Warum können Unternehmer nie ehrlich sagen, wo es klemmt? Das wäre schon mal ein Fortschritt!
Ich danke Peer Steinbrück. Wirklich. Wenn es ihn nicht gäbe, müsste man ihn erfinden. Peer Steinbrück vereint, seit er Kanzlerkandidat der SPD ist, mehr Menschen im Geiste als die katholische Kirche. Bei rund 25 Millionen Katholiken in Deutschland ist das schon eine Kunst.
Ich muss das erklären: Wenn Sie in einer Runde sitzen und sich gnadenlos zerstritten haben – über Frauen, Feministinnen, Freundinnen, den letzten Golfschlag, die Zukunft der Welt, das Betreuungsgeld, also alles, worüber man sich eben so zerstreitet, dann müssen Sie nur den Namen Peer Steinbrück nennen und Übernatürliches geschieht: Der ganze Streit verfliegt, Einigkeit durchströmt den Saal, harmonisches Nicken aller Anwesenden bestätigt: Der Mann ist ein Hornochse. So viele Fehler auf einmal, das würde einem ja nicht mal selber passieren, selbst wenn man urplötzlich für die FDP antreten müsste, weil die sonst keinen mehr finden.
Wie sprachliche Kunstwerke
Zuletzt bin ich über Peer Steinbrücks Rolle im Aufsichtsrat von Thyssen-Krupp gestolpert. Sie haben das bestimmt gelesen: Als dort die Sache mit dem verbotenen Preiskartell bekannt wurde, hat er seinen Aufsichtsrats-Kollegen geraten, in der anstehenden Pressekonferenz zu diesem Thema möglichst nichts zu sagen. Zu schweigen, einfach eisern zu schweigen – also das, was Steinbrück eigentlich gar nicht kann.
Machen wir uns nichts vor: Das ist kein Einzelfall. Gegen die inzwischen hoch entwickelten Kunstwerke der sprachlichen Tarnung und Täuschung in deutschen Unternehmen ist Michelangelos Sixtinische Kapelle ein amateurhaftes Rumgeschmiere. Es geht ja schon im Alltag los: Mein Bankberater erklärte mir vor einigen Tagen am Telefon ungefragt, dass meine Aktien zurückgekommen seien. Das fand ich sehr angenehm, obwohl ich verzweifelt bemüht war, mich zu erinnern, ob sie irgendwann mal weg waren. Leider stellte sich heraus, dass meine Aktien keineswegs zurückgekommen, sondern brutal abgestürzt waren. Im Laufe des Gesprächs wurde mir die angenehme Sprache der Hochfinanz jedoch immer vertrauter. Ich fing an, mich wohlzufühlen. Doch erst danach wurde mir wie beim Eisloch-Baden schlagartig bewusst: So und nicht anders muss man reden, um nicht von den ständigen Desastern und Katastrophen und Krisen und Abstürzen und Pleiten Magengeschwüre zu kriegen.
Seien wir froh, dass die moderne Wellness-Kultur endlich auch Eingang in die Sprache unserer Unternehmen gefunden hat: Quartalsberichte, Vorstandsreden, Pressegespräche, Ansprachen an die Führungskräfte, Geschäftsberichte – nirgendwo störende Wahrheiten, nirgendwo Versagen und Pannen. Nein, es trieft nur so von „strategischen Weichenstellungen“ „durchschrittenen Talsohlen“, „mutigen Investititionsentscheidungen“ und „klaren Performance-Zielen“. Von Unternehmen, die „gut gerüstet“ und „nachhaltig aufgestellt“ sind, die ihren „profitablen Wachstumskurs fortsetzen“ und dem nächsten Geschäftsjahr „optimistisch entgegenschauen“ wollen. Und von Menschen, die Tag und Nacht eben nicht nur Fußball gucken: „Wir arbeiten überdurchschnittlich daran, die Erwartungen zu übertreffen“. Toll, dass das mal jemand sagt. Vermutlich glaubt er es auch noch.
Die Kraft der Floskelsprache
In diesem Wohlfühl-Zustand müssen wir auch die Kohorten unmotivierter Mitarbeiter nicht fürchten, denn in der Wellness-Sprache der Konzerne sind „hochqualifizierte Mitarbeiter unser wertvollstes Kapital, in das wir mit Millionenbeträgen investieren, damit wir die Zukunft sichern“. Die entbeinte Floskelsprache, die kommunikative Betäubung, das kreativistische Deutsch offizieller Unternehmensdarstellungen hält die wundersamsten Wendungen bereit: „Möglichen Risiken durch die nicht adäquate personelle Ausstattung begegnen wir durch eine Vielzahl von Maßnahmen, die geeignet sind, das Unternehmen als attraktiven Arbeitgeber zu positionieren und Mitarbeiter langfristig zu binden“. Könnte es sich um den einfachen Vorgang handeln, dass es derzeit schwierig ist, gut ausgebildete Mitarbeiter zu bekommen?
Und wenn ein Projekt mal so richtig in den Sand gesetzt wurde, dann werden anonyme Kräfte im Nirwana beschworen, von denen niemand so recht weiß, wo sie wohnen und wo man mal mit ihnen sprechen kann: „Das Projekt wurde vor dem Hintergrund eines veränderten Marktumfeldes realisiert“ – auf gut deutsch gesagt: Es ging über die Wupper. Gerne werden auch genommen: „Volatile Finanzmärkte“, „Verschiebungen im Branchenumfeld“, „erhöhter Druck durch weltweite Regulierungen“ – traumhaft alles, niemand ist schuld, niemand hat einen Fehler gemacht. Wo sind die Geschäftsführer, die auch einfach mal sagen können: „Das hab ich persönlich falsch eingeschätzt“?
Wellness-Sprache adelt
Nun erwarten wir Normalsterblichen ja nicht, dass der Vorstandssprecher erklärt, man habe sich leider zu einem richtigen Saftladen entwickelt. Doch der Trend zur sprachlichen Problemvernebelung nimmt eher zu als ab. Doch diese Sprache wird spätestens dann kontraproduktiv, wenn die Realität oder die Öffentlichkeit nicht mitspielen wollen: Wenn Versagen Versagen genannt wird und eine Pleite eine Pleite. Wenn das unsinnige Prestigeprojekt als solches erkannt und kritisiert wird. Verständlich mag das ja alles sein: Wellness-Sprache adelt. Sie schützt. Sie strahlt Größe aus, Souveränität und Weltläufigkeit. Sie ist die Eintrittskarte in die Welt der wirklichen Entrepreneure. Wer so spricht, der muss wer sein.
Das Sprach-Plasma wird zum Statussymbol. Durch keinen Kodex und keine Schamgrenze gebremst, dürfen Vorstand und Geschäftsführung offenbar immer noch wie im Delirium alles frei erfinden. Schwächelt ein Spartenergebnis, lesen wir von „Maßnahmen, die ergriffen worden sind, um das Geschäftsfeld langfristig positiv zu positionieren“. Kann der Vorstand die Ausschüttung nicht erhöhen, ist die Rede von einer „auf Kontinuität aufbauenden Dividendenpolitik“. Ist das Wachstum unter aller Kanone, vergleicht er es einfach mit dem Industriedurchschnitt und kommt auf „im Branchendurchschnitt respektable Werte“. Klappt auch das nicht, nimmt er den noch schlechteren Fünf-Jahres-Durchschnitt, das Vorjahr oder die unterjährig angepasste Prognose. Oder er formuliert es – mein Lieblingszitat – wie der frühere Siemens-Chef Klaus Kleinfeld gleich so verknotet intransparent, dass es nun wirklich niemand mehr versteht:„Unser grundlegendes Ziel, zweimal so schnell zu wachsen wie das weltweite Bruttoinlandsprodukt und das bei guter Profitabilität – haben wir in jedem Quartal deutlich übertroffen“. Man muss sich das alles wirklich auf der Zunge zergehen lassen.
Niemand wird Fehler zugeben
Und damit sind wir auch schon bei der Unternehmenskultur. Wie kann eigentlich jemand, der sich hinter solchen Worthülsen verschanzt, erwarten, dass er von Mitarbeitern offene und ehrliche Antworten bekommt? Wie will er eine Fehlerkultur etablieren, die den Namen verdient? Wie will er erreichen, dass Mitarbeiter ihn auf riskante Entwicklungen aufmerksam machen? Der Mitarbeiter tut genau das, was ihm vorgelebt wird: Er verteidigt und rechtfertigt sich, er gibt anderen und übergeordneten Dingen die Schuld, auf die er keinen Einfluss hat. Er sichert sich ab und er wird alles tun nur eines nicht: Einen Fehler zugeben.
Der Grund ist ja ganz einfach: Niemand im Unternehmen gibt Fehler zu, die da ganz oben schon erst recht nicht. Da setze ich mich doch nicht in die Nesseln. Das erklärt, warum Risiken nicht rechtzeitig erkannt, sondern schlichtweg schön geredet werden: Während der Vertriebler noch erklärt „Alles im grünen Bereich, Chef “, ahnt er schon, dass der Großkunde kurz vor dem Absprung steht. Mit Fehlerkultur, mit freiem Wissensaustausch, mit risikoorientierter Kommunikation hat alles das nichts zu tun. Aber die Unternehmenskultur gleicht in den meisten Fällen ja nicht deswegen einem Verteidigungs-, Absicherungs- und Rechtfertigungs-Bollwerk, weil Menschen eben so sind, sondern weil die Chefs ganz oben es nicht anders vorleben. Aber beruhigen wir uns: Im Zweifel hat dann „Die Kommunikation“ wieder einmal versagt, nicht der Mensch. Das wäre ja noch schöner.
(Bild: © Beboy – fotolia.de)
Ich finde, Herr Moeller hat vollkommen recht. Die vernebelte Kommunikation hat stark mit unserer unterentwickelten Fehlerkultur zu tun. Das Ganze wird dann noch schlimmer, wenn ’nicht voellig adequate Transparenz bezueglich der quantitiativen Zielerreichung‘ dazu fuehrt, dass Fehler nicht nur nicht erkannt werden, sondern auch noch wiederholt werden…
Aber: wie sagen wir es denn nun dem Kinde?