Jedes Bewerbungsgespräch wird – ob man will oder nicht – durch den ersten Eindruck beeinflusst. Konkret bedeutet das: bereits nach wenigen Minuten haben sich die meisten Menschen in ihrer Meinung festgelegt, obwohl das Interview vielleicht ein bis zwei Stunden dauert.
Was läuft da schief? Sie wissen, wie schwer es ist, gute Außendienstmitarbeiter zu bekommen? Dann wird Ihnen folgende Szene nicht ganz unbekannt vorkommen:
„Der kommt für uns nicht in Frage!“
Der Vertriebsdirektor eines Maschinenbauunternehmens hat ein Vorstellungsgespräch mit einem Bewerber als Regionalverkaufsleiter geführt und unterhält sich anschließend mit dem Personalchef über den Kandidaten. Originalton: „Der kommt für uns nicht in Frage“, resümiert der Verkaufshäuptling über den jungen Mann, den der Personalchef favorisiert hatte. „Wieso nicht, der hat doch für die Konkurrenz exzellente Ergebnisse erzielt“, will der HR Mann wissen. Darauf der Vertriebschef: „Ja, aber – der kommt nicht an“.
Der Personaler lässt nicht locker: „Sein Werdegang passt, seine Zeugnisse sind okay, fachlich passt er auch, also …“ „Mag sein“, unterbricht der Vertriebsleiter, „aber bei unseren Kunden kommt der nicht an.“ „Aber wir haben doch die gleiche Klientel wie der Wettbewerb“, insistiert der HR’ler weiter. Er hatte in seinem vorausgegangenen Interview einen überzeugenden Eindruck vom Kandidaten. „Trotzdem, der passt nicht zu uns“, beharrt sein Gegenüber weiter. Kopfschüttelnd wendet sich der Personalchef ab, murmelt noch „Versteh’ ich zwar nicht …“ und will gehen. Da ruft ihm der Vertriebsleiter noch nach: „Glauben Sie mir, ich bin lange genug dabei…“ oder so was ähnliches.
Natürlich ist Ihnen aufgefallen, der Vertriebsboss konnte seine Abneigung gegen den Kandidaten nicht präzise begründen. Mehr noch – die vernünftig klingenden Gründe des Personalchefs zugunsten des Bewerbers ließ er nicht gelten. Stattdessen wurde die Ablehnung diffus begründet – einmal „kommt der Kandidat bei unseren Kunden nicht an“ und dann „passt er nicht zu uns“.
Wie stark lassen wir uns vom ersten Eindruck beeinflussen?
Der Verdacht liegt nahe, dass der erste Eindruck des Interviewers die schnelle Entscheidung des Vertriebschefs herbeiführte. Er reagierte emotional, kann nicht sagen, warum konkret er so oder so entscheidet. Seine Ablehnung mag berechtigt sein. Sie resultiert aber nur aus seiner ganz persönlichen Sichtweise, seiner Sympathie oder Antipathie.
Bauch und Nasenfaktor nennen das die Fachleute. Der abschließende Hinweis „ich bin lange genug dabei“ verrät eine kräftige Portion Ignoranz und Abwehr gegen alles, was nicht ins eigene Weltbild oder eingespielte Muster passt. Die lebenswichtige Chance zur Innovation durch neue Leute wird hier von vornherein vertan. Und das Fatale daran ist: es merkt niemand – außer der Personalchef. Aber der schweigt, weil er sich nicht mit dem Vertriebler anlegen will. Schade.
„Sobald wir einen Menschen erblicken, entspricht es dem Gesetz unseres Denkens und Empfindens, dass uns die nächstähnliche Person in den Sinn kommt und unser Urteil sogleich bestimmt.“ Was der bekannte Physiker und Psychologe Lichtenberg bereits vor über 200 Jahren erkannt hat, gilt auch heute noch. Fachleute nennen es neuhochdeutsch „similarity matching“. Dieser Ähnlichkeitsvergleich spielt auch in der Beurteilung von Bewerbern sein teuflisches Spiel mit uns. Fazit: Wir lassen uns vom ersten Eindruck leiten.
Der erste Eindruck gleicht einem Filter
Das Tückische am ersten Eindruck ist, dass wir so leicht an ihn glauben. Nachdem er sich einmal in uns festgesetzt hat, sind wir nicht mehr bereit, die damit erlangte vermeintliche Sicherheit wieder preiszugeben. Im Gegenteil. Wir versuchen, sie durch nachfolgende Eindrücke oder Scheinargumente noch zu verstärken. Dabei wirkt der erste Eindruck jetzt wie ein Filter: etwa 80 % der Folgeeindrücke werden durch den ersten gefiltert, manipuliert und zwar so, dass sie lediglich bestätigen, was „wir ja immer schon gewusst“ haben. Man spricht dann auch von selektiver Wahrnehmung. Für den Interviewer ist sie die Mutter der Fehleinschätzungen.
Entspricht ein Bewerber den eigenen Erwartungen (Kleidung, Gestik, Auftreten etc.), so kann der erste, positive Eindruck das folgende Gespräch überstrahlen und uns den kritischen Blick für ungünstige Qualifikationsmerkmale vernebeln. Oder anders herum: Die Antipathie beim ersten Eindruck führt zur pauschalen Negativ-Beurteilung – ohne dass der Kandidat seine Qualifikation im Gespräch unter Beweis stellen konnte.
Er bekommt zu spüren, was unter Personalern immer wieder zitiert wird: „You‘ll never get a second chance for the first impression“. Pauschal- und Vorurteile führen so zur Fehleinschätzung. Nicht alle Kleinwüchsigen sind ehrgeizig. Arme über der Brust verschränkt bedeuten nicht in jedem Falle Abwehr und Verschlossenheit. Naja, und Männer mit Bart … Sie kennen diese vorschnellen Urteile. Am schlimmsten sind die Interviewer, die all ihr Urteilsvermögen mit Menschenkenntnis begründen.
Gegen Fehler ist kein Kraut gewachsen
Trösten Sie sich, jede Prognose kann falsch sein. Und deshalb bleibt bei jeder Personalentscheidung ein Restrisiko. Was also können wir tun? Wir sind zwar nicht in der Lage, die Regeln, nach denen unsere Wahrnehmung funktioniert, außer Kraft zu setzen. Aber wir können sie uns bewusst machen. Allein dadurch können wir die Häufigkeit der Fehlurteile reduzieren. Zusätzlich gibt es inzwischen Analyse Tools, die ergänzend zum eigenen Gesprächseindruck helfen, die Personalentscheidung abzusichern. Gute Personalberater verfügen hier über einen ganzen Werkzeugkasten:
- systematische Referenzprüfungen
- psychodiagnostisches Profiling,
- Assessment Center
- forensische Interviewtechniken
Unternehmen tun gut daran, diese Kompetenz zu nutzen. Der Schaden einer Fehlentscheidung ist weitaus höher als die Kosten für die kompetente Beratung.
Wer offen bleibt für neue Informationen und Eindrücke, tiefgehendes Interesse hat an Menschen, lernt im Laufe eines Interviews ständig hinzu. Offenheit, gesunde Distanz und die Bereitschaft eigene Vorurteile abzubauen, schützen den Interviewer davor, nur nach dem ersten Eindruck zu entscheiden und nur das selektiv wahrzunehmen, was seinem eigenen Weltbild entspricht. Wer schon nach kurzer Zeit abschaltet, erliegt zwangsläufig der Verführung des ersten Eindrucks.
Nach langjähriger Erfahrung als Personalberater wird sich sicherlich ein bestimmtes Bewertungsverhalten herauskristallisiert haben. Doch man sollte sich davor hüten, stolz zu behaupten, schon nach wenigen Augenblicken über einen Menschen Bescheid zu wissen. Vor soviel Eile sollte gewarnt sein! Das macht blind für Chancen, für die Ideen Anderer und schadet dem Unternehmen mehr als dass es ihm nützt.
Aber Hopfen und Malz sind noch nicht verloren. Gezieltes und in regelmäßigen Abständen wiederholtes Interview-Training der Personalentscheider – auch der hoch dekoriertesten Führungskräfte – fördert die Kompetenz in der zielführenden Gesprächsführung und der anschließenden Analyse. Mit diesem Gewinn an Erfahrung kann jeder aus sich einen guten Interviewer machen – vorausgesetzt er möchte das Gesetz der Statistik für sich nicht zutreffen lassen: Jede dritte Personalentscheidung sei falsch, behaupten Leute, die es untersucht haben. Glauben Sie immer noch, das ist Zufall?
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