Viele Unternehmen haben in den zurückliegenden Jahren erkannt: Wenn wir uns am Markt behaupten möchten, müssen wir auch technisch innovativ sein. Deshalb gelangen heute mehr Personen mit technischem Sachverstand in ihre oberen Führungsetagen – also zum Beispiel Ingenieure und Informatiker. Doch diese haben oft das Führen von Mitarbeitern nicht gelernt. Das bereitet ihnen in der Startphase häufig Probleme. Diese Erfahrung sammelt Stefan Bald, Geschäftsführer der Unternehmensberatung Dr. Kraus & Partner, Bruchsal, immer wieder.
Herr Bald, welche Aufstiegschancen haben Ingenieure, Naturwissenschaftler und Informatiker in Unternehmen?
Bald: Heute stehen ihnen dort fast alle Positionen offen. Lange Zeit war ihre Karriere aber weitgehend auf die Fachlaufbahn begrenzt. Bestenfalls konnten sie die Karrierestufe Leiter Forschung & Entwicklung oder Leiter einer Produktionsstätte erklimmen. Dann war ihr Aufstieg meist beendet. Die oberen Sprossen der Karriereleiter blieben für Juristen und Betriebswirte reserviert.
Warum?
Bald: Unter anderem, weil ihnen während ihres Studiums kein betriebswirtschaftliches Know-how vermittelt wurde. Auch das Thema Personalführung stand nicht im Lehrplan. Zudem dominierte in den 80er- und 90er-Jahren in den Betrieben das Denken, dass primär das Marketing und der Vertrieb über den Unternehmenserfolg entscheiden. Deshalb stiegen eher „smarte“ Marketingexperten als „spröde“ Techniker in die oberen Führungsetagen auf.
Und das hat sich geändert?
Bald: Ja, denn viele Unternehmen haben inzwischen erkannt: Wenn wir uns am Markt behaupten wollen, müssen wir unseren Kunden innovative und intelligente Problemlösungen bieten. Deshalb brauchen wir auf der oberen Führungsebene auch Personen mit technischem Sachverstand. Denn nur sie können die technologische Entwicklung der kommenden Jahre abschätzen und daraus ableiten, welche Ansatzpunkte für das Entwickeln neuer Produkte sich hieraus ergeben.
Sie können zudem einschätzen, welche neuen Produktions- und Ablaufverfahren, mit denen sich Kosten- und Qualitätsvorteile realisieren lassen, der technische Fortschritt ermöglicht. Deshalb kommen seit einigen Jahren vermehrt Absolventen der sogenannten MINT-Studiengänge in Top-Positionen.
Also Mathematiker, Informatiker, Naturwissenschaftler und Techniker beziehungsweise Ingenieure.
Bald: Richtig. Für sie stellt die Übernahme einer qualifizierten Führungsposition meist einen tiefgreifenden Einschnitt in ihrer beruflichen Laufbahn dar?
Inwiefern?
Bald: In der Regel steigen die Absolventen der MINT-Studiengänge über eine Fachfunktion in den Beruf ein. Erst wenn sie darin ihre Fähigkeiten bewiesen haben, erfolgt der Wechsel in eine Führungsposition. Dann sind sie plötzlich mit ganz neuen Anforderungen konfrontiert.
Mit welchen?
Bald: Als Fachkraft war vor allem ihr technisches Know-how gefragt. Kollegen und Vorgesetzte suchten ihren Rat, weil sie über Experten-Wissen verfügten. Hierüber definierten sie auch ihre Rolle. Als Führungskraft müssen sie aber nicht mehr in erster Linie ihr fachliches Können beweisen. Ihre zentrale Aufgabe ist es nun, ihren Bereich mit Erfolg zu führen. Dies setzt auch betriebswirtschaftliches Know-how voraus.
Schließlich zählt es zu den Aufgaben eines Bereichsleiters, Kostenrechnungen und Kalkulationen zu erstellen. Zudem muss er betriebswirtschaftliche Kennzahlen interpretieren können. Sonst kann er nicht sicherstellen, dass sein Bereich effizient arbeitet.
Welches Know-how benötigen Bereichsleiter noch?
Bald: Juristisches – und zwar nicht nur personalrechtliches. Auch in anderen juristischen Feldern wie zum Beispiel Umweltrecht, Produkthaftung/-sicherheit und Urheberrecht benötigen sie ein Überblickswissen. Nicht nur, weil sie zum Teil selbst Verträge abschließen, sondern auch weil in Produktionsbetrieben aus den gesetzlichen Vorgaben auch Betreiberpflichten resultieren. Nur wenn die Führungskräfte diese kennen, können sie daraus Anforderungen an die Arbeit ihrer Mitarbeiter ableiten.
Fällt den Ingenieuren das Beheben dieser Wissensdefizite schwer?
Bald: Nein. Diese Wissensdefizite bereiten ihnen erfahrungsgemäß nicht lange Kopfzerbrechen.
Warum?
Bald: Zum einen haben sich die MINT-Studiengänge gewandelt. In vielen wird den Studierenden heute auch ein betriebswirtschaftliches und juristisches Basiswissen vermittelt. Zum anderen gibt es hierzu viele Weiterbildungsangebote.
Entscheidender ist jedoch: Bei dem betriebswirtschaftlichen und juristischen Wissen handelt es sich um kognitive Lerninhalte. Das heißt, dieses Wissen können die Ingenieure, Naturwissenschaftler und Informatiker weitgehend aus Büchern erwerben. Besuchen sie dann noch Seminare, in denen sie zum Beispiel üben, eine Gewinn-Verlust-Rechnung zu erstellen, verfügen sie über das nötige Know-how.
Denn der Anspruch an sie lautet nicht: Ihr müsst juristisch versiert sein wie ein Jurist und euch im Bilanzwesen wie ein Controller auskennen. Im Gegenteil: Sie brauchen ein Überblickswissen und ein Gespür für die wirklich wichtigen Zahlen und Paragraphen.
Für Detailfragen stehen ihnen dann Experten zur Verfügung. Anders ist es im Bereich Personalführung. Er bereitet Ingenieuren, Naturwissenschaftlern und Informatikern beim Wechsel in eine Führungsposition in der Regel die meisten Schwierigkeiten.
Die Unternehmer.de-Leserfrage:
Machen Fachkräfte in Führungspositionen Sinn? Sind sie vielleicht selbst Chef mit einem ähnlichen Hintergrund? Erzählen Sie uns davon!
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Wandel in der Chef-Etage: Wenn Fachkräfte Führungskräfte werden (Teil II)
(Bild: © Dmytro Pyatkovka – fotalia.com)
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