Private Telefonate sind am Arbeitsplatz in der Regel tabu. Das war vor einem Jahrzehnt noch fast allen Arbeitnehmern klar. Doch heute wird in vielen Büros privat telefoniert, gechattet und gesurft, als befänden sich die Angestellten zuhause. Und manch Arbeitgeber kann sich dagegen kaum wehren. Deshalb spricht er im Extremfall eine Kündigung aus.
Hubert Meyer, Inhaber eines Architekturbüros mit neun Mitarbeitern, war irritiert. Fast jedes Mal, wenn er am Wochenende oder in den späten Abendstunden nochmals ins Büro kam, saß dort der neue Statiker. Trotzdem hielt er fast alle Termine nicht ein. Zugleich stieg die Rechnung seines Firmenhandys in astronomische Höhen. Und dann legte ein Virus die IT lahm. Meyer betrieb Ursachenforschung.
Des Rätsels Lösung: Während seiner „Nacht- und Wochenendarbeit“ surfte der Statiker auf Porno-Seiten und telefonierte mit kostenpflichtigen Sex-Nummern. Meyer entließ den Statiker. Denn er wollte keine aufwändigen Kontrollmechanismen in seinem Büro installieren – „das hätte unser Betriebsklima ruiniert“. Er hatte auch keine Lust, für alle Mitarbeiter Regeln für den Umgang mit Telefon und Internet zu erlassen – „nur weil so ein ‚notgeiler Bock’ nicht zwischen beruflich und privat unterscheiden kann“.
Ähnlich erging es Johann Plötz, Inhaber einer Werbeagentur. Lange war er mit der Leistung seiner Layouterin zufrieden. Doch dann registrierte er immer häufiger, wenn er überraschend ins Büro seiner Mitarbeiterin kam: Sie schließt hektisch das offene Fenster an ihrem PC. Anfangs dachte Plötz: Okay, die macht ein Computerspiel. Macht nichts! Das mache ich auch manchmal. Doch dann stellte er fest: Die Layouterin loggt sich in ihren heimischen PC ein und erledigt private Layoutaufträge. Mehrere Gespräche folgten, in denen der Agenturinhaber der Mitarbeiterin klar sagte: So nicht. Ohne Erfolg! Also zog Plötz die Reißleine und entließ die Layouterin.
„Juristisch waren die Reaktionen beider Unternehmer in Ordnung“, betont Michael Lodzik, Fachanwalt für Arbeitsrecht in Darmstadt. „Denn wenn ein Mitarbeiter zum Beispiel das Internet exzessiv für private Zwecke nutzt, kann sogar fristlos gekündigt werden.“
Privatkram frisst mehr Arbeitszeit als gedacht
Speziell Kleinunternehmen kämpfen oft mit dem Problem, dass Mitarbeiter am Arbeitsplatz chatten, surfen, simsen und per Handy telefonieren, als säßen sie auf dem heimischen Sofa. Denn was spricht dagegen, sich vom Büro aus mal schnell bei einem sozialen Netzwerk wie „Facebook“ oder „wer-kennt-wen“ einzuloggen und private Mails zu beantworten?
„Vieles“, sagt Julia Voss, Geschäftsführerin des Beratungsunternehmens Voss+Partner, Hamburg. Denn summiert man die Zeit, die manch Arbeiternehmer mit Computerspielen, privaten Mails und ähnlichen Tätigkeiten verbringt, kommt man schnell auf eine Stunde pro Tag. „Das sind 12,5 Prozent der Arbeitszeit. Das machen sich viele Arbeitnehmer nicht klar.“
Hinzu kommt laut Elisabeth Heinemann, Professorin für Schlüsselqualifikationen an der Fachhochschule Worms: Gerade junge Arbeitnehmer denken oft „Ich muss stets erreichbar sein – für meine Kumpels.“ Was ihnen aber nicht bewusst ist: Jeder private Anruf und jede private Mail, die mal eben schnell gelesen werden muss, ist letztlich eine Störung. „Häufen sich diese, ist ein konzentriertes Arbeiten kaum noch möglich.“
Fehlverhalten darf nicht zur Gewohnheit werden
„Schiebt dem Missbrauch der neuen Medien früh einen Riegel vor“, empfiehlt denn auch Julia Voss Arbeitgebern. Sonst bekämen sie das Problem irgendwann nicht mehr in den Griff – wie Daniel Stenger. Für den Inhaber eines Ingenieurbüros war es früher ganz selbstverständlich, dass seine Angestellten vom Büro aus auch mal ein, zwei private Telefonate führten – „ohne zu fragen“. Denn er ging davon aus: Meine Mitarbeiter sind erwachsen, und sie wissen „Dienst ist Dienst und Schnaps ist Schnaps“.
Entsprechend lang schaute er zu, als der Siegeszug von Handy und Internet den Mitarbeitern ganz neue Spielwiesen eröffnete. So lange bis „eine Aktivistin eines Umweltschutzverbandes“ sein Büro in eine Art Verbandszweigstelle verwandelte. „Wenn die Kröten wanderten, war meine Mitarbeiterin nicht ansprechbar“, sagt Stenger sarkastisch. Was die Mitarbeiterin aber genau wusste: Um 17 Uhr sind acht Stunden um, und ich habe Feierabend. Dann verließ sie das Büro, egal was noch zu tun war – „selbst wenn sie tagsüber fast ausschließlich mit ihren Kröten beschäftigt war“. Irgendwann reichte es Stenger.
Die Mitarbeiterin musste die Koffer packen. „Doch ganz habe ich das Problem noch nicht im Griff“, gesteht Stenger. „Auch weil sich in meinem Büro ein Generationswechsel vollzogen hat. Meine jungen Mitarbeiter trennen einfach nicht mehr so stark zwischen beruflich und privat wie dies meine früheren Mitarbeiter taten.“
Wegschauen und Wegducken bringt nichts
Ähnliche Klagen hört man oft von Inhabern von Klein- und Mittelunternehmen. Auf keinen Fall wollen sie aber ihren wahren Namen in der Zeitung lesen – aus Angst, sie könnten als „kleinkarierte Menschenschinder“ gelten. Genau dieses Wegschauen und Wegducken führt aber laut Julia Voss dazu, dass das Fehlverhalten oft ausufert – und zwar so weit, dass nur noch Abmahnungen und Kündigungen helfen. Sinnvoller wäre es, „den Stier frühzeitig bei den Hörnern zu packen und mit den Mitarbeitern Regeln für den Umgang mit den neuen Medien zu vereinbaren“ – schriftlich. „Denn wer mehr als zwei, drei Mitarbeiter hat, muss damit rechnen: Einer von ihnen nutzt die zugestandenen Freiräume über Gebühr aus.“
Und schon kommt ein Teufelskreislauf in Gang. Weil Kollege Müller dauernd privat telefoniert, tun dies auch seine Kollegen. Und schnell wird das private Telefonieren, Simsen und Chatten zu einem Gewohnheitsrecht – „das man nur mit massivem Druck durchbrechen kann“.
In Großunternehmen gibt es klare Regeln
Dass Großunternehmen weniger Probleme mit der Mediennutzung haben, liegt auch daran: Dort gibt es meist klare Richtlinien, was erlaubt ist und was nicht. So lautet zum Beispiel bei der Bausparkasse Schwäbisch Hall eine Regel: Wichtige private Telefonate sind erlaubt, doch bei Meetings müssen die Handys aus oder zumindest lautlos geschaltet sein. Ähnlich ist es beim Finanzdienstleister Allianz. Auch dort gibt es einen Verhaltenskodex, der unter anderem den Umgang mit dem Handy regelt, teilt Allianz-Sprecherin Vera Werner mit.
„Auch mit dem Internet haben wir keine Probleme.“ Vermutlich auch, weil in Großunternehmen die Systemadministratoren zumeist die Webseiten sperren, die primär dem „Privatvergnügen“ dienen – auch aus Sicherheitsgründen.
Trotzdem gibt es auch hier ab und zu schwarze Schafe – zum Beispiel Mitarbeiter, die aus beruflichen Gründen eine Freischaltung haben und diese exzessiv für private Zwecke nutzen. „Mit denen muss man halt sprechen“, sagt Gerhard Haubensak, Ausbilder bei Schwäbisch Hall. Und wenn das nichts hilft, kann es auch mal eine Abmahnung geben. Besser als zu solchen Mitteln zu greifen, ist es laut Haubensak aber, „den Leuten frühzeitig zu vermitteln, welches Verhalten erwartet wird“.
Das tut Schwäbisch Hall zum Beispiel Jahr für Jahr in den Einführungswochen für die neuen Azubis. „Denn von den jungen Leuten kann man nicht erwarten, dass sie die Regeln, die am Arbeitsplatz gelten, schon kennen.“
Vorsicht schadet nie
Schwierig sind strikte Vorgaben meist in den Bereichen und Branchen, in denen die Projektarbeit dominiert – also dort, wo Mitarbeiter oft spät abends und zuweilen sogar am Wochenende noch am Schreibtisch sitzen, weil etwas fertig werden muss. „Dort ist überspitzt formuliert meist alles erlaubt“, betont Elisabeth Heinemann. Trotzdem ist ein Missbrauch selten. Denn die Mitarbeiter wissen: Ich kann erst nach Hause gehen, wenn ich meine Arbeit erledigt habe.
Doch auch hier mahnt Rechtsanwalt Lodzik zur Vorsicht: „Arbeitgeber haben Mitarbeiter, die sie loswerden wollten, auch schon wegen einer gemopsten Frikadelle entlassen. Warum sollten nicht auch mal die vielen privaten Telefonate der offizielle Kündigungsgrund sein?“
(Bild: © Pixel – Fotolia.com)
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