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Die Insolvenz von Neckermann: Ein Rückblick

Die Insolvenz von Neckermann - ein Rückblick

(Bild: © Maria P. - Fotolia.com)

von der unternehmer.de-Reporterin Linda Csapo

Doch weder „Gratislieferung!“, „0%-Finanzierung“ noch die „Letzte Chance – Preisfeuerwerk!“ konnten offenbar genügend Kunden zum Einkaufen verführen, um das Unternehmen zu retten. Nach Quelle ist nun der zweite große deutsche Versandhändler pleite. Das Insolvenzverfahren von Neckermann ist eingeleitet.

Klickt man heute auf die Webseite des Unternehmens, wird man auf eine kleine Zeitreise in die deutsche Nachkriegskonsumwelt entführt: „Das Radio für alle. Der Fernseher für alle. Wir haben es möglich gemacht.“ Wir erinnern uns, Neckermann macht’s möglich, kaum ein Bundesbürger, der diesen Slogan nicht kennt. Es geht weiter im Text, und dieser wird zunehmend nihilistisch: „Das Moped für alle. Die Schweinehälfte für alle. Und fast insolvent. Egal.“

Egal? Doch weiter: „Dann der Club-Urlaub für alle. Das Fertighaus für alle. Und wieder fast Insolvent. Na und.“ Es scheint fast so, als würde das Unternehmen nostalgisch auf all die Gelegenheiten zurückblicken, mit denen es im Laufe der Jahrzehnte beinahe vor die Wand gefahren war, aber in allerletzter Sekunde doch noch das Lenkrad herumreißen konnte. Doch diesmal ist es endgültig vorbei, Neckermann ist nicht mehr zu retten, der Geschäftsbetrieb ist eingestellt und fast 2000 Mitarbeiter stehen auf der Straße. Na und?

Von Häftlingskleidung zum Wirtschaftswunder

1948, im hoffnungsvollen Jahr der deutschen Währungsreform, gründete der Bankkaufmann – und übrigens durchaus erfolgreiche Dressurreiter – Josef Neckermann die „Textilgesellschaft Neckermann KG“ in Frankfurt am Main. Doch das Unternehmen hatte düstere Schatten in der Vergangenheit: Bereits im „Dritten Reich“ war Neckermann an diversen Textil- und Versandunternehmen beteiligt. So betrieb er etwa neben seiner „Wäsche- und Kleiderfabrik Josef Neckermann“ gemeinsam mit Hertie-Chef Georg Karg auch die „Zentrallagergemeinschaft für Bekleidung“, kurz ZLG. Diese lieferte unter anderem Kleidung für Zwangsarbeiter des Nazi-Regimes und stattete die Soldaten der Ostfront aus. Nach Kriegsende stellte Neckermann sich selbst als harmloser Mitläufer dar: Politische Opposition und Märtyrertum lägen ihm nunmal nicht, er habe immer nur Geschäfte machen wollen, heißt es in seiner Autobiographie zu diesem Kapitel.

So sollte das neugegründete Unternehmen nach Kriegsende mit Häftlingskleidung und Uniformen nichts mehr zu tun haben, sondern im Gegenteil, den enormen Nachholbedarf der deutschen Bevölkerung an Konsumgütern befriedigen. Der erste Neckermann-Katalog aus dem Jahr 1950 hatte gerade mal zwölf Seiten mit 133 günstigen Textilartikeln – doch bei einer Auflage von 100.000 Stück und einem Jahresumsatz für damals sensationelle zehn Millionen DM war schnell klar, dass Neckermann zu einem der großen deutschen Wirtschaftswunder werden würde.

Niedrige Preise und ein stetig wachsendes Produktsortiment – Kleinmöbel, Waschmaschinen, Kühlschränke, Radios und sogar Fahrräder und Mopeds – sorgten für eine rasant wachsende Stammkundschaft. Den von Ludwig Erhard heraufbeschworenen „Wohlstand für alle“ konnte man sich von Neckermann nun direkt ins Haus liefern lassen. Innerhalb weniger Jahre war der Katalog auf über 300 Seiten angewachsen, erschien fortan zweimal jährlich und in einer Auflage von drei Millionen. Zum Versandgeschäft hinzu kamen 19 Warenhäuser, inklusive dem Neckermann-Flaggschiff in der noblen Frankfurter „Zeil“, das 1956 eröffnet wurde. Zu dieser Zeit betrug der Jahresumsatz von Neckermann bereits 300 Millionen DM.

Großer Umsatz, kleiner Gewinn und ein teurer Geburtstag

Die Angebotspalette wurde mit der Zeit immer stärker ausgeweitet – um nicht zu sagen, überdehnt: 1963 kamen mit der Neckermann Eigenheim GmbH schlüsselfertige Einfamilienhäuser hinzu; im selben Jahr entstand mit der Neckura-Versicherungs-AG eine Kooperation mit dem drittgrößten Versicherungsunternehmen der USA. Günstige Flugreisen und Pauschalurlaube führten schließlich zur Gründung von „NUR“, der Neckermann und Reisen GmbH & Co. KG. Im Jahr 1970 konnte diese am Frankfurter Flughafen bereits Reisegast Nummer 1.000.000 begrüßen.

Doch die Konkurrenz schlief nicht. Die beiden Hauptrivalen im Versandhandel – Quelle und Otto – erzielten in den 60er Jahren höhere Umsätze, zusätzliche Konkurrenz gab es durch die zunehmende Verbreitung immer größerer Abholmärkte für nahezu alle Produktkategorien. Und obwohl die Umsätze des Neckermann-Konzerns über zwei Jahrzehnte stetig angestiegen waren, schrieb man als Folge der eigenen rigorosen Preispolitik rote Zahlen. Das Credo „Großer Umsatz, kleiner Gewinn“ ging nicht auf, und nur Dank Lieferantenkredite und des Börsengangs 1963 konnte Neckermann sein Unternehmen vorerst noch retten. Mitte der 1970er Jahre aber zog der Pleitegeier immer tiefere Kreise. Auch das 25-jährige Firmenjubiläum 1975 bot nur wenig Anlass zum Feiern – Grund war eine kolossale unternehmerische Fehlentscheidung. Mit einem Preisnachlass von zehn Prozent auf das gesamte Sortiment sollten die Kunden mitfeiern – doch angesichts der ohnehin schon sehr knapp kalkulierten Preise bezahlte Neckermann diese Jubiläumsaktion mit vier Millionen DM Verlust.

Abstieg, Ausverkauf und Arcandor

Josef Neckermann musste einsehen, dass sein Unternehmen alleine nicht mehr überlebensfähig war und verkaufte 1976 Anteile an Karstadt. Die Ära der Familie Neckermann war damit schnell beendet: Die letzte Aktionärsversammlung der Neckermann Versand KGaA fand 1977 statt, danach wurde sie in eine reine Aktiengesellschaft umgewandelt. Neuer Haupteigentümer wurde die Karstadt AG. Nach nur einem Jahr im Aufsichtsrat verabschiedete sich Josef Neckermann in den Ruhestand, auch die beiden Söhne Peter und Johannes nahmen Ende der 1970er Jahre ihren Hut.

Zum Auftakt des Neustarts wurden Tausende Mitarbeiter entlassen, der Neckermann-Kundendienst langsam aber sicher vollständig eingestellt und ein Großteil der Warenhäuser verkauft oder geschlossen. Die Reise-, Immobilien- und Versicherungssparten wurden vom neuen Eigentümer Karstadt wieder abgestoßen, der Versandhandel sollte wieder das Kerngeschäft bilden. 1999 fusionierte Karstadt dann ausgerechnet mit Quelle, dem Erzrivalen Neckermanns. Beide große Universalversandhäuser waren nun 100-prozentige Tochterunternehmen des Arcandor-Konzerns, der jedoch unablässig die Eigenständigkeit der beiden Unternehmen betonte. Von der Insolvenz der Arcandor-AG 2009 war Neckermann im Gegensatz zu Quelle zwar nicht unmittelbar betroffen, denn die 49 Prozent Neckermann-Anteile, die Arcandor hielt, wurden von Sun Capital Partners übernommen.

Mangel an Investoren

Noch 2010 war Neckermann neben Otto das größte Versandhaus Deutschlands, beschäftigte rund 2.400 Mitarbeiter und setzte rund 870 Millionen Euro um. Auch der Wandel zum Online-Geschäft wurde – im Gegensatz zu Quelle – zwar nicht gänzlich verschlafen, nach Meinung von Experten jedoch nicht konsequent genug vollzogen. Wichtige Investitionen in Informationstechnologien wurden versäumt, im Vergleich zu Online-Riesen wie Amazon oder Zalando war die Neckermann-Seite stets umständlich und altbacken. Im April noch kündigte Neckermann weitreichende Umstrukturierungspläne an, doch es fanden sich keine neuen, dringend benötigten Investoren. Zuletzt hatte schließlich auch der US-Investor Sun Capital weitere Geldspritzen verweigert und das Unternehmen in die Pleite entlassen.

Die Abwicklung des Versandhändlers hat nun am 1. Oktober begonnen. Einen Hoffnungsschimmer gibt es immerhin für 1.650 der zuletzt rund 2.000 Mitarbeiter: Arbeitsagentur und die Stadt Frankfurt wollen gemeinsam Lösungen schaffen, um den „Neckermännern“ – ähnlich wie den „Schlecker-Frauen“ – durch Weiterbildungsmaßnahmen neue Perspektiven zu bieten.
Und auch auf der ganz in Trauerschwarz gehaltenen Homepage findet sich ein immerhin versöhnlicher Abschiedsgruß: „Wir haben alles möglich gemacht. 62 Jahre lang. Vielen Dank an alle.“

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