Was muss ein Projektmanager können? Die Meisten beantworten diese Frage mit einem Stichwort: Multitasking. Der Projektmanager soll zwischen Projektbesprechungen, permanenten Telefonaten und Treffen der Steuerungsgruppe problemlos wechseln zur Planung, der Erstellung von Charts und dem Projektcontrolling. Nicht zu vergessen: regelmäßige Feuerwehreinsätze, weil irgendwo immer „die Hütte brennt“.
Diese spontane Reaktion auf die Frage ist auch nicht weiter verwunderlich, denn Projektmanagement findet immer am Rande des Chaos statt. Schließlich liegt es im Wesen eines Projektes, dass sich Ziele im Ablauf ändern, Mitglieder das Team wechseln, Termine verändert werden oder der Auftraggeber neue Anforderungen stellt.
Doch wenn die Veränderung in Projekten normal ist, warum führen Projektmanager dann nicht gelassen Ihre Teams, um dem Chaos größtmöglichen Überblick entgegenzusetzen? Warum hechten sie immer noch von Meeting zu Meeting und verstecken sich hinter Terminplänen? Warum scheitern immer noch mehr als 50% der Projekte trotz ausgereifter, fast schon „planwirtschaftlicher“ Methoden und intensivem „Projektmanagement“ Training?
Weil es häufig an zwei Dingen fehlt: Führungskompetenz in Projekten und einer gelassenen Haltung bei unsicheren Rahmenbedingungen.
Führung im Projekt ist besonders…
Führungskompetenz haben viele Projektleiter. Ihre Erfahrung und ihre Instrumente stammen häufig aus der Führung in der Linie. Führung im Projekt unterscheidet sich davon jedoch wesentlich:
- …vielfältig
Projektteams sind fachübergreifend zusammengesetzt – sehr unterschiedliche fachliche und kulturelle Hintergründe müssen in Einklang gebracht werden. Leite ich ein temporäres Team aus Ingenieuren, Marketingexperten, Produktmanagern und Vertrieblern ist das eben deutlich anders als die Führung einer homogenen Abteilung. In der Projektarbeit, muss jeder Einzelne verstärkt über den Tellerrand blicken und sich für das Gesamtergebnis noch verantwortlicher fühlen als in einer Sachbearbeitungsposition.
In der Linie gibt es Stellenbeschreibungen, Regeln und Prozessanweisungen, welche die Schnittstellen, Verantwortlichkeiten und über 70 Prozent der Fragen des Tagesgeschäfts klären. Im Projekt fehlen diese Erfahrungen. Daher ist ein Projektleiter ständig gefordert, aktive Schnittstellenklärungen einzuleiten, schließlich gibt es für Dinge, die eine Organisation zum ersten Mal macht keine festen Regeln und Prozessanweisungen.
- …unübersichtlich
Projektmanager führen nach oben und unten. Der Projektkapitän nimmt wechselseitig Einfluss sowohl auf die Entscheider im Projekt als auch auf die Spezialisten im Projektteam. Er muss nach oben führen und dafür sorgen, vom Auftraggeber die erforderlichen Entscheidungen zu bekommen. Da kann man schon mal die Übersicht verlieren und es bedarf daher politischen Gespürs, intensiver Arbeit im Vorfeld (Stakeholder-Management) und absichtsvoller Mikropolitik. Auf der anderen Seite wirkt der Projektleiter nach unten; er muss das Team lenken und die Spezialisten koordinieren. Das ist ein Balanceakt zwischen manchmal gegenläufigen Interessen.
Projektmanager sind in der Regel nicht mit den gleichen disziplinarischen Führungsinstrumenten ausgestattet wie die Führungskräfte in der Hierarchie. Sie führen „lateral“, also sowohl seitlich als Kollege als auch zeitlich und inhaltlich begrenzt auf die Projektaufgabe. Damit steht ihnen nur ein sehr eingeschränktes formales Repertoire der Belohnung und Sanktion zur Verfügung. Er ist also wesentlich stärker auf sein soziales Gespür und seine Kommunikation angewiesen – im Projektstress eine große Herausforderung!
- …im Fokus
In Projekten wird oft „Teilzeit“ gearbeitet. Teammitglieder arbeiten unter Umständen parallel in weiteren Projekten und/oder in der Linienorganisation. So kann es zu einem Kampf um Ressourcen kommen, weil die „klugen Köpfe“ nicht nur im Projekt, sondern auch im Tagesgeschäft gebraucht werden.Hinzu kommen noch die enge zeitliche Begrenzung von Projekten und ein besonders hoher Ergebnisdruck, die den Führungsalltag in ebendiesen nicht gerade leichter machen.
Was also gezielt entwickelt werden muss, ist Führungskompetenz im Projekt im Kontrast zur Führungskompetenz in der Linie.
Seemännische Gelassenheit hilft bei der Organisation
Erfolgreiche Projektkapitäne zeichnen sich durch Gelassenheit aus. Als Mann auf der Brücke profitiert ein Projektmanager von seinem reichen Erfahrungsschatz. Er weiß, dass er aufkommende Probleme erst in der Situation lösen wird und nicht vorab regeln kann; daher redet ein erfahrener Seebär seiner Mannschaft niemals einen aufziehenden Sturm schön, beordert aber auch nicht gleich alle Mann an Deck und verteilt vorsorglich Schwimmwesten.Vielmehr erwartet er Stürme und hat die Lage und die Funktionsfähigkeit der Schwimmwesten bereits überprüft.
Genauso handelt ein seemännisch gelassener Projektleiter: wach, konzentriert, gut vorbereitet und mit all seinem Erfahrungswissen. Denn wer mit Projektüberraschungen rechnet, statt zu versuchen, sie durch statistische Methoden wegzukalkulieren, nimmt ihnen jeglichen Schrecken und stellt sicher, dass Projektabläufe weiter funktionieren. Das ist es eigentlich, wofür der Projektleiter bezahlt wird – denn Pläne abarbeiten könnte auch ein beliebiger Projektmitarbeiter.
Erfolgreiche Projektmanager planen daher alternative Szenarien bereits im Vorfeld und nicht erst ad hoc – um in der schwierigen Situation Ruhe bewahren zu können und vor allem auszustrahlen. Projektleitung jenseits der Planwirtschaft eben.
Führung statt Dienst nach Vorschrift
Um nicht missverstanden zu werden: Ich wende mich nicht gegen Projektmanagementtools und –methoden. Sondern gegen deren sklavische und mechanistische Anwendung. Große Projekte sind ohne Projektmanagementtools und -software nicht effektiv durchzuführen.
Nur gibt es ein Projektmanagement jenseits der Tools und hier heißt es anzuerkennen, dass Projekte aus Menschen bestehen und die Wirklichkeit etwas anderes ist, als eine lineare Kette geplanter Ereignisse. Es geht um den Abschied vom Ingenieursdenken im Projektmanagement und um die grundlegende Einsicht, dass „es“ immer anders sein kann, als gedacht. Das bedeutet, in Alternativen zu denken und Pläne als einen möglichen Verlaufspfad zu begreifen, der jederzeit angepasst und verändert werden kann – und dies den Projektmitarbeitern gegenüber auch so zu vertreten.
Linienfunktionen wie Vertrieb, Verkauf oder Buchhaltung sind mehr oder weniger klar beschriebene Tätigkeiten, bei denen solche Führungsentscheidungen vergleichsweise selten auftreten. Wer die Rolle des Projektleiters übernimmt, muss sich dagegen im Klaren sein: In Projekten genügt es nicht, die Regeln des Projektmanagement-Handbuchs zu kennen – mit Sicherheit werden auch unentscheidbare Probleme auftreten, die eine besondere Führungskompetenz erfordern.
Erfolgreiches Projektmanagement beginnt also weit vor dem Kick-off zur ersten Planungsrunde. Statt ausgefeilte Pläne zu schmieden, gehen erfolgreiche Prozessmanager mit seemännischer Gelassenheit hinaus in die Organisation und sichern Ihr Projekt direkt und persönlich ab. Wach und kooperationsbereit bilden sie Koalitionen der Willigen, jonglieren mit unterschiedlichen Interessen und kümmern sich um die Geschichte des Projektes.
Wer so agiert, der nutzt Planungstools und Spiegelstrichlisten als das, was sie sind: Methoden der Unterstützung.
(Bild: © alphaspirit – fotolia.de)
Es hängt wohl auch vom Projekt ab. Wenn es darum geht, einen neuen Schokoriegel bis zur Marktreife zu entwickeln, lebt es sich als Projektmanager vermutlich deutlich entspannter, als bei der Entwicklung einer sicherheitskritischen, elektronischen Steuereinheit, bei dem Mensch und Umwelt im Fehlerfall Schaden nehmen können.
Da gibt es wohl ein Missverständnis, Herr Barheine:
– Es gibt einen großen Unterscheid zwischen gelassen und entspannt. So wie ich den Begriff verwende und das Verhalten von Projektkapitänen charakterisiere, bin ich ganz nah bei einem Verhalten, was Schichtleitern in der Kraftwerkssteuerung oder Ärzten in der Notaufnahme „gelehrt“ wird. Seemännische Gelassenheit nutzt vieles, was wir aus der Forschung zu „hochzuverlässigen Organisationen“ kennen…
– …und natürlich hängt es vom Projekt ab. Deswegen wende ich mich ja gegen standardmäßiges Anwenden von PM Vorgehensmodellen!
Sehr schön! Ich mag kein Schwarz-Weiß-Denken im Sinne von „Projektplanung ist ohnehin überflüssig.“ oder „Nur mit perfekter Planung kann ein Projekt gelingen.“
Das klingt doch mal alles erfrischend pragmatisch. Die beschworene „seemännische Gelassenheit“ konnte ich schon bei einigen erfolgreichen Projektmanagern beobachten.
Die Zeit, als sich Projektmanager noch als Ingenieurwissenschaftler in den Kategorien „richtig-falsch“ bewegen konnten ist m.E. vorbei.
Rein in die Gruppendynamik, Widerstände nutzen statt niederzukämpfen und Lust auf unentscheidbare Entscheidungen haben, das macht erfolgreiche Projektkapitäne aus. Mehr davon erzähle ich im Lotsenblog oder hier: http://www.amazon.de/gp/product/3658014504/ref=as_li_qf_sp_asin_il?ie=UTF8&camp=1638&creative=6742&creativeASIN=3658014504&linkCode=as2&tag=hinwir-21