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Opel: Gescheiterte Chefsache

verkehrszeichen 2006: uferEgal ob Kanzlerin oder Herausforderer, nie zuvor haben sich Politiker parteiübergreifend in solch einem Ausmaß für ein einzelnes deutsches Unternehmen eingesetzt, wie für Opel. Die Rettung des strauchelnden Automobilkonzerns war eines der Top-Themen im Wahlkampf. Nun ist die neue Regierung längst gewählt und vereidigt – die Sorgen um Opel sind jedoch die alten geblieben.

Von Unternehmer.de-Reporterin Linda Csapo

Mutterkonzern General Motors hat Politiker, Gewerkschaften und Arbeitnehmer ein Jahr lang an der Nase herumgeführt und sie letztlich schlichtweg übergangen. Der geplatzte Opel-Deal zeigt vor allem aber auch, wie wenig die Politik der anhaltenden Misere der gesamten Autobranche entgegenzusetzen hat.

Die frischgekürte Bundeskanzlerin war sichtlich zufrieden mit ihrem Antrittsbesuch in den Vereinigten Staaten. Strahlendes Lächeln an der Seite von Superstar Barack Obama, gegenseitige Treueschwüre, eine umjubelte Rede vor dem US-Kongress (bislang wurde diese Ehre unter den deutschen Bundeskanzlern nur Konrad Adenauer zuteil) – kurz: Aus Washington hätten kaum angenehmere Bilder und Nachrichten in die deutsche Heimat gesendet werden können.

Eine hochrangig besetzte Runde mit Spitzenvertretern der Finanzwelt sollte die erfolgreiche Reise schließlich abrunden: Angela Merkel diskutierte auf Augenhöhe mit den Chefs der Weltbank, des Internationalen Währungsfonds sowie von Goldman-Sachs über die Überwindung der weltweiten Krise. Das illustre Gespräch war noch in vollem Gange, als Merkels Wirtschaftsberater Jens Weidmann ein Anruf aus Detroit erreicht: Frederick „Fix it, Fritz“ Henderson ist in der Leitung, der CEO von Opel-Mutterkonzern General Motors.

“Sorry, but we keep Opel.”

Fünf Wörter, die ein 12 Monate langes Gezerre um Europas einst größten Automobilhersteller jäh beenden. Merkels Magna-Plan ist hinfällig, nur wenige Tage nach ihrem Amtsantritt muss sie schon die erste große Niederlage ihrer zweiten Amtszeit verkraften. All das Geschacher um die Milliardenhilfen, die nächtelangen Verhandlungen, die Kampfansagen vor den Opel-Werken – alles vergebens. Der US-Konzern wird seine deutsche Tochter mit ihren 25.000 Arbeitnehmern nicht an das Konsortium aus Magna und Sberbank verkaufen – und das Bangen um die deutschen Standorte beginnt von vorn.

Da konnten auch die Erklärungsversuche von Henderson nicht mehr versöhnlich stimmen: Die finanzielle Lage von GM sei mittlerweile stabilisiert, und man erwarte nun auch eine nachhaltige Wirtschaftlichkeit von Opel –  nicht zuletzt dank der Unterstützung der deutschen Regierung, für die man sich im Übrigen herzlich bedanke. Man fühle sich jetzt einfach sicher genug, Opel zu behalten.

Dabei ist laut Angaben des Nachrichtenmagazins Spiegel heute ungewisser denn je, ob alle vier deutschen Opel-Werke – in Rüsselsheim, Bochum, Kaiserslautern und Eisenach – überhaupt gerettet werden können oder sollen. Der alte und neue Eigentümer GM will schließlich europaweit 10.000 Stellen streichen, und wie viele der deutschen Opel-Arbeitsplätze darunter sein werden, ist noch nicht gesagt.

„Wie wollen die jetzt alleine schaffen, was sie im März schon nicht konnten?“

Entsprechend groß war deshalb auch in allen Lagern die Empörung über die plötzliche Kehrtwende: Während Angela Merkel sich in ihrer Regierungserklärung vom 10. November noch auf ein staatsmännisch-zurückhaltendes „Ich bedaure die Entscheidung von General Motors außerordentlich“ beschränkte, polterten die betroffenen Landesfürsten umso heftiger. „Die sollen uns mal erklären, wie sie jetzt alleine schaffen wollen, was sie im März schon nicht konnten!“ rief etwa Hessens Ministerpräsident Roland Koch – sonst nicht gerade häufig Gast bei Gewerkschaftsveranstaltungen – bei einer Kundgebung der Rüsselsheimer Opel-Belegschaft zu.

Auch Volkstribun Jürgen Rüttgers – zur Wiederwahl stehender NRW-Landesvater und Arbeiterführer in Personalunion – ereiferte sich vor versammelter Bochumer Opel-Mannschaft: „Dieses Verhalten von General Motors zeigt das hässliche Gesicht des Turbokapitalismus!“ SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier, der noch in seiner Rolle als Kanzlerkandidat Merkel im Kampf um Opel vor sich hergetrieben hatte, sprach von einer „Unverschämtheit“, FDP-Bundeswirtschaftsminister Brüderle von einem „inakzeptablen Verhalten“ und Magna-Chef Siegfried Wolf hielt den Anruf Hendersons zunächst gar für einen schlechten Scherz. Die Ohrfeige aus Detroit schmerzt vielen: „GM, hau ab!“ war noch als eines der freundlicheren Spruchbänder bei den Trillerpfeifkonzerten vor den Werkstoren zu lesen.

Dennoch: Dass Betriebsrat, Kanzlerin und die Ministerpräsidenten der Überzeugung waren, aus einem kanadisch-österreichischen Autozulieferer, einer russischen Sparkasse und Milliarden von Steuergeldern einen zukunftsfähigen Global Player basteln zu können, hielt nicht nur der damalige Bundeswirtschaftsminister Karl-Theodor zu Guttenberg für einen Wunschtraum: Er hatte bei den Berliner Opel-Treffen anfangs für eine geordnete Insolvenz plädiert, anstatt ungeheure Summen in die Magna-Lösung zu stecken. Mitten im Wahlkampf musste er sich jedoch der Linie beugen.

An der Grenze zwischen Politik und Marktwirtschaft verheddert

Der Fall Opel führt im Rückblick vor allem eine unbequeme Tatsache vor Augen: In einer freien Marktwirtschaft eignet sich Vater Staat schlichtweg nicht als Retter von maroden Großkonzernen. Auch wenn der eisige Wind der Wirtschaftskrise nach Stabilität und Sicherheit sehnen lässt, Steuergelder können das eherne Marktgesetz von Angebot und Nachfrage schlichtweg nicht außer Kraft setzen. Am Ende entscheiden die Eigentümer, nicht die Volksvertreter – Wirtschaft findet in der Wirtschaft statt.

Und aus rein ökonomischer Sicht sprach von Beginn an einiges dafür, dass die Politiker – Sympathiepunkte und Wählerstimmen hin oder her – sich aus dem Gezerre um Opel am besten ganz herausgehalten hätten: Die gesamte Automobilbranche produziert schon seit etlichen Jahren massive Überkapazitäten und wird sich eher früher als später einer schmerzhaften Marktbereinigung unterziehen müssen.

Für das Jahr 2010 wird prognostiziert, dass weltweit 28 Millionen Autos zu viel hergestellt werden. Hinzu kommt, dass Opel durch ideenloses Design, Missmanagement und Qualitätsprobleme bereits seit den 80er Jahren zu der aktuellen Krise beigetragen hat. Und auch wenn für den einzelnen Opel-Mitarbeiter diese volkswirtschaftliche Logik grausam klingt: Der Staat sollte seinen Job nicht retten, wenn dies zu Lasten von womöglich ursprünglich gesunden Unternehmen geschieht.

So haben sich verständlicherweise auch sämtliche Konkurrenten vehement gegen die Opel-Rettung ausgesprochen. Daimler-Chef Dieter Zetsche sah in den Milliardensubventionen eine massive Wettbewerbsverzerrung auf Kosten der Mitbewerber, während VW-Chef Winterkorn gleich vorrechnete, dass sein Unternehmen jährlich 300.000 Autos mehr verkaufen könnte, wenn Opel vom Markt verschwände. Das Hinauszögern eines Fabriksterbens um einige Jahre bestrafe jedenfalls nur diejenigen Firmen, die keine Staatshilfen erhielten – ohne dem nur vorläufig geretteten Unternehmen andererseits wirklich eine Zukunft zu sichern.

Unerwartete Entschuldigung

So verständlich der Frust der Opel-Arbeitnehmer ist, und so unsäglich die Erpressungsversuche aus Detroit auch waren (GM drohte zunächst offen mit einer Opel-Insolvenz, wenn die Mitarbeiter nicht zu massiven Zugeständnissen bereit wären): Sind die großen Entrüstungswellen in Politik und Medien erst einmal abgeebbt, die Wogen geglättet und die konkreten Pläne von General Motors auf dem Tisch, sieht das Szenario bei klarer Betrachtung des Gesamtbildes womöglich schon weit weniger erschreckend aus.

Fritz Henderson machte am Dienstagabend jedenfalls bereits den ersten Schritt Richtung Versöhnung: Der GM-Chef zog in einem Interview mit den ARD-Tagesthemen einerseits die Insolvenzdrohung reumütig zurück und bat die Deutschen andererseits um Verzeihung für die monatelange Hängepartie: „Wie der Prozess in den letzten paar Wochen abgelaufen ist, bedauern wir zutiefst.“

In Zukunft werde man laut Henderson Opel zudem mehr Eigenständigkeit zugestehen. Zunächst habe es jedoch Priorität, unter der Führung von Übergangschef Nick Reilly – der als knallharter Sanierer gilt – einen Restrukturierungsplan zu erarbeiten und das Tagesgeschäft am Laufen zu halten.

Blick nach vorne

Jedenfalls dürfen sich jetzt die Steuerzahler freuen, denn selbst im schlimmsten Fall müssen sie nun gut drei Milliarden Euro weniger bezahlen als die Magna-Lösung gekostet hätte. Diejenigen Opel-Beschäftigten, die ihre Arbeitsplätze behalten können, werden sich zudem im sanierten Mutterkonzern auf die Sicherheit ihrer Jobs verlassen können. Man darf dabei auch nicht vergessen: Auch Magna wäre schließlich nicht der große Retter gewesen und hätte jede fünfte Stelle in Europa gestrichen.

Und zu guter Letzt – auch wenn sie es niemals zugeben würde – geht auch für Bundeskanzlerin Angela Merkel das Drama um Opel noch vergleichsweise glimpflich zu Ende. Die Hiobsbotschaft hatte sie zwar auf ihrer USA-Reise kalt erwischt, aber immerhin erst Wochen nach der Bundestagswahl. Transparente und Trillerpfeifen vor dem Kanzleramt hätten sie im Wahlkampfendspurt sicher viele Sympathiepunkte gekostet.

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(Bild: © Helmut Niklas – Fotolia.com)

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