Skip to main content

Die Annahme, dass Handelsapps überholt sind, wird oft diskutiert. Jedoch zeigt Felix Blanco von der Digitalagentur Y1, dass Apps durchaus relevant bleiben, wenn sie den Kunden einen signifikanten Mehrwert bieten. Welche Mehrwerte das sein können und welche Aspekte dabei entscheidend sind, beleuchtet dieser Fachbeitrag.

Ist die Handels-App tot?

Die Entscheidung zwischen der Entwicklung einer Handels-App und der Investition in einen Online-Shop sollte sorgfältig abgewogen werden. Dabei müssen die Zielgruppe, das Produktportfolio und die langfristigen Geschäftsziele berücksichtigt werden. Während Apps ein hohes Maß an Kundenbindung und personalisierten Erlebnissen bieten können, bieten Online-Shops eine breitere Zugänglichkeit und niedrigere Einstiegshürden. In einigen Fällen kann eine Kombination aus beidem die optimale Lösung sein, um sowohl die Vorteile einer personalisierten App-Erfahrung als auch die breite Zugänglichkeit eines Online-Shops zu nutzen.

Kein Mehrwert? Keine App!

Die Entwicklung einer eigenen Handels-App kann viele Vorteile haben, darunter eine verbesserte Kundenerfahrung und die Möglichkeit, Kunden auf personalisierte Weise zu erreichen. Es gibt jedoch auch eine Reihe von Herausforderungen und Nachteilen, die berücksichtigt werden müssen, bevor man sich für die Investition in eine solche App entscheidet. In einigen Fällen kann es sinnvoller sein, stattdessen den Online-Shop zu optimieren.

Nachteile bei der Entwicklung von Handels-Apps

1.      Hohe Anfangsinvestitionen: Die Entwicklung einer benutzerfreundlichen, funktionalen und ästhetisch ansprechenden App ist kostenintensiv. Neben den direkten Entwicklungskosten müssen auch Budgets für regelmäßige Updates, Bugfixes und Sicherheitsaudits eingeplant werden. Apps sind Individualentwicklungen, die finanziellen Aufwände variieren daher stark. Nur wenn der Geschäftszweck passt, lohnt sich die Investition.

2.      Wartung und Updates: Apps erfordern eine kontinuierliche Wartung, um mit den sich ständig ändernden Technologien und Betriebssystemen Schritt zu halten. Dies kann insbesondere für kleinere Unternehmen eine Belastung darstellen.

3.      Nutzerakzeptanz und Marktdurchdringung: Nicht jeder Kunde ist bereit, eine neue App herunterzuladen, insbesondere wenn er nur gelegentlich bei einem Händler einkauft. Die Herausforderung, genügend Nutzer zu gewinnen, um die Investition zu rechtfertigen, sollte nicht unterschätzt werden. Daher braucht es einen klar definierten Mehrwert der App.

Werden Shopping-Apps für Händler trotzdem relevanter?

Hier stellt sich die Frage: was ist die Killer-Applikation für Handels-Apps? Was muss ich an Mehrwert schaffen, damit sich die Investition in eine eigene App lohnt? Denn ohne Zweifel sind Retail-Apps allgegenwärtig und Teil der digitalen Transformation im Einzelhandel. Apps wie Mein dm, Lidl Plus, Zalando und Ikea bieten eine Vielzahl an Funktionen – von digitalen Prospekten über Kundenkarten bis hin zu Bezahlfunktionen und den Abruf von Kassenzetteln. Eine Studie mit 1.500 Teilnehmern unter Verwendung der On-Screen-Technologie von Murmuras gibt Aufschluss über die Nutzung solcher Apps mit Fokus auf konsumrelevante Inhalte. Beispielhaft wurden in der Studie dm und Rossmann untersucht. Mit rund 80 Prozent der Nutzer, die die Rabattaktionen der Mein-dm-App nutzen, ist der Coupon-Bereich bei Drogerie-Apps besonders beliebt. Sowohl dm als auch Rossmann setzen auf Rabattstrategien. Während dm häufig Gratiszugaben in seine Coupons integriert, konzentriert sich Rossmann auf regelmäßige Aktionen.

Neben Rabatten bieten diese Apps auch digitale Prospekte und Werbeaktionen, wobei dm zusätzlich Produktinformationen und Online-Einkaufsoptionen bietet. Interessanterweise sind Nutzer nicht ausschließlich einer App treu; etwa die Hälfte verwendet sowohl die Mein-dm- als auch die Rossmann-App.

Kunden zeigen oft eine gewisse App-Müdigkeit, was Händler dazu veranlasst, exklusive Vorteile wie Rabatte oder die Integration von Kundenkarten für den stationären Handel in ihren Apps anzubieten. Händler sollten die App als eigenständiges Produkt und nicht nur als Erweiterung des Online-Shops betrachten und sich fragen, ob Kunden bereit wären, für eine solche App zu bezahlen.

Funktionen wie Click & Collect, Scan&Go, Self-Checkout und Push-Nachrichten sind zwar auch über den mobilen Browser möglich, Apps bieten hier jedoch außergewöhnliche Mehrwerte, die über den Browser schwieriger zu realisieren sind. Apps haben den Vorteil, dass einige Funktionen wie Einkaufslisten auch offline verfügbar sind und sie Zugriff auf Widgets der mobilen Betriebssysteme bieten, z.B. für Bestellstatus, Treuepunkte oder Sonderangebote. Auch Features wie personalisierte Einkaufslisten mit zusätzlichen Tipps und Inspirationen oder ein Tagebuch für Kosmetikanwendungen bieten den Nutzern von Handels-Apps einen entsprechenden Mehrwert.

Tagebuchfunktion: Mehrwert oder Killer?

Die Integration von Tagebuchfunktionen in Apps für Produkte wie Nahrungsergänzungsmittel, Bodylotions oder Anti-Pickel-Cremes wird noch relativ selten genutzt, könnte aber eines der Hauptargumente für die Entwicklung einer solchen App sein. Die Funktion ermöglicht es den Nutzern, regelmäßig Feedback über ihre Erfahrungen mit dem Produkt zu geben, was sowohl für den Anbieter als auch für den Kunden selbst von Vorteil sein kann.

Für Marketing- und interne Zwecke

Das kontinuierliche Sammeln von Nutzerfeedback durch Tagebuchfunktionen bietet Unternehmen wertvolle Einblicke in die Kundenzufriedenheit und Produktwirksamkeit. Diese Informationen können verwendet werden, um

·        Produktverbesserungen zu identifizieren: Direktes Nutzerfeedback hilft, Schwachstellen im Produkt zu erkennen und Verbesserungspotenziale zu identifizieren.

·        zielgerichtete Marketingstrategien zu entwickeln: Durch das Verständnis der Nutzererfahrung können Marketingkampagnen und -botschaften besser auf die Bedürfnisse und Wünsche der Zielgruppe abgestimmt werden.

·        Trends und Muster erkennen: Langfristiges Feedback kann Trends und Muster im Nutzerverhalten aufzeigen, die für die Produktentwicklung und Marketingstrategie wichtig sind.

Mehrwert für den Kunden

Die Tagebuch-Funktionalität kann auch für den Kunden selbst von großem Wert sein, indem sie

·        die Dokumentation des persönlichen Fortschritts ermöglicht: Kunden können ihren Fortschritt und ihre Erfahrungen mit dem Produkt im Laufe der Zeit aufzeichnen, was ihnen hilft, Veränderungen und Verbesserungen zu erkennen, die sie sonst vielleicht übersehen hätten.

·        ein Gefühl der Beteiligung schafft: Die Möglichkeit, Feedback zu geben und Veränderungen zu dokumentieren, kann den Kunden das Gefühl vermitteln, aktiv am Verbesserungsprozess des Produkts beteiligt zu sein.

·        ein individuelles Erlebnis schafft: Indem Kunden ihre persönlichen Erfahrungen und Fortschritte festhalten, wird das Produkt mehr als nur ein Kauf; es wird zu einem integralen Bestandteil ihres Lebensstils und Wohlbefindens.

App-Killer: Produkt-Onboarding

Man stelle sich vor, man kauft ein neues Fahrrad und bekommt über eine begleitende Handels-App automatisch oder mit wenigen Klicks Services – seien es regelmäßige Wartung, Versicherung oder auch die Anmeldung zu Fahrrad-Community-Events – angeboten. So wird der Kauf von einem einmaligen Ereignis zu einem kontinuierlichen Erlebnis, bei dem sich der Kunde umfassend betreut fühlt.

In diesem Zusammenhang verschiebt sich der Fokus von den Händlern hin zu den Produzenten. Es wird immer wichtiger, dass Produzenten direkt mit ihren Endkunden kommunizieren und sie durch den gesamten Produktlebenszyklus begleiten.

Handels-App als Werkzeug in der Customer Journey

Ein weiteres interessantes Beispiel für den Mehrwert einer Handels-App bietet Netto. In Zusammenarbeit mit Wanzl hat Netto als erster Einzelhändler weltweit ein innovatives Einkaufswagenkonzept eingeführt. Kunden haben nun die Möglichkeit, Einkaufswagen sowohl traditionell mit Münzen oder Chips als auch digital über die Netto-App zu entriegeln. Dazu muss der Kunde lediglich sein Smartphone mit der geöffneten Netto-App an den Griff des Einkaufswagens halten, woraufhin das Schloss per NFC-Technologie sofort freigegeben wird.

Handels-App im B2B-Umfeld

Unternehmen erkennen zunehmend, dass eine App nicht nur ein weiterer Vertriebskanal sein sollte, sondern vielmehr als eigenständiges Produkt angesehen werden kann, das einen signifikanten Mehrwert bietet. In Szenarien, in denen Vertriebsmitarbeiter direkt vor Ort agieren, hat eine maßgeschneiderte App das Potenzial, das Vertriebskonzept deutlich zu stärken und zu ergänzen.

Integration von Vertriebsdaten und CRM

Durch die Integration wesentlicher Vertriebsinformationen wie Produktkataloge, Bestellfunktionen, Aufgaben- und To-Do-Manager sowie Routenplanung in die App wird eine zentrale Plattform geschaffen, die den Vertriebsmitarbeitern alle notwendigen Werkzeuge an die Hand gibt. Ein Backend, das ein CRM-System für Kundeninformationen und ein ERP-System für Lagerbestände umfasst, kann den Kern der App bilden. Viele dieser Funktionen sind bereits in bestehenden Online-Shops integriert und können durch die App nutzbar gemacht werden.

Vorteile einer speziellen B2B-App

Die Entwicklung einer solchen App bietet zahlreiche Vorteile:

·        Maßgeschneiderte Funktionalität: Die App kann genau auf die spezifischen Anforderungen des Vertriebsteams und die Besonderheiten des Geschäftsmodells zugeschnitten werden.

·        Ständige Verfügbarkeit: Die App funktioniert rund um die Uhr und bietet auch Offline-Funktionalitäten, was insbesondere in abgelegenen Gebieten ohne zuverlässige Internetverbindung (z. B. bei Landwirten auf dem Feld) von Vorteil ist.

·        Nahtlose Integration: Die App kann nahtlos in bestehende Systeme integriert werden, wodurch Doppelarbeit vermieden und die Effizienz gesteigert wird.

·        Verbesserte Benutzerfreundlichkeit im Vergleich zu PWAs: Obwohl Progressive Web-Apps (PWAs) viele App-Funktionen im Webbrowser ermöglichen, bieten native Apps in der Regel eine bessere Benutzerfreundlichkeit und Leistung, insbesondere im Hinblick auf Offline-Funktionen.

Augmented Reality am Point of Sale: Ein starkes Argument für Handels-Apps

Ein weiterer Use-Case für Handelsapps sind VR- und AR-Anwendungen, Marken, die neue Produkte vorstellen und eine Kampagne an einem physischen Ort durchführen, profitieren von der Einführung von Augmented Reality (AR). Sie ist oft eines der wichtigsten Gründe, warum Kunden eine Handels-App installieren, daher führe ich einige Anwendungsbeispiele auf.  Unsere Erfahrung zeigt, dass Kunden AR-Funktionen akzeptieren, solange sie das Produkt besser erklären und eine starke Bindung zur Marke besteht. Für deutlich weniger als einen fünfstelligen Betrag kann man als Marke oder Händler AR implementieren.

Möbel und Wohnaccessoires

Die Möbelbranche eignet sich hervorragend für AR-Anwendungen. Ein Kunde, der im Onlineshop nach passenden Produkten sucht, kann mit einer AR-App sehen, wie das Produkt in seiner Wohnung aussehen würde. Möbelhäuser wie Ikea bieten AR-Lösungen an, mit denen man Möbelstücke in der eigenen Wohnung ausprobieren kann: Passt das Sofa zum Teppich, ist die Kommode zu klein für den Raum?

Darüber hinaus ermöglichen AR-Anwendungen das Scannen von Räumen, um so nicht nur darzustellen, wie eine bestimmte Wandfarbe auf der Fläche wirken wird, sondern gleichzeitig den Farbbedarf zu berechnen. Dies kann besonders im B2B-Bereich nützlich sein.  

Montagevorgänge erklären

AR ist besonders nützlich, wenn es darum geht, Prozesse wie die Montage von Geräten zu beschreiben und zu erklären. Eine Kundin, die ein Produkt kauft und den Montageprozess mit einer AR-App visualisiert bekommt, versteht eine 3D-Montageanleitung besser als Videos, Bilder oder Textanleitungen. Auch der Umbau von Küchengeräten kann direkt am Installationsort gezeigt werden.

Virtuelle Anprobe von Kleidung, Brillen, Schmuck und Make-up

Augmented Reality in der Modebranche ist vor allem für den Handel hilfreich, da sie die Retourenquote senkt und Kosten spart. Neben der digitalen Beratung oder der Produkterkennung nach dem Fotografieren bestimmter Artikel ergeben sich für den Kunden weitere wichtige Vorteile: Durch die Nutzung von Augmented Reality beim Online-Kauf von Kleidung und Accessoires können Kunden auch ohne Ladenbesuch beurteilen, was ihnen steht und was nicht.

Ein weiteres gutes Anwendungsbeispiel sind Accessoires wie Brillen oder Schmuck. Kunden können verschiedene Brillenmodelle zu Hause oder unterwegs auf dem Tablet oder Smartphone anprobieren. Sie können die Brille nicht nur online auswählen und digital aufsetzen, sondern direkt in ihrer Sehstärke kaufen. Auch Kosmetikhändler setzen AR erfolgreich im stationären Handel, in der App und im Online-Shop ein, wie zum Beispiel Sephora, die ihren Kunden die Möglichkeit bieten, Make-up virtuell auszuprobieren.

Fazit

Handels-Apps sind sinnvoll, solange sie gezielt auf die Bedürfnisse der Kunden eingehen und ihnen einen signifikanten Mehrwert bieten. Händler sollten sich daher genau überlegen, welche Funktionen für den Nutzer einen möglichst großen Benefit darstellen. Hier kann ein Blick von außen helfen. Wird deutlich, dass die App nicht über den Nutzen der Webseite hinausgeht, sind Händler gut beraten, wenn sie ihre mobilen Shops pflegen und aktuell halten. Um den richtigen Use Case zu finden, muss man den Kunden und seine Bedürfnisse sehr gut kennen.

Felix Blanco

Felix Blanco ist Head of App Development bei der Digitalagentur Y1 und verantwortlich für alle App-Projekte. Zuvor entwickelte er Apps bei einem Karlsruher Startup. Davor hat Felix bei Planet Sports im Bereich Business Intelligence gearbeitet und dort seine Leidenschaft für Apps entdeckt.

Der Artikel hat dir gefallen? Gib uns einen Kaffee aus!

Leave a Reply