Skip to main content

Im deutschen Psychotherapeutengesetz heißt es: „(…) Psychotherapie (…) ist jede mittels wissenschaftlich anerkannter psychotherapeutischer Verfahren vorgenommene Tätigkeit zur Feststellung, Heilung oder Linderung von Störungen mit Krankheitswert (…)“ (§ 1 Abs. 3 PsychThG). Zu den genannten „Störungen mit Krankheitswert“ gehören u.a. Angsterkrankungen, affektive Erkrankungen wie Depressionen, und Suchtkrankheiten. Eine Liste derzeit anerkannter psychischer Störungen findet sich im ICD-10, der Internationalen Klassifikation aller Krankheiten.

Bevor eine Psychotherapie begonnen wird, muss also zuallererst ein krankheitswertiges Leiden diagnostiziert werden. Die Diagnostik einer Erkrankung ist hoch komplex und bedarf therapeutischer Ausbildung und Erfahrung. Deshalb sollten Diagnosen auch nur von dafür ausgebildeten Experten und Therapeuten gestellt werden. Coaches diagnostizieren nicht, sie heilen nicht und sie beschäftigen sich nicht mit behandlungsbedürftigen Störungen. Bereits hier – ganz am Anfang einer Arbeitsbeziehung – trennt sich Coaching klar von Psychotherapie.

Gibt es Ähnlichkeiten zwischen Coaching und Psychotherapie?

Wie kann es nun sein, dass Stimmen behaupten, die Grenzen beider Bereiche würden sich überschneiden oder zumindest verschwimmen? Meiner Meinung nach liegt dies am „Setting“ (dem Aufbau der Arbeitsbeziehung) und an verschiedenen Techniken, die zur Anwendung kommen. Beim Coaching – wie bei der Psychotherapie – arbeiten zwei Personen miteinander an den persönlichen Themen einer Person von beiden. Die Methode ist zu großen Teilen das Gespräch. Es sollte eine sichere und vertrauensvolle Atmosphäre herrschen. Inhaltlich geht es um Hilfe, Unterstützung, Lösungen und Pläne. Soweit finden sich die Parallelen. Weiter kann es vorkommen, dass ein Coach diverse Techniken anwendet, die so oder so ähnlich von erfahrenen und bekannten Psychotherapeuten stammen (wie z.B. Milton H. Erickson, Viktor Frankl oder Steve de Shazer).

Unterschiede zwischen Coaching und Psychotherapie

Und hier trennt sich Coaching deutlich von Psychotherapie. Nur weil eine Technik aus den Händen eines Psychotherapeuten stammt, ist sie in den Händen eines Coaches noch lange kein therapeutisches Mittel. Manche Coaches sehen sich gerne als Psychotherapeut der Moderne: schnell, effizient und zielfokussiert unterstützen sie Hilfesuchende. Ein systemisch-konstruktivistischer Coach übernimmt jedoch keine Verantwortung für seinen Coachee und er sucht auch nicht nach Krankheitszeichen (Symptomen) zur Bestätigung einer Diagnose. Coaches diagnostizieren nicht und stecken Klienten nicht in ICD10-Schubladen. Sie leiten keine Empfehlungen ab, schätzen keine Suizidalität ein und geben keine Ratschläge, Ideen oder Rezepte aus. Es gibt im Coaching – so wie wir es verstehen – keine Hausaufgaben oder Übungen für zu Hause (was nicht heißen soll, dass ein Klient sich diese im Laufe eines Coachings nicht selber entwickelt).

Denn ein Coach übernimmt eben keine Verantwortung für den anderen und auch nicht für dessen Handlungen, Ziele oder Lösungswege (Bartels O., Wundsam K.: Mein erstes Mal. Was Coaching alles verändern kann. Wien, 2011). Ein Coach folgt nicht der inneren Haltung, dass er einem Menschen helfen will, der sich selbst (gerade) nicht (mehr alleine) helfen kann. Ein Coach geht davon aus, dass der Klient alle Fähigkeiten und jedes Wissen hat, um die für sich am besten passende (Problem-)Lösung zu finden (und niemand anderes).

Psychotherapeuten sind im Unterschied dazu für bestimmte Aspekte mitverantwortlich (z.B. in der Abklärung körperlicher Krankheiten als Ursache psychischer Symptome) und müssen in bestimmten Fällen sogar zum Schutze des Patienten handeln (z.B. in Krisensituationen, bei drohender Suizidalität oder Gefährdung Dritter).

Und das sind große Unterschiede zur Psychotherapie, die klare Grenzen ziehen. Das sind keine Defizite im Coaching, sondern es zeichnet Coaching im Besonderen als Technik und Haltung aus. Eine hervorragende Unterstützung für Menschen, die keine Patienten sind.

Weitere Artikel dieser Serie:

Die Coaching-Serie (Teil I): Was ist Coaching überhaupt?
Die Coaching-Serie (Teil II): Wo liegen die Grenzen von Coaching?

(Bild: © velusariot – Fotolia.de)

Dr. Kerstin Wundsam

Dr. Kerstin Wundsam ist als Fachbuchautorin, systemische Beraterin, Trainerin und Coach tätig und begleitet Führungskräfte aller Hierarchieebenen sowie Teams in komplexen Situationen und Veränderungsprozessen. Als Referentin konzipiert sie Trainings und Seminare (u.a. zu den Themen Leadership, Systemisches Coaching und Konfliktmanagement). Sie ist Co-Autorin des Buches "Mein erstes Mal. Was Coaching alles verändern kann" (Wien, 2011). Weitere Informationen erhalten Sie unter: info@kerstin-wundsam.de

Der Artikel hat dir gefallen? Gib uns einen Kaffee aus!

Leave a Reply