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Was ist eigentlich eine Work-Life-Balance (WLB)? Warum fällt vielen das Ausbalancieren so schwer? Wieso sind besonders Motivierte selten im Gleichgewicht? Alles ist aus den Fugen geraten, was macht man in einem solchen Notfall? Das fragte Mittelstand WISSEN den Trainer für Ziel- und Zeitmanagement Burkhard Heidenberger. Er veröffentlicht auf seiner Website Tipps rund um die Themen Ziel- und Zeitmanagement.

Mittelstand WISSEN: Was bedeutet eigentlich der Begriff „Work-Life-Balance“ und welche Lebensbereiche sollten im Einklang stehen?

Heidenberger: Da muss ich etwas ausholen. Der Leistungs- und Zeitdruck in unserer Gesellschaft hat vor allem in den letzten Jahren stark zugenommen, bedingt auch durch die rasante Entwicklung neuer Technologien. Internetzugang und Handy gehören heute für die meisten zur „Standardausstattung“. Damit wird auch eine hohe Mobilität und eine permanente Erreichbarkeit erlaubt – ein Fluch und Segen zugleich! Niemand will mehr warten! Ich kann heute beispielsweise ein Dokument an Kunden weltweit blitzschnell per Mail versenden. Die Welt wächst immer mehr zusammen. Die Anforderungen an den Einzelnen sind gestiegen. Die permanente Erreichbarkeit verhindert auch, dass man von der Arbeit richtig abschalten kann. Und die stetig wachsenden Anforderungen im Berufsleben haben dazu geführt, dass das Privatleben vielfach zu kurz kommt.

Dabei schließt das Privatleben nicht nur das private Umfeld mit ein, sondern vor allem auch die eigene Person. Denn mit dem privaten Umfeld sind in der Regel auch Verpflichtungen verbunden. Dadurch besteht auch hier die Gefahr – nicht nur im Beruf, wo es ohnehin der Fall ist – dass die eigene Person zu kurz kommt. Mit den stetig wachsenden Anforderungen und den daraus resultierenden Belastungen ist ebenso das Bedürfnis nach mehr Ausgleich gewachsen – das Bedürfnis nach einer Balance zwischen Arbeit und (Privat-) Leben, wo wir schon beim Begriff „Work-Life-Balance“ sind. Auf Ihre Frage zu den Lebensbereichen: Das Privatleben kann man in weitere Lebensbereiche unterteilen: Körper (alles den Körper betreffend wie Gesundheit, Ernährung etc.), Geist/Sinn (z.B. Spiritualität, Religion) und das soziale Umfeld (Familie, Freunde etc.). Bei Work-Life-Balance geht es also konkret darum, eine Ausgewogenheit zwischen Arbeit und den drei privaten Lebensbereichen herzustellen, wobei das Verhältnis sehr individuell ist – vor allem was die „privaten Lebensbereiche“ betrifft.

Mittelstand WISSEN: Aber ist der Begriff „Work-Life-Balance“ nicht auch widersprüchlich? Er suggeriert doch, dass die Arbeit (work) nicht zum Leben (life) gehört. Wie sehen Sie das?

Heidenberger: Vielleicht mag der Begriff für einige widersprüchlich sein. Fakt ist aber, dass in unserer Gesellschaft die Notwendigkeit der Arbeit gegeben ist. In der Regel gilt: Ohne Arbeit kein (regelmäßiges) Einkommen. Und weil für einen Großteil der arbeitenden Menschen die Arbeit nicht unbedingt die große Erfüllung, sondern eher eine Belastung darstellt, ist eine „Work-Life-Balance“ erforderlich.

Mittelstand WISSEN: Die WLB hängt von vielen Faktoren ab: Alter, Geschlecht, Beruf etc. Gibt es bestimmte Gruppen, die es besonders schwer haben, ihr Leben in der Balance zu halten?

Heidenberger: Zuerst muss gesagt werden, dass das Gelingen einer Work-Life-Balance sehr individuell ist. Jeder Mensch geht mit (Stress-)Belastungen unterschiedlich um, reagiert anders. Aber allgemein gilt: Je höher die beruflichen Anforderungen, desto größer die Herausforderung bei der Umsetzung einer Work-Life-Balance. Ich würde hier also keine Gruppe hervorheben.

Mittelstand WISSEN: Was sind denn die häufigsten Gründe für ein Leben ohne Gleichgewicht?

Heidenberger: Um nur einige zu nennen, ohne Berücksichtigung einer Gewichtungsreihenfolge:

  • Perfektionismus,
  • die Schwierigkeit, sich selbst und die Arbeit zu organisieren,
  • Ängste wie Versagens- und Verlustängste,
  • zu viele Verpflichtungen, im Berufs- als auch im Privatleben,
  • Konkurrenzdruck,
  • belastendes Arbeitsklima,
  • fehlende Rahmenbedingungen im Unternehmen (z.B. flexible Arbeitszeiten, Teilzeitmodelle etc.).

Mittelstand WISSEN: Oft haben die besonders engagierten Menschen Probleme ein ausgeglichenes Leben zu führen. Warum und wie kann das verhindert werden?

Heidenberger: Grundsätzlich ist Engagement etwas Gutes. Aber es kann auch für die entsprechende Person ins Negative kippen. Meiner Erfahrung nach ist das dann der Fall, wenn Engagement in Perfektionismus kippt. Perfektionisten machen in der Regel mehr, als eigentlich erforderlich wäre. Sie brauchen das Gefühl, alles unter Kontrolle zu haben. Deshalb stehen sie regelrecht „unter Strom“ und können schwer abschalten. Perfektionisten haben meist auch nicht das Bedürfnis einer Work-Life-Balance. Dieses kommt oft erst dann, wenn offensichtlich negative Folgen für die betroffene Person auftreten. Das können Folgen im persönlichen Umfeld sein, beispielsweise der Partner, der den Trennungswunsch äußert, oder gesundheitliche Folgen.

Mittelstand WISSEN: Gibt es Notfalltipps, wenn man merkt, dass alles aus dem Gleichgewicht geraten ist?

Heidenberger:
Zuerst gilt es immer, die Ursachen zu identifizieren. Auch wenn das vielleicht als selbstverständlich vorausgesetzt wird, ist es in der Praxis bei weitem nicht so. Vielen ist gar nicht bewusst, wo die Ursachen genau liegen. Deshalb empfehle ich, sich zuerst dieser Ursachen bewusst zu werden. Dafür am besten an einen ruhigen Platz zurückziehen, Stift und Papier zur Hand und ein Brainstorming durchführen. Der Schreibprozess ist dabei besonders förderlich für eine intensivere Auseinandersetzung mit der persönlichen Situation. Folgende Reflexionsfragen können dabei helfen:

  • Was belastet mich zurzeit am meisten? (Die aufgelisteten Punkte nach dem Belastungsgrad sortieren.)
  • Wer oder was kommt in meinem Leben zu kurz? Mit wem oder mit was möchte ich mehr Zeit verbringen?
  • Wenn ich an meiner Situation nichts ändere, welche negativen Folgen können daraus resultieren?

Diese schriftliche Auseinandersetzung führt oft zu überraschenden Einsichten. Im nächsten Schritt geht es darum, für jeden der gelisteten Punkte Lösungsmöglichkeiten und Strategien zu finden. Und wichtig: Man sollte sich dafür unbedingt Unterstützung suchen, sei es im privaten Umfeld (wie Familie, Freunde) oder auch von neutraler Seite (z.B. Coach). Wichtig ist auch, den Weg zu mehr Work-Life-Balance in kleinen Schritten anzutreten. Wenn man ruck zuck große Veränderungen herbeiführen will, ist die Gefahr einer weiteren Überforderung und damit des Scheiterns groß.

Mittelstand WISSEN: Vielen Dank für das Interview!

Das Interview führte Unternehmer.de-Redakteurin Patricia Scholz.

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(Bild: © Horst Brandt – Fotolia.com)

unternehmer.de

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5 Comments

  • Maria Gruber sagt:

    Sehr gutes Interview! Zu Herrn Oppermanns „Kommentar zur Fragestellung“: Abgesehen von Ihrem Fein-tuning bez. Gleichgewicht und Balance erschließt sich mir nicht der Zusammenhang Ihres Hinweises „zum Nachdenken“ (14tägliches/14tägiges) in Verbindung mit dem Inahlt des Interviews. Vielleicht ein Profilierungsversuch?

  • Thorsten C. sagt:

    Ohne die linguistische Detailakrobatik, insbesondere des geschätzten Herrn Oppermann, stören zu wollen – sind Sie sicher dass das Wort „Gleichgewicht“ einen Exklusivbezug auf das Vestibulärsystem hat? Die Lehre der Ökonomie spricht beispielsweise sowohl in der Tagespresse als auch in der Fachliteratur vom vielzitierten „Markt im Gleichgewicht“. Sicherlich ist Ihnen auch das hydrostatische Gleichgewicht bekannt, welche sich – ohne an dieser Stelle auf den entsprechenden theoretischen Hintergrund verweisen zu wollen – zu dem menschlichen Gleichgewichtssinn keinen Bezug hat.

    • Philipp Preischl Philipp Preischl sagt:

      Ich denke, der Kollege „Duden“ sollte in diesem Fall den Schiedsrichter spielen:

      Balance (frz.) = Gleichgewicht

      Mit einem herzlichen Dankeschön für die engagierten Beiträge,

      Ihre Unternehmer.de Redaktion!

  • manninger sagt:

    schließe mich dem vorkommentar an: es besteht ein unterschied zwischen ausgleich und gleichgewicht. work-life-balance befasst sich mit dem ausgleich zwischen beruf- und privatleben, so wie von herrn heidenberger richtig bezeichnet. redaktion, bitte fragestellungen korrigieren! die ausführungen von heidenberger sind aber klasse!

  • Hans Lutz Oppermann sagt:

    Kommentar zur Fragestellung! Die Headline müsste korrigiert werden, denn es geht nicht um das Gleichgewicht, sondern um den Ausgleich – die Balance. Etwas kann ausgeglichen sein und ist dann im Gleichgewicht, aber das Problem mit dem Gleichgewicht suggeriert eine ganz andere Störung, nämlich die mit dem Gleichgewichtsorgan. Gleichgewichtsstörungen sind keine Störungen der Work-Life-Balance, sonder des Vestibulär-Systems im Innenohr. Das Problem mit der richtigen Balance, wäre die richtige Formulierung! Übrigens Vestibulär- Störungen werden auch als Folge einer unausgeglichenen Work-Life-Balance beschrieben, wie der Hörsturz, Herzrhythmusstörungen usw. Fein-tuning…auch eine Frage der Balance und noch was zum Nachdenken!(Wenn ein Treffen alle 14 Tage stattfindet, dann ist das ein 14-tägliches Treffen. Ein “14-tägiges Treffen” wäre eines, das 14 Tage dauert). So ist da mit der Deutschen Sprache.
    Content is okay and meaningful!

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