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Was haben Nagellack und Scheren gemeinsam? Richtig, beide finden eine besonders schwere Anwendung, wenn sie mit der unüblichen Hand bedient werden. So dauert das Bemalen der Nägel länger und das Ergebnis ist unpräziser, wenn Rechtshänder mit der linken Hand lackieren wollen. Gleiches gilt für Scheren: Hat schon mal jemand versucht, mit einer Schere für Linkshänder:innen zu schneiden, wenn eigentliche die andere Hand dafür zuständig ist? Das Endprodukt wird nie so aussehen, wie geplant. Die Problematik, der nicht optimalen Nutzbarkeit, lässt sich auf sämtliche Produkte beziehen, die nur für die Bedienung mit einer bestimmten Hand konzipiert sind. Insbesondere bei technologischen Anwendungen im Arbeitsalltag stellt dies ein großes Hindernis dar, da einzelne Personengruppen sie nicht so schnell oder präzise wie andere bedienen können.

Eine Benutzeroberfläche, die nur für RechtshänderInnen designt wurde, ist somit fatal. besonders, wenn der momentane Fachkräftemangel die Produktivität von Unternehmen sowieso schon stark einschränkt. 

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Kognitive Ressourcen einsparen: Jeder 10. Mensch hantiert besser mit links

Beim Design von Geräten auch auf Linkshänder zu achten, mag wie eine Lappalie erscheinen, schließlich fallen einem selbst meist nur ganz wenige Menschen ein, die jenen Faktor in sich tragen. Laut der Ruhr-Universität Bochum beträgt die aktuelle Linkshänder-Quote aber ganze 10,6 Prozent, was bedeutet, dass mehr als jeder 10. Mensch

Einschränkungen mit der rechten Hand hat. Für diese Gruppierung würde eine für sie konzipierte Anwendung bedeuten, dass sie produktiver wären, weniger Fehler machen und generell auch später müde werden würden, da ihnen das Gerät weniger kognitive Ressourcen abverlangt. Gerade der letzte Punkt ist branchenübergreifend wünschenswert, da die eigenen MitarbeiterInnen mehr und besser leisten können, wenn sie mehr Energie besitzen.  

Wenn die dominante Hand besetzt ist: Designs müssen mitdenken

Es gibt mehrere Beispiele aus dem Arbeitsalltag, in denen die NutzerInnen ihrer Tätigkeit mit der dominanten Hand nachkommen und eher mit der anderen Seite das Interface, wie etwa ein Tablet, bedienen müssen.

Beim Ultraschall wird meist mit der üblichen Hand die Sonde gehalten und geführt, wodurch das digitale Pad zur Unterstützung bei der Durchführung mit der schwachen Hand benutzt wird. In OPs sind es elektrische Schneidegeräte, die mit der Standardhand bedient werden, da hier maximale Genauigkeit gefordert ist. Die Bedienung eines begleitenden Interfaces erfolgt aber teils zeitgleich, da hiermit unter anderem die Geschwindigkeit der Klinge eingestellt wird.

DesignerInnen haben bei der Gestaltung jener Nutzerflächen somit die wichtige Aufgabe, die TouchDisplays so aufzubereiten, dass die Bedienung auch mit der eingeschränkten Hand möglich ist. Dabei zwingen wir den BenutzerInnen gewissermaßen Bewegungen auf, die so einfach und gewohnt wie möglich sein müssen. Hierbei ist es unabdingbar zu verstehen, was die jeweiligen Personen aus ihrem Blickfeld wahrnehmen können, denn somit wir klarer, wo und wie bestimmte Knöpfe angeordnet sein müssen. Alle Faktoren müssen so zusammenkommen, dass die Nutzbarkeit, trotz der schwachen Hand, in keiner Weise blockiert bzw. eingeschränkt wird – schließlich hängen hiervon Menschenleben ab. 

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Tip, Tip, Hurra: Ein Button muss getroffen werden

Ob es nun der mobile Touchscreen im OP-Saal ist ist oder „nur“ eine App für das Navigieren im Auto – alle Designs dieser Anwendungen beruhen auf der Annahme einer bestimmten Treffsicherheit. Versuchen wir mit links einen Button zu treffen, gelingt es uns oft nicht, obwohl wir aus unserem Blickwinkel eigentlich zu treffen scheinen. Es muss deutlich mehr Konzentration aufgebracht werden, um den angezielten Knopf tatsächlich irgendwann zu berühren. Die Standards für Situationen wie im OP-Saal oder beim Ultraschall müssen also direkt zu Beginn ganz andere sein. Die Benutzeroberflächen für solche Tätigkeiten müssen so konzipiert sein, dass auch die schwache Hand beim ersten Mal trifft. Der Winkel ist genauso entscheidend, wie der Radius, den die Hand anzielt. Die Buttons sollten generell größer sein, gerade wenn sie weiter weg von den NutzerInnen sind, als andere Knöpfe – sprich: wenn sie sich beispielsweise am entferntestem Rand des Displays befinden. 

Sowohl LinkshänderInnen, als auch bestimmte Arbeitstags-Situationen erfordern somit ein Umdenken im Design, damit für alle Menschen stets die ideale Nutzbarkeit gegeben ist.   

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Fazit: Die Zeit der MitarbeiterInnen als wertvollstes Gut

Das Wort Multitasking wird viel zu oft als Aushängeschild für einen Menschen benutzt, der sehr viele Sachen gleichzeitig arrangiert. Tatsächlich ist dies aber eine subjektive Illusion, da sich unsere Spezies immer nur auf ein einziges Objekt voll und ganz konzentrieren kann. Wie schnell wir mehrere Dinge nacheinander abarbeiten können, ist eher passend für die Definition. Wenn RechtshänderInnen nun plötzlich mit links eine Technologie im Arbeitsalltag bedienen müssen, verbrauchen sie den Großteil ihrer Aufmerksamkeit sowie der kognitiven Verarbeitungsleistung für die Koordination der schwachen Hand. Wo geht meine Hand jetzt hin? Wie schreibe ich lesbar mit links? Wo befindet sich meine Hand jetzt?

Der Prozess, darüber nachzudenken, was nun eigentlich geschrieben werden soll, verlängert sich dadurch immens. So leiden auch Profis anderer Branchen unter der gleichen Ressourcenverschwendung, wenn das Gerät nicht für ihre Handnutzung gestaltet wurde. Gerade in Zeiten eines noch nie so hoch dagewesenem Fachkräftemangels, ist die Zeit der eigenen MitarbeiterInnen das wertvollste Gut. Schließlich führt diese zu höherer Produktivität und aufgrund weniger Arbeitsleerläufe durch verlorene Ressourcen, in stärkeres Wohlbefinden und Selbstvertrauen.

Dennis Lenard

Dennis Lenard bewegt sich seit mehr als 15 Jahren in der UX-Branche und ist Gründer sowie Geschäftsführer von Creative Navy, einer der ersten UX-Design-Agenturen weltweit, die auf Basis wissenschaftlicher Daten arbeiten. Neben den Kognitionswissenschaften studierte Lenard auch visuelle Kommunikation und Wirtschaft. Kurz nach dem Studium sammelte er erste Gründererfahrungen mit zwei Digital-Startups, die er jedoch schnell zurückließ. Seine breite Expertise sowie ein hakendes Forschungsprojekt lenkten seinen Fokus auf UX-Design und offenbarten ihm die Vision, User Experience mit evidenzbasierten Daten zu verbinden. Auf der Basis von wissenschaftlichen Studien baut Lenard nun Benutzeroberflächen mit maximaler Anwendbarkeit für Technologien aus der Pharma-, Automobil- Sicherheits-, Elektronik- und Maschinen-Branche . Zusammen mit seinem Team aus 15 Expert:innen arbeitete der Produktarchitekt unter anderem für namenhafte KundInnen wie Unicef, UNO, eToro, PwC, Miele, Ford oder General Motors.

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