Warum sollten sich Unternehmen und Führungskräfte an ihre MitarbeiterInnen anpassen? Das steigert die Mitarbeitermotivation!
Neulich im Physikunterricht: Leistung = Arbeit/Zeit. Aber nicht nur in der Physik ist diese Formel beliebt, auch im Business verwenden UnternehmerInnen sie gerne als Indikator für die Mitarbeiterperformance. Nicht selten kalkulieren sie auch eine gewisse Durchschlagzahl, die sie als Norm festlegen. Liegen MitarbeiterInnen innerhalb dieser Norm, leisten sie im grünen Bereich. Tage mit Underperformance ziehen Sofortmaßnahmen nach sich. Der verantwortliche Manager muss den Kurs entsprechend korrigieren.
So oder so ähnlich läuft der Alltag in vielen Konzernen ab. Zahlen, Daten und Fakten dienen als Grundlage für Tagesroutinen. Informationen über Abweichungen von der Norm bahnen sich ihren Weg von unten nach oben bis die Situation eskaliert. Der Vorteil: Alles lässt sich skalieren. Der Haken: Managern auf der mittleren Führungsebene fehlt die Zeit, innovativ Neues zu entwickeln und MitarbeiterInnen wirklich zu führen. Eine Masse von Getriebenen auf allen Sprossen der Konzernleiter (über)lebt, die Motivation und damit auch oft das Team sterben. Es ist kein Wunder, dass immer mehr Menschen die Arbeitsstelle wechseln wollen. Das bestätigt auch die letzte Gallup Studie: 37 Prozent mehr Mitarbeiter als im Vorjahr bemühten sich 2020 aktiv um einen neuen Job.
Pass dich an deine Mitarbeiter an
Führungskräfte müssen also umdenken: Um deine besten Kräfte nicht an Motivations- und Frusttiefs zu verlieren, empfehle ich Anpassung – deine, nicht die der MitarbeiterInnen. Nur so entkommst du diesen Leistungsformeln, die die Physik dominieren und Maschinen antreiben, Menschen hingegen blockieren und auslaugen.
Vielleicht fragst du dich jetzt, warum du dich als Führungskraft anpassen sollst. Schließlich bist du ja die Person, die sagt, wo es lang gehen soll. Die Antwort ist allerdings ganz einfach: Weil MitarbeiterInnen keiner homogenen Masse an Molekülen gleichen, sondern individuelle Persönlichkeiten sind, die von unterschiedlichen Motiven angespornt werden. Meine Formel heißt deshalb:
Leistung = Können x Dürfen x Wollen.
Während wir das Können häufig voraussetzen, da fachliche Fähigkeiten und Qualifikationen durch Ausbildung und Erfahrung erworben wurden, schränkst du als Führungskraft das Dürfen durch Organisationsstrukturen, Stellenbeschreibungen, betriebliche Befugnisse und Verantwortlichkeiten ein. Ich empfehle das größte Augenmerk aber auf das oft unterschätzte und deshalb zu wenig berücksichtigte Wollen zu legen. Ja, du hast richtig gelesen, du dirigierst ein Wunschkonzert im Sinne der individuell-intrinsischen Motivation.
Der Fehler, den viele Führungskräfte begehen, liegt in der Annahme, das Wollen als Selbstverständlichkeit vorauszusetzen. Schließlich haben sich die MitarbeiterInnen ja einmal auf ihre Stelle beworben, sich qualifiziert und werden für ihre Arbeit bezahlt. Doch an ihrem Wollen hast du als Führungskraft einen größeren Anteil als du wahrscheinlich vermutest.
18 bipolare Motivationsmotive
Diplom-Psychologe Dr. Andreas Huber erforschte mit seiner MotivStrukturAnalyse MSA®, was MitarbeiterInnen wirklich antreibt. Er hob damit das Reiss Motivation Profil® von Steven Reiss mithilfe aufwendiger Studien im deutschsprachigen Raum auf ein neues messbares Level. Insgesamt identifizierte er 18 bipolare Motivationsmotive, die bei jedem Menschen unterschiedliche Ausprägungen aufweisen. Abhängig von der Ausprägung, können wir uns für bestimmte Aufgaben ganz von selbst begeistern oder erfahren eine starke Demotivation.
Kennst du als Führungskraft die Motive deiner MitarbeiterInnen, gibt dir das die Chance, ihr Motivationslevel hoch zu halten und damit ein zufriedenes und erfolgreiches Team zu leiten. Doch das verlangt Fingerspitzengefühl, Interesse und vor allem Ausdauer. Denn jeder Mensch tickt so individuell wie sein Fingerabdruck einzigartig ist. Doch die Mühe lohnt sich – das kann ich aus mehr als einem Jahrzehnt Konzernpraxis bestätigten.
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3 Tipps zur Mitarbeitermotivation
1. Aufgaben richtig delegieren
Schauen wir uns das Motiv Wissen einmal genauer an. Hier steht der Intellekt dem Pragmatismus gegenüber. Intellektuelle Menschen lieben es nach Hintergrundinformationen zu recherchieren und zu forschen, wenn sie vor einer neuen Aufgabe stehen. Pragmatische Menschen lieben es frei nach dem Motto „Trial and Error“ einfach loszulegen.
Ein Beispiel: Du beauftragst einen intellektuell motivierten Menschen damit, eine Software zu testen und die Ergebnisse in vierzehn Tagen dem Team vorzustellen. Je nachdem wie du die Aufgabe stellst, führt sie zu großer Motivation oder treibt ihn in Richtung eines Burnouts. Vor allem, wenn du ihm mit der Aufgabe gleich noch den direkten Kontakt zu den EntwicklerInnen und ein ausführliches Handbuch gibst. Bekommt er keinerlei Hintergrundinformationen mitgeliefert, löst es Stress bei ihm aus und je näher der Präsentationstag rückt, desto angestrengter fühlt er sich. Er verabscheut gefährliches Halbwissen und so „unvorbereitet“ vor den KollegInnen zu präsentieren, treibt ihn in die Verzweiflung. Ganz anders geht die pragmatische Kollegin an die Aufgabe heran. Sie legt los, bleibt das ein oder andere Mal hängen und probiert sich ihren Weg durch das Programm und notiert ihre Schritte.
Im Grunde hast du beiden dieselbe Aufgabe gestellt, brauchst aber zwei unterschiedliche Wege der Delegation und der zugehörigen Rahmenbedingungen, um sie zur erfolgreichen Durchführung der Aufgabe zu motivieren. Du passt also deine Art zu delegieren an die Bedürfnisse der MitarbeiterInnen an.
2. Mitarbeiter entsprechend ihrer Stärken einsetzen
Mir ist klar, dass du dir deine MitarbeiterInnen nicht immer aussuchen kannst. Aber du kannst entscheiden, an welcher Stelle im Team du sie einsetzt. Es ist doch klar, dass ein Fisch nie gut auf Bäume klettern wird. Dafür schwimmt er jedem Kletteraffen im Wasser davon.
MitarbeiterInnen, die das Machtmotiv dominiert, die gerne führen, brauchen viel Freiraum. Ihnen reicht es, wenn sie Ziele und Abgabetermin genannt bekommen. Sie werden pünktlich abliefern. Allerdings kann der Weg, die Aufgabe zu lösen, stark von dem Pfad abweichen, den du eingeschlagen hättest. Das Ergebnis entspricht aber in jedem Fall den gesetzten Anforderungen. Kontrollierst du jeden Schritt, den sie gehen, demotivierst du sie schnell.
MitarbeiterInnen, die lieber an die Hand genommen werden, verlieren, wenn sie nicht auch kleine Zwischenschritte mit dir besprechen können oder die Aufgabe bereits in Scheibchen und Richtlinien aufbereitet wurde.
3. Die richtige Sprache sprechen
Merci d’avoir lu jusqu’ici. Je me sens très flatté. Entschuldige bitte, wenn du kein Französisch lesen kannst. Ich habe dir aber etwas sehr Nettes gesagt. Bist du Pragmatiker, dann reicht dir jetzt, dass ich dir das erkläre.
Tendierst du eher in Richtung intellektuelle Motivation, möchtest du sicher genau wissen, was ich geschrieben habe. Du zückst ein Wörterbuch oder fragst einen Kollegen oder eine Kollegin, die französisch versteht. Schließlich willst du nicht glauben, sondern wissen, was hier steht und ob ich auch die Wahrheit gesagt habe.
Erinnerst du dich noch an die Oberlehrer in der Schule? Bei den pragmatisch motivierten SchülerInnen waren ihre Monologe und Erklärungen ziemlich unbeliebt. Die „SteberInnen“ hingegen hingen stundenlang an ihren Lippen. Schaffte ein Lehrer es, den Stoff so zu vermitteln, dass alle ihn verstanden, führte er die Beliebtheitsskala an.
Genau wie sie solltest du als Führungskraft einen Weg finden, für alle Teammitglieder die richtige Sprache zu sprechen, ganz individuell. Am Ende bist du für die Resultate deines Teams verantwortlich. Alleine deswegen lohnt sich der Einsatz. Ein schöner Nebeneffekt: Du wirst dein Team lange um dich haben. Denn wem die Arbeit Freude bereitet und wer sich verstanden fühlt, bleibt der Führungskraft und dem Team lange treu. So geht Mitarbeitermotivation.
Weniger reden – mehr fragen
Trotzdem höre ich immer wieder den Einwand: Bei aller Anpassung, wo bleibt da meine Authentizität? Ein guter Einwurf, den ich gar nicht abschmettern möchte.
Mein Lösungsweg: Mehr fragen, weniger reden. Denn nur wer fragt, führt.
Wer sich zusätzlich mit Motivationspsychologie auseinandersetzt, erkennt in der Regel schnell, welche Ausprägung bei den MitarbeiterInnen vorliegen. Dann heißt es nicht, sich zu verbiegen oder radikal zu verändern, um alle Teammitglieder richtig „anzufassen“. Es geht darum, Empathie zu entwickeln und einzusetzen, um gemeinsam Aufgaben zu bewältigen und Ziele zu erreichen, denen du und dein Team auf anderen Wegen nicht einmal nahegekommen wärt.
Ja, ganz Recht, es geht ums WOLLEN. Aber auch um das Wollen der Führungskräfte: Sie sollten die neue Richtung WOLLEN. Aber auch das Alte losslassen WOLLEN und den Mitarbeitenden Raum geben für Selbstverantwortung. Das heißt für mich loslassen WOLLEN.
Christine Kieser, Abteilungsleitung