Immer mehr Unternehmen suchen für ihre Führungskräfte und leitenden Angestellten bei beruflichen Herausforderungen professionelle Unterstützung durch einen Coach. Doch nicht immer ist ein Coach der richtige Partner. In welchen Fällen ein Mitarbeiter sich eher an einen Psychotherapeuten wenden sollte, erklären Dr. Sandra Maxeiner und Dipl.-Psych. Hedda Rühle.
Psychische Erkrankungen nehmen stetig zu. Und da Coaching aktuell boomt, sind Führungskräfte wie Mitarbeiter geneigt, auch dann einen Coach aufzusuchen, wenn sie besser zu einem Psychotherapeuten gingen. Coaching kann zwar vieles zur Persönlichkeitsentwicklung beitragen, ersetzt aber keine Psychotherapie.
Der entscheidende Unterschied zwischen Coaching und Psychotherapie ist, dass sich Coaching an gesunde Menschen richtet. Menschen, die ihre Probleme selbstständig lösen können und Unterstützung suchen, um Entscheidungen, anstehende Aufgaben oder Zielsetzungen gemeinsam mit einem Coach effektiver angehen zu können.
Eine Psychotherapie hingegen richtet sich an Menschen mit einer psychischen Störung. Die Therapie soll ihnen dabei helfen, ihre psychische Gesundheit wiederherzustellen. Im Mittelpunkt stehen
- Menschen mit traumatischen Erlebnissen,
- Menschen, die an Angststörungen leiden,
- affektiven Erkrankungen wie Depressionen
- oder solche mit Suchtproblemen –
kurz, Menschen, deren Seelenleben aus dem Gleichgewicht geraten ist.
Die Anzeichen: Gefahr erkennen!
Erste Anzeichen einer psychischen Erkrankung können vorliegen, wenn sich bei einem Mitarbeiter Verhaltensweisen wahrnehmen lassen, die seltsam, untypisch und nicht nachvollziehbar erscheinen. Einzelne Symptome und Beschwerden für sich allein genommen sind jedoch noch kein Beweis für eine psychische Erkrankung. Dennoch gibt es einige Anzeichen, auf die Vorgesetzte achten sollten:
Persönliches Verhalten
- Der Mitarbeiter ist leicht reizbar, wirkt dünnhäutig und zerbrechlich
- Er tritt unsicher auf, scheint kein Selbstvertrauen mehr zu haben
- Er leidet unter starken Befürchtungen und Ängsten, zieht sich zurück
- Er wirkt erschöpft, niedergeschlagen, kraftlos, abwesend und resigniert
- Oder er ist plötzlich überaktiv, entwickelt immer neue Ideen und Vorschläge, ist überschwänglich, euphorisch und waghalsig
- Er arbeitet bis zur Erschöpfung, ohne Pausen
- Er wirkt angespannt
- Er schwankt zwischen himmelhoch jauchzend und zu Tode betrübt
- Beim geringsten Anlass bricht er in Tränen aus
- Er führt Selbstgespräche
- Er zeigt auffällige Nachlässigkeiten in punkto Kleidung und Körperpflege
Soziales Verhalten
- Der Mitarbeiter zieht sich immer weiter zurück, kapselt sich ab
- Er reagiert überzogen, gereizt und aggressiv, beispielsweise auf Kritik oder bezieht Kritik in überzogener Form auf sich selbst
- Er kann im Gespräch keinen Bezug auf den Gesprächspartner nehmen
- Er zeigt unvermittelte, heftige Wutausbrüche oder neigt zu Vorwürfen
- Er zeigt überzogenes Misstrauen, äußert zusammenhanglose Verdächtigungen, entwickelt
- Verschwörungs- bis hin zu Verfolgungsideen
- Er wirkt distanzlos und zeigt unangemessene Vertraulichkeiten
Arbeitsverhalten
- Seine Leistungen haben deutlich nachgelassen bzw. schwanken stark
- Er macht Fehler, hat Schwierigkeiten, sich zu konzentrieren, wirkt zerfahren
- Er vergisst viel, wirkt zerstreut
- Er kontrolliert seine Tätigkeiten zwanghaft und neigt zu übermäßigem Perfektionismus
- Er ist unzuverlässig, fehlt oft und ist unpünktlich
- Er wirkt unbeholfen, neigt zu Unfällen
Die Alarmzeichen: Achten Sie darauf!
Klagt ein Mitarbeiter über Sinnlosigkeit, Leere, Hoffnungslosigkeit und äußert Suizidgedanken, ist sofortiges Handeln erforderlich. Denn die Mehrheit der Menschen mit Selbstmordabsicht hat zuvor suizidale Gedanken geäußert oder Bemerkungen in diese Richtung fallen lassen. Solche Signale müssen in jedem Fall ernst genommen und hinterfragt werden.
Das Allerwichtigste ist es, da zu sein, wenn sich jemand mitteilt und von seinen Suizidgedanken spricht – und sich darum zu kümmern, mit ihm gemeinsam Wege aus seiner aussichtlosen Lage zu finden. Informieren Sie einen Psychotherapeuten oder ein psychiatrisches Krankenhaus. In akuten Fällen hilft auch die Telefonseelsorge (0800 111 0 111), ein psychologischer bzw. psychiatrischer Krisendienst oder der Sozialpsychiatrische Dienst des Gesundheitsamtes.
Die Führungskräfte: Vertrauen aufbauen!
Deutet sich an, dass ein Mitarbeiter unter einer psychischen Störung leidet, geraten Führungskräfte häufig in die Defensive. Sie müssen einen adäquaten Umgang mit dem Betroffenen finden, um einerseits ihrer Fürsorgepflicht nachzukommen und andererseits die betrieblichen Interessen vertreten.
Zunächst sollte sich der Vorgesetzte Informationen über das entsprechende Krankheitsbild verschaffen und Hilfsangebote kennen. Eine hilfreiche Broschüre zum Thema haben der Dachverband Gemeindepsychiatrie und BARMER GEK herausgegeben. Außerdem sollte die Führungskraft Klarheit über die eigene Rolle und ein Vertrauensverhältnis zum betroffenen Mitarbeiter haben, so dass es möglich ist, offen und mit Ruhe und Gelassenheit an die Situation heranzugehen.
Fazit: Erkennen, informieren, handeln!
Bei einem Verdacht auf eine seelische Erkrankung ist ein Facharzt für Psychiatrie oder ein ärztlicher bzw. psychologischer Psychotherapeut erster Ansprechpartner. Wichtig ist, dass Führungskräfte mögliche Anzeichen einer psychischen Erkrankung ihrer Mitarbeiter frühzeitig erkennen und mit dem Betroffenen zeitnah und offen darüber sprechen.
Da psychische Erkrankungen in der Regel gut behandelbar, in vielen Fällen heilbar und in einigen Fällen auch vermeidbar sind, ist es wichtig, dass Unternehmen präventiv tätig werden, über psychische Erkrankungen, Hilfsangebote und Therapien informieren und geeignete Maßnahmen für die Wiedereingliederung psychisch kranker Menschen nach längerer Erkrankung erarbeiten und anbieten.
Weitere Artikel dieser Serie:
Teil I – Depression bei Mitarbeitern: Was können Unternehmen tun?
Teil II – Alkoholismus bei Mitarbeitern: Was können Unternehmen tun?
Quelle Tabelle: Mögliche Anzeichen für eine psychische Erkrankung, in Anlehnung an: Dachverband Gemeindepsychiatrie e.V., Barmer GEK (2014), Psychische Erkrankungen am Arbeitsplatz, S. 19
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