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„Wir sitzen alle im selben Boot.“ Dieses Gefühl versuchen Führungskräfte im Arbeitsalltag oft ihren Mitarbeitern zu vermitteln. Doch diese „Wir-Ideologie“ platzt zumeist schnell, wenn – wie in der aktuellen Wirtschaftsflaute – die Umsätze und Erträge der Unternehmen sinken und eventuell gar ein Personalabbau droht.

„Wir sind …“ „Wir machen …“ Solche Sätze prägen die Leitlinien und Führungsgrundsätze fast aller (Groß-)Unternehmen.

Und auch ihre Führungskräfte appellieren im Gespräch mit den Mitarbeitern oft an das kollektive WIR – gerade so, als hätten die Inhaber der Unternehmen sowie deren Führungskräfte und Mitarbeiter identische Interessen und säßen alle im selben Boot.

Doch dann brechen wie in der aktuellen Wirtschaftsflaute die Umsätze weg und die Erträge sinken.

Und die Unternehmensleitung muss die Vorgaben erhöhen sowie Sozialleistungen streichen – und im Extremfall sogar Mitarbeiter entlassen.

Dann entpuppt sich das kollektive WIR meist als ideologische „Seifenblase“, die schnell platzt, wenn die Sonne nicht mehr scheint.

Unternehmen sind Zweckgemeinschaften

Dann wird zudem deutlich: Unternehmen sind keine (Groß-)Familien, in denen alle gemeinsam durch dick und dünn gehen.

Unternehmen sind vielmehr Zweckgemeinschaften – also soziale Gebilde, in denen sich Personen mit unterschiedlichen Interessen zeitweise zusammenschließen, um wechselseitig voneinander zu profitieren.

Und wenn ein oder mehrere Beteiligte aus der Zusammenarbeit keinen oder nur noch wenig Nutzen ziehen? Dann trennen sich die Wege wieder.

Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage: Welchen Nutzen haben Unternehmen davon, sich in den Mitarbeitergesprächen und -publikationen so zu präsentieren, als seien sie soziale Einrichtungen? Keinen!

Denn hierdurch werden nur die Interessengegensätze verschleiert, die zwischen den „Stakeholdern“ bestehen – angefangen bei den Unternehmensinhabern, über die Führungskräfte bis hin zu den einfachen Angestellten. Also werden sie in den Mitarbeitergesprächen auch nicht erörtert.

Deshalb können auch keine tragfähigen Kompromisse ausgehandelt werden, wie die Interessen aller Beteiligten im Arbeitsalltag angemessen berücksichtigt werden können.

In Boom-Zeiten ist das kein Problem. Denn dann ist genug zum Verteilen da. Anders ist dies in wirtschaftlich schlechten Zeiten. Dann zeigt sich: Die Ressourcen jedes Unternehmens sind begrenzt und die (Unternehmens-)Führung unterliegt Sachzwängen, denen sie sich nicht entziehen kann.

Für die meisten Mitarbeiter ist diese Erkenntnis nicht neu. Sie erachten den Appell an das kollektive WIR ohnehin als Führungsrhetorik und die glatt gebürsteten (Führungs-)Leitlinien sowie Mitarbeiterpostillen entlocken ihnen nur ein müdes Gähnen. Denn sie wissen: Was im Unternehmensalltag letztlich zählt, ist Leistung … und das, was unter dem Strich übrig bleibt.

In schlechten Zeiten bricht der „Sozialkitt“ weg

Für manche Mitarbeiter ist das Wegbrechen des Sozialkitts in Krisenzeiten aber eine Desillusionierung.

„Haben unsere Chefs nicht gesagt, dass …?“ „Steht in unseren Leitlinien nicht …?“ Sie fühlen sich verraten und verkauft. Also gehen sie innerlich auf Distanz zu ihrem Arbeitgeber, was auch ihre künftige Arbeitshaltung prägt.

Deshalb sollten Führungskräfte im Führungsalltag möglichst selten an das kollektive WIR appellieren.

Statt diese verschleiernde Führungsrhetorik zu gebrauchen, sollten sie im Gespräch mit ihren Mitarbeitern klar herausarbeiten:

  • Welche gemeinsamen Interessen haben wir und wo divergieren diese?
  • Und: Welche Interessen lassen sich (nur) unter bestimmten Voraussetzungen unter einen Hut bringen?

Dann können sie leichter ein solides Fundament für eine Zusammenarbeit legen, die auch in schlechten Zeiten trägt.

Denn die Mitarbeiter spüren: Mein Chef ist ehrlich. Er verschweigt mir nicht, dass das Erzielen von Gewinn zu den undiskutierbaren Zielen des Unternehmens zählt. Er akzeptiert aber auch, dass meine Ziele teils andere als seine und die des Unternehmens sind. Und er versucht diese – soweit möglich – unter einen Hut zu bringen.

Also sind die Mitarbeiter zwar enttäuscht, wenn ihr Vorgesetzter ihnen zum Beispiel verkündet: „Tut mir leid, unsere Umsätze und Erträge sind eingeknickt. Deshalb kann ich nicht …“ Dies belastet aber nicht ihre Beziehung zu ihrem Vorgesetzten (sowie zum Unternehmen). Denn er war ihnen gegenüber ehrlich und hat ihnen nicht ein X für ein U verkauft.

Orientierung und Halt geben

Eine solche Vertrauensbeziehung ist gerade in schwierigen Zeiten wichtig – wenn zum Beispiel ein Personalabbau wie ein Damoklesschwert über dem Unternehmen schwebt.

Dann müssen Führungskräfte intensiv das Gespräch mit ihren Mitarbeitern suchen und ihnen (soweit möglich) vermitteln, wie es ums Unternehmen und ihre persönliche Zukunft steht; des Weiteren, was in der aktuellen Situation nötig und möglich ist.

Einem solch offenen Dialog auszuweichen, ist ein Zeichen von Führungsschwäche. Dies bringt auch nichts. Denn die Mitarbeiter sind nicht dumm. Sie spüren schnell, wenn es im Gebälk eines Unternehmens anfängt zu knistern und zu lodern – sei es, weil das Arbeitsvolumen sinkt oder die Chefs nervöser werden oder … Das verunsichert sie. Vor allem, wenn sie nicht einschätzen können:

  • Ist das Feuer ein Strohfeuer?
  • Ist es auf den Dachstuhl begrenzt oder wird es auch andere Teile des Hauses erfassen?
  • Welche Maßnahmen wurden/werden ergriffen, um die Flammen einzudämmen und zu löschen?

Also machen sich die Mitarbeiter ihre eigenen Gedanken und die Gerüchteküche beginnt zu brodeln.

Und das Feuer wird zumindest in den Köpfen der Mitarbeiter stets größer und größer, so dass jeden das Bedürfnis zu fliehen überkommt. Sei es, indem er sich eine neue Stelle sucht, oder indem er, sofern ihm dies nicht gelingt, innerlich resigniert.

Gerade in schlechten Zeiten ist Führung gefragt

Diese Gefahr ist in Krisenzeiten insbesondere dann groß, wenn die Führungskräfte ihren verunsicherten Mitarbeitern nicht den nötigen Halt und die gewünschte Orientierung bieten.

Deshalb gilt: Gerade in schlechten Zeiten brauchen Unternehmen starke Führungs-KRÄFTE. Und: Gerade in Krisenzeiten müssen Führungskräfte ihre Mitarbeiter führen – nicht, indem sie die Gefahren (und die partiellen Interessenunterschiede) leugnen, sondern indem sie den Mitarbeitern

  • offen das Ausmaß und die (möglichen) Auswirkungen der Krise schildern,
  • einen möglichen Weg aus der Krise aufzeigen,
  • mitteilen bzw. mit ihnen erarbeiten, welchen Beitrag sie dazu leisten können, die Krise zu überwinden, und
  • klare Etappenziele nennen und mit ihnen vereinbaren, die es beim Meistern der Krise zu erreichen gilt.

Dann lassen sich auch tragfähige Bündnisse mit den Mitarbeitern schließen, wie die Krise gemeinsam gemeistert werden kann – zum Wohle aller, die am künftigen Erfolg des Unternehmens, wenn auch aus teils unterschiedlichen Motiven, interessiert sind.

Das Schmieden solcher tragfähiger Bündnisse und Kontrakte fällt vielen Führungskräften schwer – insbesondere solchen, die ihre Mitarbeiter bisher an der langen Leine oder nach dem Laissez-faire-Prinzip geführt haben.

Deshalb gilt: In schlechten Zeiten zeigt sich, was eine Führungs-KRAFT wirklich taugt.

(Bild: © Yuri Arcurs – Fotolia.de)

Dr. Georg Kraus

Dr. Georg Kraus ist geschäftsführender Gesellschafter der Unternehmensberatung Dr. Kraus & Partner, Bruchsal, für die fast 50 Trainer, Berater und Coachs arbeiten. Der diplomierte Wirtschaftsingenieur promovierte an der TH Karlsruhe zum Thema Projektmanagement. Er ist Autor des Change Management Handbuch sowie zahlreicher Projektmanagement-Bücher. Seit 1994 ist er zudem Lehrbeauftragter an der Universität Karlsruhe, der IAE in Aix-en-provence und der technischen Universität Clausthal.

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