht immer wissen, was sie wollen, dass sie keinen Zugang zu ihren wahren Motiven haben oder im Einzelfall auch berechnenderweise falsche Angaben machen. Andererseits ist es durch solche Befragungen sogar möglich, drohende Kundenverluste zu vermeiden. Und: In den Extremen, also in massiven Unzufriedenheiten ebenso wie in hehrer Kundenbegeisterung stecken die größten Innovations-Chancen.
Weitere Artikel dieser Serie:
Kundenbegeisterung: Ein Turbo für den Erfolg (Teil I)
(Buchtipp: Anne M. Schüller: Kundennähe in der Chefetage)
(Bild: © ioannis kounadeas – Fotolia.de)
Der Artikel von Frau Schüller ist ausgezeichnet. Wir setzen jedoch noch etwas früher mit den Voraussetzungen für die Begeisterung an. Die Frage ist: Was sind die wirklichen Erfolgsfaktoren, die zu guten Ergebnissen und zu begeisterten Kunden führen? Wir nennen es Indirect Marketing, da es nicht mit dem direkten Verkauf, sondern mit den Vorbereitungen für einen erfolgreichen Verkauf zusammenhängt. So wird durch eine attraktive Unternehmensvision ein gemeinsames Ziel für alle Mitarbeiter definiert, dass die Energie und Investitionen in eine bestimmt Richtung lenkt und konzentriert. Eine gute und erfolgsorientierte Stimmung durch einen wertschätzenden Umgang (intern und extern) ist ebenfalls ein wesentlicher Erfolgsfaktor. Vertrauen in die Möglichkeiten der Mitarbeiter ist ebenfalls eine wichtige Voraussetzung für den Erfolg. Durch Freiheiten wird Kreativität gefördert, gleichzeitig gilt es die dazugehörende Verantwortung zu verdeutlichen. Die Lieferanten können als wesentliche Erfolgsfaktoren durch ihr Knowhow sehr wesentlich zum Firmenerfolg mit beitragen. Auch gute Berater (Steuer, Recht, Betriebswirtschaft, Führung und Vertrieb, Professoren und Wissenschaftler, etc.) können die Möglichkeiten des Unternehmens befruchten. Durch soziales Engagement und ein wertschätzendes Miteinander wird das Image nach außen, wie auch nach innen geprägt. Wenn jeder Mitarbeiter als wichtiger Teil des Ganzen gesehen und vor allem behandelt wird, dann ist dies ein wichtiger Beitrag zur Kundenbegeisterung. Wenn die Mitarbeiter stolz sind auf „ihr“ Unternehmen, wenn qualifizierte Fach- und Führungskräfte Schlange stehen und wenn die Kunden begeistert von den Produkten und dem Image des Unternehmens sind, dann sind die wesentlichen Ursachen für die Kundenbegeisterung geschaffen. Das hilft nicht nur dem Verkäufer sondern jedem Mitarbeiter mit einem attraktiven und nachhaltig sicheren Arbeitsplatz. Ihr Robert Knitt von der IMBEMA Consult