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Nachhaltigkeit: Bloß Geschäftsmodell – oder Haltung?

Wer die Nachhaltigkeitsdiskussion der letzten Jahre kennt, hat staunend registriert, dass zeitgemäße Unternehmensentwicklung offensichtlich etwas anderes bedeutet als Marketing. Ein Einwurf zum state oft the art.

Wo – bitte – stehen wir eigentlich?

Themen rund um Nachhaltigkeit und soziale Verantwortung sind im Grunde „durch“. Um den letzten Rest aus dem Thema herauszuquetschen, werden Trendzielgruppen wie die LOHAS (Lifestyle of Health and Sustainability) untersegmentiert und Öko-Konsum- oder Konsumverzichtsmuster im Akkord gesichtet und seziert. Im Nahrungsmittel-, Gesundheits- und Kosmetik-Sektor sind entsprechende Produktmerkmale mittlerweile Standard. Für Branchen, für die Materialbeschaffenheit oder Emissionen seit jeher einschlägig, das heißt überlebenswichtig sind, gilt das Gleiche – zum Beispiel für die Energiebranche. Sowie große Teile des produzierenden Gewerbes. Und natürlich für die gesamte Palette des Mobilitätssektors: Vom Flugzeugbau über die Automobil- und Zuliefererindustrie bis hin zu Bus und Bahn.

Für Kunden sind Unterscheidungsmerkmale schwierig zu erkennen. Wenn anscheinend alles nachhaltig ist, wird der spezielle ökologische Mehrwert eines Produkts diffuser und letztlich auch weniger relevant. Ganz zu schweigen davon, dass es verbindliche Kriterien zur Nachhaltigkeits-Bewertung, über die Wirkung von nachhaltigem Produzieren und CSR (Corporate Social Responsibility) als Zeichen von Unternehmensverantwortung, bis heute nicht gibt. Dafür viele Labels (im Lebensmittelbereich), viele Standards oder Zertifikate (im Energiebereich) und generell viele Siegel. Marketing-Spiel ohne Grenzen. Kundennutzen? Bescheiden. Nur die Agenturen freut’s.

Zu Imagesprüngen oder gar Kundenbegeisterung hat dieser Aufwand nicht geführt. Im Gegenteil. Die Gründe für den leise schwelenden Unmut über die flächendeckende Öko-Mania liegen nicht nur in der Scheinheiligkeit ganzer Branchen. Lassen wir die Finanzbranche einmal ganz beiseite. Dann wäre da zum Beispiel die Preis(absprache)politik von Energieunternehmen, die bei oft hohen Renditen fortwährend die Strompreise erhöhen. Das Krisenmanagement und die sich damit offenbarende Vorsorgementalität bei Umweltkatastrophen. Das PR-Gebaren der Automobilkonzerne: Die am ersten Tag von Automobilmessen der Presse voller Stolz lauter Öko-Konzepte präsentieren und anschließend fast nur noch Luxus-Karossen promoten. Und all das mit äußerst opulentem CSR-Aufwand.

Derlei wird von der Mehrheit der Bevölkerung schlicht hingenommen. Occupy-Bewegung und verblüffende Umfragewerte für die Piraten, die sich anschicken, einen Intransparenz-Markt nach dem anderen zu kapern, sind ein feines Spiegelbild dessen, wie glaubwürdig viele Deutsche das alles so finden.

Wie Unternehmen damit umgehen

Marketingexperten bemühen sich in dieser Situation einerseits, das Thema immer präziser zu fassen: Es passgenauer zu machen für spezielle Zielgruppen. Und nebenbei immer neue nachhaltigkeitsorientierte Trendzielgruppen zu finden. Damit werden die Facetten des Themas immer feingliedriger; immer verspielter, selbstverliebter, beliebiger und mittlerweile eben auch oft: unscharf. „Nachhaltig“ kann inzwischen (fast) alles bedeuten – von „langlebig“ über „qualitativ hochwertig“ bis hin zu umwelt- oder ressourcenschonend. Ein stetes grünes Rauschen.

Andererseits und gleichzeitig liegt Upgrading im Trend: Um vor allem die gehobene Mittel- und Oberschicht – also die zahlungskräftigen Milieus – mittels kreativer Nachhaltigkeitsattribute mit immer neuen Statusgewinnen zu versorgen. Wie weit „Argumente“ wie die Beschleunigung des Elektroautos von 0 auf 100 km/h in x Sekunden nachhaltigkeitsbewusste Käufer tatsächlich beeindrucken, ist zwar noch nirgendwo erfasst. In jedem Fall sorgen die sich an der eigenen Konsumkraft moralisch berauschenden Besserverdiener in weiten Teilen der Bevölkerung aber für Unterhaltungswert. Sympathieträger sehen jedenfalls anders aus.

Wie kommt dieser Imageverlust eines Themas zustande, das in Deutschland doch nachweislich die Mehrheit der Menschen umtreibt und wofür sie, ebenfalls nachweislich, auch bereit sind, tiefer in die Tasche zu greifen? Wie konnte Nachhaltigkeit jenseits des Marketinguniversums und der einschlägigen Lordsiegelbewahrer wie utopia-, lohas- und karmakonsum.de so heruntergewirtschaftet werden?

Erklärungsversuche für eine paradoxe Stimmungslage

Anders als noch vor 15 Jahren kommen heute die wichtigen gesellschaftlichen Strömungen, die Treiber des soziokulturellen Wandels, aus dem Zentrum der Gesellschaft. Galt das Hauptaugenmerk von Trendforschern in Zeiten der sogenannten Postmoderne (bis ca. 2001) noch dem Szene- und Trendsetter-Monitoring in den Metropolen der Welt, so beäugen sie seit Jahren, was sich in der Mitte unserer Gesellschaft tut. Ein solider Pragmatismus, Abneigung gegen Zocker-Mentalität und Erfolgsorientierung um jeden Preis, die Konjunktur von Themen wie Freundschaft und Familie, Vertrauen, Work-Life-Balance, Glücksforschung und Lebensführung, Bildung, Philosophie und Karl-Marx-Revival sind Bestandteile des Stoffs, aus dem unsere momentane gesellschaftliche Grundorientierung gemacht ist. Die Sensibilität gegenüber Nachhaltigkeit und sozialer Verantwortung gehört in genau diesen Kontext. Und seit der Zäsur von 9/11 gaben unsere weltgesellschaftlichen Großereignisse, vom islamischen Terrorismus über Tsunami-, diverse Öl-Katastrophen und Fukushima bis hin zur Banken- und Staatsschuldenkrise, dieser Tendenz immer neue Nahrung.

Gemäß des ausgeprägten Gerechtigkeitsempfindens der Deutschen besteht ein harter Kern unserer Stimmungslage aus Vorbehalten gegenüber Erfolgen um jeden Preis – das heißt vor allem: auf Kosten anderer. Die Finanzmarktkrise brachte diese Einstellung in zynischer Entsprechung präzise auf den Punkt. Und es war auch genau die Zeit, in der die Nachhaltigkeitsdebatte aufblühte. In denen Unternehmen ihr „Nachhaltigkeitsportfolio“ systematisch aufzubauen begannen. In denen Agentur-Roadshows zum unbekannten Wesen der LOHAS durchs Land zogen. Und in denen – im anderen Extrem – auf großen Nachhaltigkeitskongressen die „echten“ Verantwortungsethiker ihre wahre Gesinnung (beziehungsweise sich selbst) feierten und das Marketing als Steigbügelhalter der Verwertungsinteressen verdammten. Das Feld begann sich auszudifferenzieren.

In etwa so sieht auch heute die Landschaft aus: Eine relativ stabile Gruppe Hochengagierter mit großer Wirtschaftssystem-Skepsis, die es immer schon geahnt oder gewusst hat. Viele Unternehmen, die als Zeichen dafür, dass sie verstanden haben, ihre Unternehmens- und Produktkommunikation geharnischt auf Nachhaltigkeit trimmen. Und eine breite Bevölkerungsmehrheit, die sich diesen Zauber mit äußerst gemischten Gefühlen ansieht – und sich fragt, wo der Ursprungsimpuls des Ganzen, den sie selbst gesetzt hat: Nämlich um willen der nachfolgenden Generationen die Selbsterhaltungsfähigkeit von Natur und Gesellschaft zu organisieren, interessenneutral und professionell zu „managen“, eigentlich geblieben ist.

Und aktuell nicht mehr zu übersehen: Eine langsam, aber stetig wachsende Zahl an Unternehmerinnen und Unternehmern, die sich das allmählich auch fragt.

(Illustration: © mediendesign.de)

Lernkurven

Viele Unternehmen, die erst im Laufe der letzten Jahre das Thema entdeckt und ihre Performance daraufhin getunt haben, setzen Nachhaltigkeitsthemen als Instrument fürs Reputationsmanagement ein. Sie betreiben damit Imagepflege. Verzwergen das Thema zu einem Marketing-Tool. Und bringen diejenigen, die es überhaupt erst auf die Agenda gesetzt haben, damit auf die Palme.

Die Crux der Nachhaltigkeitsdebatte liegt nicht in Pro’s oder Con’s zur Sache, sondern in der mitunter verheerenden Wirkung, die sie für das Image unternehmerischer Akteure insgesamt hat. All die auf Verwertungsvorsprünge abzielenden Versuche, nachhaltige – oder auf Nachhaltigkeit hinkommunizierte – Produkte rhetorisch immer weiter aufzurüsten, berühren ja nicht nur das Teil-Image eines Anbieters, also zum Beispiel das Hersteller-Image. Sie beeinflussen genauso das, was in der Gesellschaft über Unternehmen generell gesagt und gedacht wird. Also das, was das Unternehmensimage insgesamt ausmacht: Wofür Unternehmen da sind, wofür sie stehen, was sie leisten, ob und wann sie unserer Gesellschaft gut tun, und so weiter.

Ganz unabhängig von der Nachhaltigkeitsdebatte brachten die letzten Krisenjahre den Unternehmen in dieser Hinsicht nicht sonderlich viele Pluspunkte. Das Vertrauen in Unternehmen und ihr Führungspersonal ist aufgezehrt. Und nun: Nachhaltigkeit und CSR – ursprünglich ein Wertebedürfnis aus der Mitte der Gesellschaft – als instrumenteller Dauer-Ausgleich fürs Versagen bei den unternehmerischen Basics? Und das: ein Mega-Trend …?

Nein danke, sagen da viele. Und zwar entgegen ihrer eigenen Werteorientierung und Überzeugung! Das ist die Crux der Nachhaltigkeitsdebatte: Aus Frust über die Scheinheiligkeit und Schamlosigkeit vieler unternehmerischer Nachhaltigkeitsstrategien haken sie das Thema ab. Obwohl fast alle mehr Verantwortung im Umgang mit wirtschaftlichen, ökologischen und sozialen Belangen wollen! Bloß: Das, was im Augenblick daraus gemacht wird, ist für viele nichts anderes als die Bestätigung und Fortsetzung desjenigen Geschäftsmodells von Vogel Strauß, das uns wirtschaftlich in den Schlamassel reingebracht hat, in dem wir bis zur Halskrause immer noch drinstecken.

Wertedebatten sollen Haltungen verändern, keine Geschäftsmodelle

Man darf getrost bezweifeln, dass es einen gesellschaftlichen Wunsch nach mehr sozialem Engagement von Unternehmen gibt. Die Menschen erwarten von Unternehmen keineswegs lauter gute Taten. Wenn Unternehmen den Regenwald retten wollen, ist das schön – hat aber mit ihrem Auftrag erst mal nichts zu tun. Unternehmen haben die Gesellschaft vielmehr mit nützlichen, wertigen, bezahlbaren und innovativen Gütern und Dienstleistungen zu versorgen. Dafür sollen und müssen sie Gewinne machen.

Die dafür einzusetzen sind, ihre ureigenen Aufgaben immer besser zu erfüllen. Das heißt: Nie gesundheitsgefährdend, immer preisgünstiger, möglichst ohne Zugangsbarrieren für einzelne Gruppen, umweltschonend und und und. Also: Ihr Kerngeschäft zum Wohle aller auszubauen und zu verbessern. Und im Idealfall? Wer mit Nachhaltigkeit und CSR als zentralem Produktversprechen Gewinn macht und seinem eigenen Werteanspruch gemäß wirtschaftet, soll das tun! Und auch hier spiegelt sich der Grundimpuls der Nachhaltigkeitsdebatte deutlich wider: Marken, die das („schon immer“) praktizieren, sind am Markt äußerst erfolgreich. Die nun über Jahre anhaltende Konjunktur von prosozialen Werten fordert gerade kein neues Geschäftsmodell à la Gutmenschen-Unternehmertum ein, sondern etwas ganz anderes: Einen Bedeutungswandel und Bewusstwerdungsprozess darüber, wofür Unternehmen eigentlich stehen, und was sie nicht nur wirtschaftlich, sondern auch gesellschaftlich zu leisten haben.

Nach all den Krisen der letzten Jahre sollte das eigentlich angekommen sein: Konsumenten wollen keine Unternehmen als Heilsbringer. Sondern sie erwarten, dass Unternehmen den Bedürfnissen und Zielen der sie tragenden Gesellschaft gerecht werden. Das sind zwei völlig verschiedene Dinge. Die Mehrheit der Deutschen fordert neue Haltungen – und keine oberschlauen Verwertungsstrategien, die, quasi auf dem Rücken ihrer Forderung und mit Marketinghilfe professionell inszeniert, ganz egoistisch den jeweils eigenen Umsatz steigern.

Eine den gesellschaftlichen Wünschen folgende unternehmerische Nachhaltigkeitsstrategie nähme das, was Unternehmertum ausmacht, nämlich: Etwas zu unternehmen, Neues in Gang zu setzen, Entrepreneurship mit Blick auf eine steigende Empfindsamkeit gegenüber unserer gesellschaftlich-ökologischen Stabilität, zum Kern ihres Antriebs. Sie nähme ihn ernst. Sie übertrüge ökologische Sensibilität auf den unternehmerischen Grundauftrag.

Und nun?

Da sind wir noch lange nicht. Viele Projekte, die heute unter Nachhaltigkeits- oder CSR-Flagge segeln, sind zwar moralisch-politisch korrekt. Unserem wirtschaftlichen Selbstverständnis – und dem unternehmerischen Auftrag – folgen sie aber nicht (mehr). Den Weg dorthin zurückzufinden sollte die zentrale Triebfeder sein für eine zeitgemäße unternehmerische Nachhaltigkeitsagenda. Marketing wäre hierfür ein Partner, aber niemals die dominierende Instanz. Dann klappt’s auch wieder mit dem Konsumentenvertrauen. Und dem Umsatz.

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