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Es gibt Fans, die während einer WM Urlaub nehmen, um nichts zu verpassen und richtig abzufeiern. Und es gibt diejenigen, die diesem Spektakel mit Desinteresse begegnen. Zu letzteren habe ich mich bisher gezählt, bis – ja, bis ich Zeitung las. Bei einem Beitrag blieb ich hängen. Er handelte davon, dass seit 1962, nachdem Brasilien den Titel verteidigt hatte, dies keiner Fußballmannschaft gelang. Das hätte ich nicht gedacht. Ich war erstaunt und – interessiert!

Weltmeister in anderen Sportarten wiederholen ihre Erfolge doch auch.

Als Psychologin fragte ich mich sofort, was die Gründe dafür sein könnten. Außerdem hörte ich mich in meinem fußballaffineren Freundeskreis um und habe einige Überlegungen zusammengestellt, die wir für unseren ganz normalen Alltag nutzen können.

1. Motivationsfaktoren

Das Weltmeisterteam hat etwas zu verlieren

… die anderen etwas zu gewinnen. Verlustangst löst im Gehirn negativen Stress aus, den es erst einmal zu kontrollieren gilt. Die positive Seite von Stress jeder Art ist, dass wir fokussiert sind und durch den sogenannten Tunnelblick unsere Aufmerksamkeit auf das richten, was gerade besonders wichtig ist. Allerdings führt der Tunnelblick auch dazu, dass wir Lösungsvarianten schlechter gegeneinander abwägen, weil die Wahrnehmung auf einen Fokus eingeschränkt ist.

EXTRA: Im Flow bleiben & Stress vermeiden

Individuelle Ziele passen nicht immer zum Teamziel

Spieler werden heutzutage immer teurer gekauft und verkauft. Das heißt, sie müssen ständig daran arbeiten, ihre Attraktivität für einen neuen Käufer zu erhöhen oder mindestens zu erhalten, um für ihre aktuelle Heimmannschaft interessant zu bleiben.

Es kann also gut sein, dass es einen inneren Konflikt gibt, mit der Mannschaft den Titel zu verteidigen. In der blitzschnellen Entscheidung, den Ball im richtigen Moment an jemand anderen, der das Tor schießt, abzugeben, könnte das individuelle Ziel stärker wirken.

Geld motiviert weniger als Sinn

Sponsoring führt uns zum Thema Geld. Fußballer auf WM-Niveau werden außerordentlich gut für ihre Arbeit bezahlt. In einer Krankenkassenstudie zur Wirkung von Arbeitsmotivation wurde unterschieden zwischen Genussarbeitern und Broterwerbsarbeitern. Letztere sind anfälliger für Stress, Depression und Erschöpfung.

Die Motivation, mit der jemand seiner Arbeit nachgeht, bestimmt wie stark sich äußerer Druck auswirkt.

2. Umgebungsfaktoren

Apropos Druck: Hier gilt es auch, an das Arbeitsumfeld eines Fußballers zu denken. Das heißt, das Stadion. Fitness, Essen, Trinken, können sie gut selbst steuern. Wie das Publikum reagiert, nicht. Ich habe einmal in einem Museum in der Installation eines Künstlers gestanden, der die Geräusche auf einem Fußballfeld nachgebaut hat. Es war atemberaubend, in der Mitte zu stehen und die Zuschauer zu hören. Und zwar egal, ob Zustimmung oder Ablehnung.

Zum Stichwort Druck vs. Unterstützung habe ich außerdem geprüft, ob es für die Ergebnisse eine Rolle spielt, Gastgeberland zu sein. Bei 20 Weltmeisterschaften hat nur sechsmal das Gastgeberland gewonnen. Da lässt sich kein Zusammenhang feststellen.

3. Teamfaktoren

Verbundenheit zahlt sich aus

Anders als in den 50er- und 60er-Jahren wechselt die Zusammensetzung der Teams heute immer schneller. Zum WM-Team gehören nicht mehr genau dieselben Spieler wie vor vier Jahren. Das heißt, es wird immer wieder neu begonnen, Teamgeist, Vertrauen und gemeinsame Strategien aufzubauen. Doch eine Verbundenheit, wie jene zum eigenen Club, für den man schon seit Kindertagen kämpft und sich gemeinsam freut und leidet, dürfte wohl nie erreicht werden.

Teambildung ist eine Frage des Wollens, weniger der Zeit

Kann man in drei Wochen ein motiviertes Team aufstellen? Am 23. Mai hat die deutsche WM- Mannschaft mit dem gemeinsamen Training begonnen. Kann man es so schnell lernen, gemeinsam zu agieren, hinter einer Strategie zu stehen und vor allem eben – eine gute Teamatmosphäre zu schaffen? Wahrscheinlich sind Profis auch in diesem Bereich professionell.

Bei Opernproduktionen reisen die Sänger auch oft wenige Tage vorher zu den Proben an, müssen die Inszenierung verstehen und sich aufeinander einstellen. In der Regel funktioniert das.

EXTRA: Die Mitarbeitermotivation – Ein kleiner Leitfaden

4. Leistungsfaktoren

Leistung braucht Erholung

Fußballer werden älter. Auch wenn sie von außen betrachtet noch jung sind. Mit den Jahren sinkt in unserer heutigen Arbeitswelt die Leistungsfähigkeit. Und zwar nicht, weil es ein „Naturgesetz“ wäre. Sondern, weil sich die Jahre der Überforderung, der Überanstrengung ohne angemessenen Ausgleich summieren. Dies umso mehr, wenn mit einem Körper so aggressiv umgegangen wird, wie dies bei Fußballern der Fall ist.

Leitungsfähigkeit ist nicht 100 % vorhersagbar

Vor allem nicht nach Verletzungen. Die WM-Fußballer haben die besten Trainer, mentalen Coaches, Köche, Physiotherapeuten, Ärzte usw. Und doch ist der Körper nicht komplett berechenbar. Die Gefahr ist groß, dass man sich zu früh überfordert und die Leistung wieder sinkt.

5. Mentale Faktoren

Da Fußball ein Teamsport ist, steht das mentale Befinden eines Sportlers weit weniger im Blickpunkt der Öffentlichkeit als bei Einzelsportarten wie Golf oder Tennis. Dort hören wir von Spitzensportlern immer wieder, wie schwer es ihnen fällt, sowohl mit plötzlichem großen Erfolg, der medialen Aufmerksamkeit, dem vielen Geld, aber auch mit Enttäuschungen und Beschimpfungen der Fans, dem eigenen Versagen usw. umzugehen.

Beim Fußball potenziert sich der mentale Faktor mit jedem Mannschaftsmitglied.

Anders als in einem Büro kann man eben nicht sagen: Ich komme heute mal später. Der Anpfiff für das Endspiel ist jetzt.

Erwartungen können hemmen

Wann warst du das letzte Mal im Zirkus, Theater oder Konzert? Und wie zufrieden warst du? Medien wie Fernsehen, Youtube oder DVDs steigern unsere Erwartungen ins Unermessliche. Weil wir ständig Höchst- und Bestleistungen konsumieren, schätzen wir eine kleinere Einzelleistung nicht mehr. Wir sehen immerzu fehlerfreie, auch für das Fernsehen bearbeitete Darbietungen. Dem kann eine reale Leistung selten standhalten.

Eine Spitzenleistung genau zu einem bestimmten Zeitpunkt abrufen zu können, ist zwar trainier-, aber nicht garantierbar. Von Sängern liest man, dass es schwer ist, an die Spitze zu gelangen, und noch schwerer, sich dort zu halten. Denn die Erwartungen des Publikums wachsen immer weiter und die Konkurrenz schläft nicht.

Was wir von erfolgreichen Fußballern für den Alltag lernen können

1. Veränderungen sind ganz normal

Schauen wir uns die Karrieren einiger der bestbezahlten Fußballer an, spielen sie zwei Jahre hier, drei Jahre dort und betrachten dies als ganz normal. Wenn wir etwas als normal betrachten, machen wir es uns leichter, damit zurechtzukommen.

2. Zu Bestleistungen gehört, an sich zu arbeiten

Schaut man sich die Veränderungen im Spielverhalten z.B. von Ronaldo an, wird klar, dass er niemals sagt, so bin ich und so bleibe ich. Sondern fortwährend lernt, was zu besseren Erfolgen führt und sich darauf einstellt.

3. Selbstmotivation ist gefragt

Der beste Trainer, das beste Team nützen nichts, wenn ich mich nicht selbst zu Bestleistungen motiviere. Immer wieder.

4. Leistung muss trainiert werden

Und zwar täglich. Von Schachspielern und Musikern ist bekannt, dass es ca. 10.000 Wiederholungen braucht, um Spitzenleistungen zu erbringen.

Fazit: Ziele setzen & Zufälle akzeptieren

Der Zufall gehört zu Spitzenleistungen genauso wie die Vorbereitung. Wir leben in einer Welt, in der wir alles kontrollieren und vorher bestimmen wollen. Auf das rechte Maß kommt es an. Ziele zu haben und sich dafür einzusetzen und mit Demut zu akzeptieren, nicht alles in der Hand zu haben. Und Leistung auch dann (an)zu erkennen, wenn sie nicht zum ersehnten Ergebnis führt.

Dr. Ilona Bürgel

Dipl. Psych. Dr. Ilona Bürgel ist eine führende Vertreterin der Positiven Psychologie. Wie ein roter Faden zieht sich die Einladung zu einem Perspektivwechsel durch ihre Arbeit – weg von der Fixierung auf äußere Bedingungen, hin zum guten Umgang mit sich selbst. Sie ist ständige Beraterin für Print, Radio und Fernsehen wie ARD und MDR. Die Vorbildunternehmerin des Ministeriums für Wirtschaft liebt Schokolade und lebt in Dresden. Ihr Hauptwerk im Bereich Wirtschaft: Die Kunst, die Arbeit zu genießen

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