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Wie geht’s weiter? Wie sieht unser Markt in drei, sechs oder gar zwölf Monaten aus? Das fragen sich zur Zeit viele Unternehmensführer und können bestenfalls vage Prognosen wagen. Denn im Umfeld ihrer Unternehmen vollziehen sich zur Zeit zahlreiche Paradigmenwechsel. Deshalb werden auch viele Erfolgsrezepte von gestern obsolet. Also müssen Neue gefunden werden.

Was wäre passiert, wenn ein „Wirtschaftsweiser“ vor einem Jahr prognostiziert hätte „In einigen Monaten kollabiert die Automobilindustrie weltweit und die Banken werden sich nicht mehr trauen, sich wechselseitig Geld zu leihen.“? Er wäre verlacht worden.

Und was wäre geschehen, wenn ein namhafter Politiker gefordert hätte: „Wir sollten den internationalen Finanzmarkt schärfer regulieren und erwägen, einzelne Banken zumindest teilweise zu verstaatlichen.“? Nicht nur seine Berufskollegen hätten den Kopf geschüttelt und verkündet: Auf solche Gedanken aus der marxistisch-leninistischen Mottenkiste kann nur ein ewig Gestriger kommen.

Obige Beispiele zeigen: Das wirtschafts- und marktpolitische Umfeld der Unternehmen hat sich in den zurückliegenden Monaten radikal verändert. Und viele Paradigmen sowie Maximen, aus denen die Unternehmen noch vor wenigen Monaten ihre strategischen Entscheidungen ableiteten, sind heute obsolet – und folglich auch viele Folgeentscheidungen, die darauf abzielten, die von den Unternehmensführern definierten Ziele zu erreichen.

Zum Beispiel die Antworten auf die Fragen:

  • Wer sind unsere (Ziel-)Kunden?
  • Wie strukturieren wir unsere Produktion und unseren Vertrieb?
  • Wie sichern wir unsere Liquidität?

Grundlagen der Entscheidungen wurden hinfällig

Vielen dieser (Folge-)Entscheidungen wurde dadurch, dass sich das Unternehmensumfeld so stark wandelte, sozusagen der Boden unter den Füßen entzogen. Deshalb stehen zahlreiche Unternehmen aktuell vor der Herausforderung, ihre strategischen (Folge-)Entscheidungen und somit auch zum Beispiel die Prozesse in ihrer Organisation zu überdenken. Denn klar ist: So weiter machen wie bisher können wir nicht. Unklar ist aber vielfach: Wie kann es weiter gehen?

An solche Punkte, an denen sie zumindest einen großen Teil ihrer Entscheidungen überdenken mussten, kamen Unternehmen auch in der Vergangenheit immer wieder – zum Beispiel, nachdem sie oft jahrelang oder gar jahrzehntelang versucht hatten, die in ihrer Organisation praktizierten Verfahren in der Fertigung oder im Vertrieb zu optimieren.

Dann stellten sie oft irgendwann fest: Die Möglichkeiten der bisherigen „Technik“ sind ausgereizt. Mit ihr lassen sich keine Quantensprünge mehr erzielen. Um diese zu erreichen, müssen wir ganz neue Wege beschreiten: Zum Beispiel beim Qualifizieren unserer Mitarbeiter. Oder bei der Auswahl und Zusammenarbeit mit unseren Lieferanten. Oder bei der Kommunikation mit unseren Kunden.

Organisationsberater nennen einen solchen fundamentalen Wandel einen Musterwechsel, denn hierbei stehen nicht nur die gewohnten Verfahren auf dem Prüfstand. Auch die Art, die Realität zu betrachten und zu bewerten, wird hinterfragt, um zu ganz neuen Lösungsansätzen zu gelangen.

Paradigmenwechsel erfolgte quasi über Nacht

Dass Unternehmen in eine Situation gelangen, in der sie einen Musterwechsel vollziehen müssen, ist also nicht neu. Was die aktuelle Krisensituation jedoch einzigartig macht, ist: Nicht nur einzelne Unternehmen, sondern ganze Branchen weltweit, wenn nicht gar alle Unternehmen stehen vor der Herausforderung, ihre tradierten Denk- und Handlungsmuster auf ihre Zukunftsfähigkeit hin (zumindest) zu überprüfen. Des Weiteren: Der Paradigmenwechsel, der eventuell einen Musterwechsel erfordert, vollzog sich nicht schleichend über viele Jahre, sondern wenn nicht über Nacht, so doch binnen weniger Monate.

Hierin liegt jedoch zumindest für die Einzelunternehmen auch eine Chance. Warum? Jeder Musterwechsel setzt voraus, dass sich zunächst in einer Organisation oder zumindest bei deren Lenkern allmählich das Gefühl verdichtet: „Wir nähern uns einer Grenze. Wenn wir an unseren bisherigen Denkmustern und Verfahrensweisen festhalten, scheitern wir auf lange Sicht.“ Ein solches gemeinsames Empfinden in einer Organisation zu schaffen, ist vielfach schwer – speziell dann, wenn die Organisation auf den ersten Blick noch gut dasteht.

Die Zahlen stimmen, die Kunden sind zufrieden und von den Mitbewerbern geht keine sichtbare Bedrohung aus. Dann erkennen viele Mitarbeiter die Notwendigkeit eines Musterwechsels noch nicht, selbst wenn erste Indikatoren schon auf eine Gefährdung hinweisen. Also müssen in einer solchen Situation in der Organisation zunächst die Voraussetzungen dafür geschaffen werden, dass über die Frage „Sollten wir einen Musterwechsel vollziehen – ja oder nein?“ überhaupt gesprochen werden kann. Ohne externe Unterstützung gelingt dies selten.

Für jeden ist erkennbar: Es muss etwas geschehen

Anders ist dies in der aktuellen Situation. In ihr ist für alle Mitglieder der Organisation, vom Pförtner bis zum Vorstand, offensichtlich, dass sich im Unternehmensumfeld ein radikaler Paradigmenwechsel vollzieht. Entsprechend leicht kann den Beteiligten vermittelt werden: Wir müssen zumindest darüber nachdenken, inwieweit unsere bisherige Art, Probleme zu lösen und Herausforderungen zu meistern, noch den geänderten Rahmenbedingungen angemessen und zukunftsfähig ist?

Zeigt sich in diesem Reflektions- sowie Meinungsbildungs- und Entscheidungsfindungsprozess, dass ein Musterwechsel nötig ist, stellt sich die Frage: Wie könnte das neue Muster aussehen? Diese Frage ist nicht leicht zu beantworten – vor allem, weil das Ziel eines Musterwechsels stets ist, das Unternehmen (oder Teile davon) zukunfts-fit zu machen.

Die Zukunft ist aber noch nicht Gegenwart. Also kann die Frage, was ist nötig und sinnvoll, nicht allein anhand von Zahlen, Daten und Fakten beantwortet werden. Auch Einschätzungen und Annahmen spielen eine wichtige Rolle – zum Beispiel darüber: Wie entwickelt sich die Wirtschaftskrise weiter? Verschärft sie sich oder nicht? Wann ist sie überstanden? Wie entwickelt sich in Folge dessen unser Markt – kurz-, mittel- und langfristig? Welche Technologien sowie Lösungswege werden aufgrund der geänderten Paradigmen eher „boomen“, welche nicht? Wie wird sich der Kapitalmarkt verändern? Wie werden unsere Mitbewerber auf die geänderten Rahmenbedingungen reagieren? Wie wird sich das Order- und Zahlungsverhalten unserer Kunden entwickeln?

Alles Fragen, die sich in der aktuellen Situation, in der der Paradigmenwechsel noch in Gang ist, nur bedingt beantworten lassen. Entsprechend viele Unwägbarkeiten fließen in die vorläufigen Antworten ein.

Mut zu bisher undenkbaren Lösungen

Das verunsichert selbst gestandene Manager – sogar in „normalen“ Zeiten. Also suchen sie, wenn ein Musterwechsel ansteht, oft nach Richtschnüren für ihre Entscheidungen. Die Folge: Häufig verkünden die obersten Lenker der Unternehmen fast wortgleich dieselben Management-Credos – branchenübergreifend. Eine Ursache hierfür ist: Den Unternehmen fehlen vielfach Alternativen zu den gängigen Lösungskonzepten. Zudem fehlt den Unternehmensführern (so banal dies klingt) oft der Mut, eigene Wege zu beschreiten – insbesondere, wenn ihre Betriebe Kapitalgesellschaften sind.

Das konnte man in den vergangenen Jahren wiederholt beobachten. Hierfür ein Beispiel: Bis vor zwei, drei Jahren verkündete alle Welt (inklusive der Finanzanalysten und externen Berater) als das Erfolgsrezept für Unternehmen „Besinnt Euch auf Eure Kernkompetenzen“. Also setzen fast alle Unternehmensführer auch aus opportunistischen Gründen auf dieses „Erfolgsrezept“. Denn wer dem Mainstream folgt, erntet wenig Widerspruch. Außerdem lassen sich dann einfacher Koalitionen schmieden, als wenn man einen anderen Lösungsweg als die „Hammelherde“ präferiert.

Dabei wäre dies oft nötig. Denn wenn fast alle Unternehmen weitgehend dieselbe Strategie verfolgen, steht von Beginn an fest: Einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil können sich hierdurch nur ein, zwei Unternehmen verschaffen. Also lautet eine Kernaufgabe, wenn es um einen Musterwechsel geht, sich zunächst mehrere Entscheidungs- und Handlungsalternativen zu erarbeiten – sonst ist kein echtes Entscheiden möglich.

Sind die Alternativen auf dem Tisch, gilt es die Beste zu realisieren. In sozialen Systemen wie Unternehmen gestaltet sich dies oft schwer. Denn bereits darüber, was die beste Lösung ist, gehen die Meinungen oft selbst in den Vorständen der Unternehmen schon weit auseinander – gerade in einer Situation wie der aktuellen, in der sich die Suche nach neuen Lösungen vielfach nicht nur auf einen Unternehmensbereich wie den Vertrieb oder eine Aufgabe wie das Sicherstellen der Liquidität bezieht.

Deshalb kann die für die Veränderung nötige strategische Grundsatzentscheidung oft nicht im Konsens getroffen werden. Vielmehr müssen irgendwann ein, zwei Personen, die das Sagen haben, das Heft in die Hand nehmen und wie Ex-Kanzler Schröder verkünden: „So machen wir das – Punkt, aus, basta.“ Woraufhin es dann zuweilen einige Zeit später in einer Presseerklärung heißt: „Vertriebsleiter x …“ oder „Vorstand y verließ das Unternehmen wegen unüberbrückbarer Differenzen über dessen künftige Entwicklung.“

Dessen ungeachtet sollte die für den Musterwechsel erforderliche strategische Grundsatzentscheidung zumindest im oberen Führungskreis soweit möglich im Konsens getroffen werden – damit sie auf einer soliden Basis steht. Also gilt es im Vorfeld zunächst so viele Indizien wie möglich darüber zu sammeln, warum ein bestimmter Lösungsweg mit hoher Wahrscheinlichkeit der richtige ist. Denn wie soll die Notwendigkeit einen Musterwechsel zu vollziehen und einen bestimmten Lösungsweg zu beschreiten den Mitarbeitern (und gegebenenfalls externen Partnern wie Kunde und Lieferanten) vermittelt werden, wenn hierüber noch nicht einmal unter den Führungskräften eine weitgehende Einigkeit besteht?

Aktiv das Gespräch mit den Mitarbeitern suchen

Das Gewinnen der Mitarbeiter für das Beschreiten neuer Wege erfordert viel Überzeugungsarbeit, denn bei jedem Musterwechsel gibt es Gewinner und Verlierer – unter anderem, weil bei ihm auch die Aufgaben und Verantwortlichkeiten neu verteilt werden. Hinzu kommt: Jeder Musterwechsel bedeutet ein Abschiednehmen von gewohnten Denk- und Verhaltensmustern. Deshalb löst er Verunsicherungen aus, die häufig zu (verdeckten) Widerständen führen.

Entsprechend wichtig ist es, dass die Verantwortlichen klar kommunizieren, warum der Musterwechsel nötig ist – und zwar nicht nur mittels eines allgemeinen Verweises auf die aktuelle Wirtschaftslage. Vielmehr muss den Mitarbeitern klar aufgezeigt werden, welche Gefährdungen (oder neutral formuliert Folgen) sich für die eigene Branche und das eigene Unternehmen aus der aktuellen Marktsituation ergeben.

Die Verantwortlichen müssen den Mitarbeitern zudem vermitteln, dass ihre Entscheidung, den Wechsel zu vollziehen, unumstößlich ist, welche Chancen und Perspektiven sich aus ihm für die Organisation ergeben und dass der mit dem Musterwechsel verbundene Veränderungsprozess gemeinsam gemeistert werden kann.

Dabei sollte den Verantwortlichen jedoch klar sein: Jeder Musterwechsel läutet eine Phase der Instabilität ein – unter anderem weil mit der neuen Art, Aufgaben zu lösen und Herausforderungen zu meistern, noch keine Erfahrung gesammelt wurde. Deshalb muss den Beteiligten ein Weg aufgezeigt werden, wie sich das angestrebte Ziel erreichen lässt. Das heißt: Aktive Führung ist gefragt.

Das eigene Nicht-Wissen nicht leugnen

Eine aktive Führung ist auch deshalb wichtig, weil Unternehmen, wenn sie einen Musterwechsel vollziehen, den Beteiligten sowie Betroffenen oft nur das (übergeordnete) Ziel nennen können – und selbst dieses steht unter Vorbehalt. Denn welcher Unternehmensführer hat die prophetische Gabe, um in der aktuellen Wirtschaftssituation mit Sicherheit zu prognostizieren, wie sich der Markt seines Unternehmens in drei Monaten, einem halben Jahr oder gar einem Jahr gestalten wird?

Und welcher Top-Manager weiß, wie schwer es dann sein wird, sich als Unternehmen das für das Finanzieren von Investitionen oder das Sicherstellen der Liquidität nötige Kapital zu beschaffen? Keiner! Entsprechend häufig werden Kurskorrekturen nötig sein. Unter noch größeren Vorbehalten als das Ziel steht der exakte Weg dorthin. Er kann vielfach nur vage beschrieben werden – ähnlich wie es damals bei Kolumbus war, als er einen neuen Seeweg nach Indien suchte. Auch da konnte er nur die grobe Richtung vorgeben.

Deshalb muss gerade, wenn Unternehmen einen Musterwechsel vollziehen, die Führungsmannschaft Geschlossenheit und Führungs-KRAFT beweisen und den verunsicherten Mitarbeitern Orientierung und Halt bieten. Auch dies ist leichter gesagt als getan – gerade in einer Situation wie der aktuellen, in der die Führungskräfte zumeist selbst unsicher sind: Wie geht es weiter? Erweist sich das, was wir beschlossen haben, in einigen Monaten noch als tragfähig oder müssen wir dann erneut den Kurs ändern?

Dieses Nicht-wissen sollten Führungskräfte gegenüber ihren Mitarbeitern nicht leugnen. Sie sollten ihnen vielmehr klar sagen: Wir versuchen unser Bestes. Wir wissen aber selbst noch nicht, ob wir letztendlich ähnlich wie Kolumbus statt in Indien in Amerika landen. Denn sonst gefährden sie das wichtigste Pfand, das sie in einer Situation wie der aktuellen haben. Dieses ist, dass ihre Mitarbeiter sie als glaubwürdige und integre Persönlichkeiten erleben, denen man vertrauen kann.

(Bild: © Wilm Ihlenfeld – Fotolia.de)

Hans-Werner Bormann

Hans-Werner Bormann ist einer der drei Geschäftsführer der WSFB Beratergruppe Wiesbaden (Kontakt: Tel. 0611/15766-0; E-Mail: hwbormann@wsfb.de).

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One Comment

  • Einen Punkt möchte ich noch ergänzen: Wenn die Meinungen bei der Analyse der aktuellen Lage und bei den Annahmen für die zu treffenden Entscheidungen divergieren (und das werden sie mit größter Wahrscheinlichkeit gerade in der Krise tun!) ist es sehr hilfreich, zunächst eine gemeinsam genutzte Plattform für alle Analysen und Diskussionen festzulegen. Auf einer solchen, von allen Seiten akzeptierten Plattform kann dann gemeinsam transparent und zielführend gearbeitet – und auch kommuniziert werden.

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