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An Projekte werden meist viele Erwartungen gestellt – zum Beispiel: Die Wartungskosten der Maschinen sollen sinken, die Durchlaufzeiten sollen sich verkürzen, die Kundenzufriedenheit soll sich erhöhen. Hinter diesen rationalen Anforderungen verbergen sich auch emotionale Bedürfnisse der Anspruchsgruppen. Nur wenn ein Projektleiter sie erkannt und angemessen auf sie reagiert, gewinnt er die nötige Unterstützung.

Als Projektleiter haben Sie gewiss schon einmal folgende Situation erlebt: Sie sind auf Unterstützung angewiesen. Im Lenkungskreis ernten Sie mit Ihrer Anfrage ringsum zustimmendes Kopfnicken. Die Linienverantwortlichen sagen Ihnen ihre volle Unterstützung zu.

Geht es jedoch wenig später darum, das Versprechen einzulösen, haben alle anderen Aufgaben höchste Priorität – nicht aber Ihr Projekt. Und Sie fragen sich: Muss ich nun um jeden Mitarbeiter kämpfen?

Wenn Sie vor einer solchen Herausforderung stehen, sollten Sie sich dringend mit den Erwartungen der Linienverantwortlichen an das Projekt auseinandersetzen. Wissen Sie, was deren Erwartungen sind? Haben Sie diese angemessen im Projekt berücksichtigt? Und: Wissen die Linienverantwortlichen davon?

Im besten Fall formulieren die beteiligten Anspruchsgruppen ihre Erwartungen an ein Projekt wie folgt:

  • „Ich möchte, dass das Projekt zum vereinbarten Termin abgeschlossen wird.“
  • Oder: „Ich erwarte von dem Projekt eine bessere Auslastung meiner Mitarbeiter.“
  • „Ich erhoffe mir eine deutlich höhere Kundenzufriedenheit.“
  • Oder: „Ich hoffe, die Wartungskosten werden nach dem Projekt deutlich niedriger sein.“

Und im schlimmsten Fall: „Ich erwarte mir von dem Projekt überhaupt nichts. Es wird sowieso nur mehr Arbeit auf mich zukommen.“

Projektmanagement und Projektleitung: Wie entstehen Erwartungen?

Lassen Sie uns eine dieser Erwartungen genauer unter die Lupe nehmen. Die Aussage „Ich hoffe, die Wartungskosten werden nach dem Projekt deutlich niedriger sein“, könnte von einem Linienverantwortlichen formuliert werden, der weiß, dass er seine Budgetvorgaben erneut nicht einhalten wird.

Und er fragt sich vielleicht, ob ihn sein Bereichsleiter noch ein weiteres Mal vor der Geschäftsführung decken wird. Vielleicht ist der Druck, der auf seinen Schultern lastet, so hoch, dass er beginnt, sich Sorgen um seine eigene Zukunft im Unternehmen zu machen.

Wie wir sehen, kann hinter der nüchtern formulierten Erwartung „Ich hoffe, die Wartungskosten werden nach dem Projekt deutlich niedriger sein“ ein handfestes Bedürfnis stecken. Der Linienverantwortliche sorgt sich um seinen Arbeitsplatz.

Er braucht Gewissheit, dass ihm das Projekt dabei hilft, seinen Arbeitsplatz zu sichern. Können Sie ihm das Vertrauen nicht geben, dass Ihr Projekt dieses Bedürfnis erfüllt, wird er Sie kaum unterstützen. Solcherlei Bedürfnisse nennen wir emotionale Bedürfnisse. Sie verbergen sich hinter jeder Erwartung.

Diese Bedürfnisse lassen sich in drei Gruppen einteilen:

  • Der Wunsch nach Sicherheit, Gewissheit, Dauerhaftigkeit und Stabilität.
  • Der Wunsch nach Fairness, so behandelt zu werden, wie man es für gerechtfertigt hält.
  • Der Wunsch nach einem verbesserten Selbstwertgefühl.

Emotionale Bedürfnisse werden so gut wie nie offen formuliert – insbesondere von Personen, die Managementpositionen innehaben. Dahinter steht oft die Angst, sich in eine Abhängigkeitssituation zu begeben, wenn man zu offen ist.

Emotionale Bedürfnisse sind jedoch der Schlüssel zur Unterstützung für Ihr Projekt. Erst wenn Sie die emotionalen Bedürfnisse treffen und Ihrem Gegenüber das Gefühl geben, diese verstanden zu haben, wird er sich im Gegenzug für Ihr Projekt einsetzen.

Nehmen wir an, in unserem Beispielprojekt geht es darum, ein in die Jahre gekommenes IT-System durch ein neues System zu ersetzen. Eine angemessene Reaktion des Projektleiters auf die formulierte Erwartung „Ich hoffe, die Wartungskosten werden nach dem Projekt deutlich niedriger sein“ könnte darin bestehen, den Ursachen für die hohen Wartungskosten auf den Grund zu gehen und die Projektergebnisse so auszurichten, dass sie der Linie bereits früh im Projekt einen Nutzen bringen.

Zum Beispiel in Form einer verbesserten Dokumentation der betroffenen Funktionalität. Der Linienverantwortliche spart sich dadurch eventuell ein paar Tage für das Bearbeiten aktueller Kundenanfragen. Der Linienvorgesetzte wird sich sicherer fühlen und dem Projekt mehr Vertrauen entgegenbringen.

Projektmanagement und Projektleitung: Die Zusammenhänge im Überblick

Ob Sie Unterstützung erhalten oder nicht, hängt mittelbar mit den emotionalen Bedürfnissen der jeweiligen Anspruchsgruppen zusammen. Diese werden in der Regel in Form von Erwartungen oder Projektzielen/Anforderungen artikuliert. Es reicht nicht aus, diese Erwartungen oder Ziele am Ende des Projekts zu erfüllen.

Vielmehr müssen Sie den Anspruchsgruppen, von denen Sie sich Unterstützung erwarten, bereits früh im Projekt das Gefühl geben, dass Ihr Projekt dazu beitragen wird, ihre wirklichen Bedürfnisse zu erfüllen.

In diesem Zusammenhang ist ein Modell aus der Spieltheorie hilfreich. Es beschreibt das Verhalten von Spielern in Spielen mit mehreren Zügen und trägt die Bezeichnung „Tit-for-Tat“. Spielt ein Spieler nach dieser Strategie, wird er beim ersten Spielzug kooperieren und danach genauso handeln wie sein Gegenspieler im vorangegangenen Spielzug.

Hat der Gegenspieler ebenfalls kooperiert, wird der „Tit-for-Tat“-Spieler auch im nächsten Spielzug kooperieren. Hat der Gegenspieler nicht kooperiert, vergeltet der „Tit-for-Tat“-Spieler dies mit unkooperativem Verhalten im nächsten Spielzug.

Die „Tit-for-Tat“-Strategie lässt sich auf Projekte übertragen: Wann immer Personen in einer Verhandlungssituation stehen, werden sie nur solange kooperieren, wie ihr Gegenpart kooperiert. Wir können davon ausgehen, dass sich eine Anspruchsgruppe im Projekt nicht einseitig ausbeuten lässt.

Nur wenn die betroffenen Personen die Ergebnisse oder das beobachtbare Verhalten positiv/kooperativ interpretieren, werden sie sich im Gegenzug ebenfalls kooperativ verhalten. Zu Beginn eines Projekts werden sie sich tendenziell kooperativ verhalten.

Beachten Sie hierbei nicht nur den Zeitraum ab Projektstart. Stellen Sie sich Fragen wie: „Welche Historie hat das Projekt?“, „Was geschah bisher zwischen der betroffenen Person und dem Projektauftraggeber?“, „Welche vergangenen Aktionen von mir könnten das Verhalten von betroffenen Personen beeinflussen?“

Projektmanagement: Konsequenzen für das Verhalten als Projektleiter

In der Kommunikation mit Anspruchsgruppen gibt es vier Schlüssel zu wirklicher Unterstützung: Vertrauen, Integrität, Begeisterung und Leidenschaft.

1. Schlüssel: Vertrauen

Die Anspruchsgruppen im Projekt werden Sie daran messen, ob Sie Versprechen und Zusagen erfüllen. Sie werden registrieren, ob Sie das täglich tun und ob Ihr Einsatz stimmt. Sie werden dies an Ihrem Verhalten festmachen oder an sichtbaren Ergebnissen aus dem Projekt. Wird eine Erwartung an das Projekt nicht erfüllt, wird die betroffene Person tendenziell weniger kooperationsbereit sein. Wird eine Erwartung erfüllt, steigt die Kooperationsbereitschaft. Konzentrieren Sie sich dabei nicht nur auf „offizielle“ Projektergebnisse, sondern nehmen Sie sich die Zeit zur Reflexion. Versetzen Sie sich in die Lage der anderen: Was würden Sie über das Projekt denken, wenn Sie die jeweilige Person wären? Fragen Sie auch Kollegen, was sie denken, was die betroffene Person über das Projekt denken könnte.

2. Schlüssel: Integrität

In Projektsituationen, die auf Kooperation mit Anspruchsgruppen angewiesen sind, spielen Fairplay und gerechte Behandlung eine sehr wichtige Rolle. Betroffene Personen stellen sich immer wieder Fragen wie: „Behandelt mich der Projektleiter so, wie ich behandelt werden möchte?“, „Bringt er wieder in Ordnung, was schiefgeht?“ Das dem Projekt entgegengebrachte Verhalten wird sich daran orientieren. Erzeugt Ihr Verhalten Vertrauen in das Projekt oder in Ihre Person, dürfen Sie mit höherer Kooperationsbereitschaft rechnen.

3. Schlüssel: Begeisterung

Projekte, die langweilig, öde, unattraktiv erscheinen, erzeugen keine aktive Beteiligung. Ihre Ansprechpartner stellen sich immer wieder Fragen wie: „Habe ich ein positives Bild vom Projekt?“, „Teilen wir gemeinsame Werte?“, „Macht das Projekt für mich Sinn?“. Passt das Selbstbild der betroffenen Person zum Projekt, steigt die Bereitschaft zur Kooperation. Vermitteln Sie den Nutzen für die jeweilige Person, wenn Sie sich Unterstützung erhoffen. Zeigen Sie, welches Potenzial im Projekt steckt. Zeigen Sie, dass Sie hinter dem Projekt stehen. Begeistern Sie sich für Ihre Arbeit als Projektleiter.

4. Schlüssel: Leidenschaft

Der vierte Schlüssel ist bereits das Ergebnis Ihrer Anstrengungen. Sie werden schnell erkennen, ob Ihr Tun bei den Anspruchsgruppen zu Unterstützung für Ihr Projekt führt. Versetzen Sie sich in die Lage der jeweiligen Person. Wie würde Sie die folgenden Fragen beantworten: „Bin ich unersetzlich für das Projekt?“, „Setze ich mich voll für das Projekt ein?“, „Wäre ich bereit, meine Freizeit dafür einzusetzen?“. Zeigen Sie, dass Sie Ihre Anspruchsgruppen ernstnehmen. Honorieren Sie Unterstützung. Loben Sie. Geben Sie Feedback zu dem Beitrag, den Betroffene im Projekt mit Ihrer Unterstützung geleistet haben.

Projektmanagement und Projektleitung: Fazit

Emotionale Bedürfnisse sind der Schlüssel zur Unterstützung Ihres Projekts. Es lohnt sich, Zeit in das Erkunden dieser Bedürfnisse zu investieren. Wenn Sie bei einzelnen Personen im Dunkeln tappen, versuchen Sie sich in diese Person hineinzuversetzen. Ziehen Sie Kollegen zu Rate, welche die entsprechende Person kennen. Fragen Sie Ihre Kollegen nach deren Einschätzung, was die wirklichen Bedürfnisse sein könnten.

Spiegeln Sie zurück, was Sie wahrgenommen haben. Beobachten Sie die Reaktionen auf Ihr Verhalten. Erhöht sich das Vertrauen? Welche Signale nehmen Sie wahr? Gönnen Sie sich die Zeit zur Reflexion. Suchen Sie sich einen Coach im Unternehmen oder eine Person außerhalb des Unternehmens, die Sie durch gezielte Fragen zu neuen Sichtweisen führen kann.

Viel Erfolg!

(Bild: © mapoli-photo – Fotolia.de)

Jürgen Rohr

Jürgen Rohr ist Inhaber der Projektmanagement-Beratung Vedanova, Wiesbaden (Tel.: 0611/97 774 403; E-Mail: juergen.rohr@vedanova.de). Er ist Co-Autor des Buchs „Prozessorientiertes Projektmanagement“, Hanser Verlag.

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