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Einige große Unternehmen verlieren an Flexibilität, weil sie zu sehr von veralteten Prozessen und Legacy-Technologien abhängig sind und versäumen, angemessen zu investieren. Sie riskieren damit, gegenüber anderen, agileren Unternehmen ins Hintertreffen zu geraten. Je größer ein Unternehmen ist, desto höher ist diese Gefahr. Bei größeren Unternehmen besteht vor allem das Problem eines Ungleichgewichts von Input und Output. Dieses Phänomen charakterisiert das Pareto-Prinzip beziehungsweise die 80-zu-20-Regel:

Sie besagt etwa, dass 80 Prozent der Arbeit in einem Unternehmen von 20 Prozent der Mitarbeiter erledigt wird oder dass 20 Prozent der Kunden 80 Prozent des Umsatzes generieren.

Dieses Phänomen findet sich auch im Kontext digitaler Strategien und betrifft den IT-Stack fast aller großen Unternehmen. Unternehmen stecken in einem Kreislauf fest, in dem 20 Prozent der Code-Funktionalität ein Unternehmen einzigartig macht. Dieser Code liefert die Marge und einen Wettbewerbsvorteil, aber die restlichen 80 Prozent der Funktionalität sind für die Wettbewerbsfähigkeit nicht entscheidend. Alle Anstrengungen konzentrieren sich auf 20 Prozent der IT- und digitalen Ressourcen, während die anderen 80 Prozent vernachlässigt werden.

Die 80 Prozent beziehen sich auf Legacy-Software und -Geräte, die für das „Keep the lights on“ verantwortlich sind. Es betrifft eine Fülle von essenziellen Technologien: von Betriebssystemen über Containerlösungen, Bibliotheken und Storage bis hin zum Netzwerk-Code. Die 80 Prozent müssen regelmäßig gewartet werden, profitieren aber nur selten von den „agilen“ Computing-Strategien, Investitionen und Next-Generation-Upgrades, die den restlichen 20 Prozent zugutekommen.

Der nicht wettbewerbsfähige Faktor

Die Unternehmen stufen die 80 Prozent weiterhin als vertraulich ein – aus Angst, Geschäftsgeheimnisse zu verraten.

Dieses Vorgehen ist aber sinnlos, da die 80 Prozent nicht zur Wettbewerbsfähigkeit beitragen. Je stärker Unternehmen im Wettbewerb zueinander stehen, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie in diesen 80 Prozent die gleichen oder ähnliche Lösungen einsetzen, etwa in den Bereichen ERP, CRM oder BPM. Die Idee, den gesamten Stack zu „besitzen“, ist veraltet und schafft ein großes Ungleichgewicht. Der Begriff „Besitz“ wird hier ohnehin sehr unkritisch verwendet, wenn man bedenkt, dass die 80 Prozent zu einem großen Teil aus Software von Drittanbietern und proprietärer Software bestehen.

Wenn Unternehmen auf diesem Modell beharren, ist der Erfolg gefährdet. Aber wenn man den Kreislauf durchbricht – durch eine Kultur der Offenheit –, dann stabilisiert sich das Verhältnis zwischen Input und Output. Außerdem können Unternehmen durch die Öffnung von 80 Prozent des IT-Stacks elementare Technologien standardisieren und optimieren.

Die Beschränkung von Transformationsinitiativen auf die 20 Prozent ist auch nicht zielführend.

Viel besser ist es, eine allumfassende IT-Strategie zu verfolgen. Erst dann werden echte Veränderungen eintreten. Tatsache ist, dass Unternehmen einen Großteil ihres nicht wettbewerbsfähigen IT-Stacks standardisieren können, ohne dass dies Konsequenzen hat. Das bedeutet, dass Unternehmen weniger Zeit und Ressourcen für das „Keep the lights on“ aufwenden müssen und dadurch Freiräume gewinnen, um sich auf die IT-Initiativen zu konzentrieren, die einen Wettbewerbsvorteil bringen. Dies ist der wahre Wert von Open Source.

Der menschliche Faktor

Der Schritt zur Innovation beginnt mit einer gründlichen Bestandsaufnahme der digitalen Assets: mit einer Bewertung der Möglichkeiten von Legacy-Software und -Anwendungen. Unternehmen können damit starten, Standardsysteme und -prozesse von Grund auf neu aufzubauen, basierend auf Erkenntnissen innerhalb und außerhalb des Unternehmens. Die 80 Prozent werden damit in eine kollektive Intellectual Property gewandelt, die Unternehmen nutzen können, um Ideen und Best Practices auszutauschen und eine neue Dimension des „Keep the lights on“ zu etablieren. Eine kollektive Intellectual Property wird zu einer wichtigen Ressource, die dank der Beteiligung von digitalen Communities, internen Entwicklern und Mitarbeitern ständig verbessert wird, um den Bedürfnissen des Unternehmens gerecht zu werden.

Dabei darf nicht vergessen werden, dass gerade der menschliche Faktor in großen Organisationen oft übersehen wird. Die MAngestellten sind der Lebensnerv eines jeden Unternehmens, es sind ihre Energie und ihre Ideen, die das Business vorantreiben.

Ähnlich wie die 80 Prozent ist auch die Belegschaft eine Quelle ungenutzten Potenzials. Beides ist untrennbar miteinander verbunden und kann ohne das jeweils andere nicht erfolgreich funktionieren.

Die Einbindung der nicht-technischen Mitarbeiter

In vielen Unternehmen haben Teams und Einzelpersonen, die über den Mangel an Innovationen in ihrer Abteilung oder im gesamten Unternehmen frustriert sind, wahrscheinlich bereits mögliche Lösungen vorgeschlagen. Leider neigen das obere und mittlere Management dazu, weniger darauf zu achten, was in der Praxis passiert, da sie vor allem technische Neuentwicklungen fokussieren. In der Folge werden wichtige Ratschläge und Rückmeldungen ignoriert.

Unternehmen sollten folglich nicht-technische Angestellte in technische Diskussionen aktiv einbinden, die sie und das gesamte Unternehmen betreffen.

Ihr Beitrag ist von unschätzbarem Wert. Sie können Entwicklern und IT-Ingenieuren helfen, eine technische Lösung für eine bestimmte Geschäftsanforderung zu finden. Die Kultur der Offenheit und Zusammenarbeit, auf der Open Source basiert, zieht sich damit durch die gesamte Organisation. Immer dann, wenn nicht-technische Angestellte ein Mitspracherecht im Entwicklungsprozess erhalten, werden sie auch zu überzeugten Befürwortern des Endprodukts. Mit einem Gefühl des „Ownership“ sind sie bereit, neue Ideen gutzuheißen und sie mit ihren Kollegen zu teilen.

EXTRA: Unternehmenskultur: Warum jeder Mitarbeiter wichtig ist

Zu den wirtschaftlichen Vorteilen der Neudefinition des 80-zu-20-Modells gehören erhebliche Kosteneinsparungen und eine Verringerung der Abhängigkeit von proprietären Softwarelösungen. Die kulturellen Vorteile sind jedoch noch gravierender. Das neue Gefühl von Dynamik und Optimismus, das dadurch entsteht, hilft Unternehmen, ihre besten Angestellten zu halten und neue Talente zu gewinnen. Durch die Förderung von Talenten und die Entwicklung eigener Lösungen können Unternehmen das Pareto-Prinzip umkehren und ein Gleichgewicht erreichen.

Die offene und kollaborative Kultur

Schließlich sollten auch die 20 Prozent der Code-Funktionalität, die ein Unternehmen einzigartig machen, nicht von diesem Prozess ausgeschlossen sein. Unternehmen werden zwar immer streng vertrauliche Projekte und kritische Unternehmensdaten schützen müssen, aber der Bereich Forschung und Entwicklung wird enorm von einer offenen und kollaborativen Kultur profitieren. Warum? Weil sie zu einem konstanten Fluss von Ideen führt, die in die Softwareentwicklung einfließen können. Wird die Entscheidungsfindung nicht einer kleinen Minderheit von Entwicklern und Ingenieuren überlassen, kann unternehmensweit ein echter Konsens entstehen, welche Systeme und Anwendungen wirklich benötigt werden.

Die Konsens-orientierte Vorgehensweise kann genutzt werden, um zu entscheiden, ob für einen bestimmten Anwendungsfall nicht eine Standardanwendung reicht, die in die Kategorie 80 Prozent fällt – oder ob stattdessen etwas Neues und Innovatives benötigt wird, das dem Unternehmen einen Wettbewerbsvorteil verschafft, was wiederum in die 20-Prozent-Kategorie fällt.

Auf jeden Fall bedeutet eine offene und kollaborative Kultur, dass sich Unternehmen nicht mehr an feste Regeln halten müssen, die ihnen vorschreiben, wie sie Legacy und Innovation ausbalancieren sollen. Sie können sich vielmehr auf allen Ebenen der Organisation auf Innovation konzentrieren. Die 80-zu-20-Regel wird so verschoben, um die sich ändernden Anforderungen zu erfüllen. Das Ergebnis ist eine ausgewogenere und besser abgestimmte digitale Infrastruktur.

Jan Wildeboer

Jan Wildeboer ist EMEA Open Source Evangelist bei Red Hat.

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