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Noch vor einigen Jahren suchten Unternehmen angeblich händeringend nach Fachkräften. Doch offenbar wendet sich das Blatt nun. Nicht nur Arbeitgeber, auch Politiker äußern scharfe Kritik an Forderungen von Arbeitnehmern. Immer öfter vergreifen sich Politiker wie FDP-Chef Christian Lindner dabei im Ton. Die Erwartungen von Arbeitnehmern und Arbeitgebern gehen weiter auseinander als je zuvor. Weshalb werden jahrzehntelang schmerzhaft erkämpfte Rechte für Arbeitnehmer und zukunftsfähige Arbeitsmodelle mit Füßen getreten?

Ist der Krankenstand wirklich zu hoch?

„Es darf nicht so einfach sein, sich krankzumelden“, meckerte Mercedes-Chef Ola Källenius erst vor kurzem. Er bezog sich auf den hohen Krankenstand, an dem laut ihm auch die zu einfache Krankschreibung schuld sei. Dabei ist die Lage für Unternehmen deutlich unkritischer, als seine Aussage es zunächst vermuten lässt. Im Schnitt waren Arbeitnehmer laut dem Statistischen Bundesamt nur rund 15 Tage im Jahr krankgemeldet. Selbst wem das zunächst viel erscheint, dem dürfte beim Blick auf die Zahlen zum Krankenstand im Jahr 2007 etwas klar werden.

Damals waren die Krankmeldungen mit durchschnittlich rund 8 Tagen pro Arbeitnehmer auf dem niedrigsten Stand seit 1991. Doch in konjunkturellen Schwächephasen wie zu dieser Zeit trauen sich Arbeitnehmer einfach häufig nicht, zum Arzt zu gehen – in der Regel aus Angst vor der Kündigung. Im schlimmsten Fall wird die Krankheit so noch schwerer, der Arbeitnehmer erholt sich langsamer und es stecken sich weitere Mitarbeiter an. Selbst im besten Fall arbeitet ein kranker Mitarbeiter nicht auf dem selben Niveau wie jemand ohne Erkrankung. Das gleiche gilt im Übrigen auch für die vielen Arbeitnehmerinnen, die sich monatlich über mehrere Tage trotz schwerer Menstruationsbeschwerden zur Arbeit quälen.

Die Arbeitsmoral ist nicht schlecht, die Not ist nur geringer

Trotzdem sehen Konservative und Liberale in dieser Zahl den Beweis für eine mangelhafte Arbeitsmoral: „In Italien und Frankreich wird deutlich mehr gearbeitet als bei uns“, stellt Christian Lindner etwa mit tadelndem Unterton fest. Auch Grünen-Chef Robert Habeck befand, dass in Deutschland zu viel für immer weniger Arbeit gestreikt werde. Mehr oder weniger stimmt immerhin Lindners Aussage auch: Laut der internationalen Organisation OECD arbeiteten Kolumbianer mit durchschnittlich rund 2300 Stunden pro Kopf die meisten Stunden im Jahr. Deutschland hingegen befindet sich ganz am anderen Ende der Statistik. Mit durchschnittlich 1347 Stunden pro Jahr haben Deutsche das geringste Stundenvolumen. Einen Haken gibt es allerdings: Es ist kein Wunder, dass Kolumbianer, Mexikaner, Chilenen und Co. die meisten Stunden arbeiten, denn sie verdienen auch mit am schlechtesten. Geldnot treibt viele dazu, massenhaft Überstunden für kleines Geld zu leisten. Der wahrgewordene Traum von Lindner, Källenius und Co., könnte man sagen.

Wie müssen Unternehmen auf Forderungen reagieren?

Mit Sicherheit mangelt es auch an Arbeitsmoral unter Arbeitnehmern. Das kommt allerdings nicht von ungefähr: Eine Studie der ManpowerGroup GmbH zeigt, dass sich vor allem junge Arbeitnehmer zunehmend nach der Sinnhaftigkeit ihrer Arbeit fragen – und dabei oft merken, dass ihnen diese an ihrem gegenwärtigen Arbeitsplatz fehlt. Ebenso fehlen jungen Arbeitnehmern oft die Aufstiegsmöglichkeiten und Chancen, Verantwortung zu übernehmen. Arbeitgeber sollten in Zukunft daher an Lösungen arbeiten, diese Gegebenheiten für ihre Mitarbeiter herzustellen, um die Moral zu erhöhen. Weniger hilfreich ist Arbeitnehmer-Bashing, wie es mittlerweile nicht nur Unternehmen, sondern auch die Politik betreiben.

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