Urlaub bedeutet Erholung. Doch rund 24 Prozent aller Beschäftigten kehren nach freien Tagen nur wenig ausgeruht ins Unternehmen zurück. Schuld ist eine Always-on-Mentalität, die dazu führt, neben Strandhandtüchern und Sonnencreme auch den Laptop oder das Diensthandy ins Reisegepäck zu stecken. Und das in einer Zeit, in der viele Unternehmen eigentlich versuchen, mentale Gesundheit und Burnout-Prävention zu fördern.
Eine aktuelle Studie der BitKom zeigt: Nur ein Drittel der Arbeitnehmenden plant, im Urlaub nicht erreichbar zu sein. Ganze 66 Prozent der deutschen Beschäftigten sind hingegen auch in ihren Ferien für ihre Arbeitgeber:innen und ihre Kolleg:innen verfügbar. Zu den häufigsten Urlaubsunterbrechern zählen Anrufe oder Kurznachrichten (65 Prozent). 29 Prozent lesen oder beantworten dienstliche E-Mails und immerhin noch knapp ein Viertel (23 Prozent) ist per Videocall erreichbar, 11 Prozent über Kollaborationstools wie Microsoft Teams oder Slack. Aber warum schalten so viele Arbeitnehmer:innen nicht ab und gönnen sich eine Auszeit? Schließlich ist die Erholung von der Arbeit unerlässlich, um die Batterien aufzuladen und im Job wieder volle Leistung bringen zu können.
Zwischen Engagement und Zwang
Während das Arbeitsengagement als wichtige Kennzahl in den meisten Unternehmen fest verankert ist und daher die Bereitschaft zur Extrameile sowie die Identifikation mit dem Unternehmen für die Geschäftsleistung enorm wichtig sind, stellt sich die Frage, wie viel genug oder zu viel des Guten ist. Viele Beschäftigte, die als hoch engagiert gelten, sind im Kolleg:innenkreis als “Workaholics” bekannt. Sie glauben, dass es ohne sie nicht geht, und sind nicht in der Lage “abzuschalten” – ob im Urlaub, nach Feierabend oder in den Pausen. Die ständige Verfügbarkeit per Handy, Chat oder E-Mail ermöglicht diese Entgrenzung von Arbeit.
Wer denkt, es handelt sich hier um Ausnahmen, der irrt: Laut Statista stuften sich im Jahr 2023 etwa 18 Millionen Menschen in Deutschland selbst als Workaholic, also arbeitssüchtig, ein.
Sicherlich spielen eine dauerhaft hohe Arbeitsbelastung durch besonders hohe Arbeitspensen, unterbesetzte Teams und enge Deadlines eine große Rolle, denn sie führen im Alltag fast immer zu längeren Arbeitszeiten. Doch die hohe Arbeitsbelastung allein führt nicht gleich zur Arbeitssucht. Forschungsergebnisse zeigen, dass Arbeitssucht nicht ausschließlich durch die bewusste Entscheidung, mehr zu arbeiten, hervorgerufen wird, sondern auch davon abhängig ist, wie stark sich ein Individuum mit seiner Arbeit identifiziert oder wie viel Zeit insgesamt mit Arbeitsthemen verbracht wird. Entsprechend müssen einerseits Arbeitnehmer:innen selbst lernen, Grenzen zu setzen und andererseits Unternehmen z. B. ein Monitoring etablieren, das hilft, Risiken frühzeitig zu identifizieren und bei Bedarf gegenzusteuern.
Achtsamkeit am Arbeitsplatz
Grundsätzlich gilt: Jede:r hat Eigenverantwortung – auch bei hohem Arbeitsdruck. Arbeitszeitgesetze und Richtlinien im Unternehmen stellen alleine zumeist nicht sicher, dass Pausen eingehalten werden, abends beizeiten das Licht ausgeknipst wird und das Diensthandy im Urlaub daheimbleibt. Grundvoraussetzung ist jedoch, dass das Bewusstsein dafür vorhanden ist und ein Mindset von “Gelassenheit” trainiert wird. Die Akzeptanz der eigenen Ersetzbarkeit, eine andere Einstufung von Dringlichkeit und eine Ergebnisorientierung, die sich weniger am reinen Pensum ausrichtet, können einige der Schalter sein, die betroffene Workaholics oft mit hoher Selbstdisziplin und Mühe umlegen müssen.
Allerdings spielen auch Organisation und Kultur eine enorme Rolle: Sämtliche Eigeninitiativen nützen nichts, wenn nicht die Umgebung – auch präventiv – angepasst wird. Urlaubsvertretungen, Erwartungsmanagement zur eingeschränkten Verfügbarkeit und gute Planung im Vorfeld von Urlauben sind das Eine. Das Andere ist das Vorangehen mit gutem Beispiel seitens der Führungskräfte, die hierbei noch besonders viel Luft nach oben haben. Sind Chefs im Urlaub nicht erreichbar, nehmen dies die Teammitglieder auch eher für sich selbst in Anspruch. Eine gute Maßnahme ist es, dieses Thema in Teamsitzungen zu besprechen, um eine Art Gruppendruck zu erzeugen, sich an die vereinbarte Nichtverfügbarkeit zu halten. Die Unternehmensleitung sollte die Notwendigkeit des Abschalten insbesondere vor der Urlaubszeit kommunizieren, so dass sich Arbeitnehmer:innen darauf berufen können, selbst wenn die eigene Führungskraft anruft, während man gerade versucht, zu entspannen.
Ebenso ist es wichtig, im Unternehmen nicht nur Motivation und Anstrengungsbereitschaft regelmäßig zu messen, sondern auch den gefühlten Druck durch das Arbeitsvolumen, die Wahrnehmung der eigenen Work-Life-Balance, inwiefern die eigene Führungskraft Verständnis für die persönliche Situation der Mitarbeitenden hat, usw. Worüber klagen diejenigen, die sich ausgelaugt fühlen? Was findet sich in den Ergebnissen der psychischen Gefährdungsbeurteilung? Gerade in Deutschland zeigt sich im europäischen Vergleich das geringste Wellbeing-Niveau (Qualtrics 2024). Deswegen ist hierzulande mehr Achtsamkeit füreinander und für sich selbst besonders lohnend! Mit nur 59 Prozent Zustimmung auf die Frage, ob das Arbeitspensum zu schaffen ist, liegt Deutschland sogar weltweit am untersten Ende aller Länder im Vergleich (weltweiter Durchschnitt: 74 Prozent; EMEA ohne Deutschland: 72 Prozent) – Tendenz weiter sinkend! Es ist daher wichtig, das Thema in den Köpfen der Unternehmen, der Führungskräfte und Beschäftigten selbst stärker zu verankern.
Mein Rat: Regeneration für nachhaltige Performance
Auszeiten sind wichtig, um Stress abzubauen, Akkus aufzuladen, neue Inspiration zu finden und mit Energie in den Arbeitsalltag zurückzukehren. Um sich zu erholen, bedarf es Selbstbewusstsein und Selbstorganisation, aber es braucht auch Regeln, eine klare Kommunikation darüber, was explizit (nicht) erwartet wird, und ein Sensorsystem im Unternehmen, das helfen kann, entsprechende Risiken zu identifizieren und zu minimieren. Am Ende profitieren weder die Arbeitnehmer:innen selbst noch die Unternehmen von zu hohen Selbstanforderungen, denn die gesundheitlichen Folgen von Überarbeitung sind zumeist viel höher als die Vorteile einer kurzfristigen Verfügbarkeit. Machen Sie Ihren Führungskräften und Beschäftigten daher klar: Wer das Handy zu Hause lässt, kann auch nicht rangehen, wenn es klingelt.
Interessante Sichtweise
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