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Wer sich in KMU mit Innovationen beschäftigt, stößt schnell auf die Frage: was werden die nächst folgenden Innovationsschübe bringen. Wohin geht die Reise? Was ist das ultimative Ziel all der kommenden Entwicklungsschritte?

Sind Innovationen vorhersehbar?

Während in vielen Firmen immer noch an inkrementellen Fortschritten einzelner Produkteigenschaften gearbeitet wird, setzt sich in den innovativen Denkfabriken ein völlig neues Denkmuster durch.

Danach steht als Ausgangspunkt der Produktentwicklung nicht mehr die beinahe klassische Frage: „Wie kann das vorhandene Produkt verbessert werden“, sondern vielmehr: „In welche Richtung werden alle die zukünftigen inkrementellen Produktverbesserungen gehen“.

Dieses Umdenken führt dazu, dass sich Marktforscher, Marketingspezialisten und Produktentwickler mit dem langfristigen Ziel der Entwicklungsarbeit beschäftigen müssen. Geht das denn? Kann man heute schon vorhersehen, wie die Produktentwicklung etwa bei Autos, Fernsehern oder Mobiltelefonen in der Zukunft verlaufen wird?

Kann man heute schon erahnen, wie diese Produkte in 10, 20 oder gar 50 Jahren aussehen werden?

Ja, man kann! Man kann – sicher mit einigen Einschränkungen – für viele Konsumgüter einen Zielkorridor zukünftiger Entwicklungsschritte festlegen. Dabei ist eine Vorhersage nicht bis in das letzte Detail möglich, aber man kann heute schon die Grundlinien zukünftiger Entwicklungen prognostizieren.

Prognosen – fundiert oder Unsinn?

Als wir vor 10 Jahren damit begannen, die Frage nach den zukünftigen Entwicklungslinien wissenschaftlich aufzuarbeiten, stießen wir erstmals auf das, was wir später als „Trajektoren“ (Entwicklungslinien) bezeichnet haben.

Durch die Untersuchung historischer Produktfortschritte über einen Zeitraum von 50+ Jahren, erhielten wir erste Hinweise darauf, dass sich bei einigen Produktgruppen die historischen Produktfortschritte entlang einer Entwicklungslinie anordnen ließen.

Diese Entwicklungslinie konnte in vielen Fällen in die Zukunft verlängert werden, nachdem deutlich wurde, dass diese Linien auf einen eindeutig definierbaren Zielpunkt (Culminationspoint) zusteuerten. Man könnte einen solchen Kulminationspunkt sicher mit einem endgültigen Zielort einer langen Reise über verschiedene Zwischenetappen vergleichen.

Entscheidend war die Erkenntnis, dass die meisten der von uns untersuchten historischen Produktinnovationen auf einer sich im Zeitablauf nur langsam verändernden Konsumenteneinstellung und entsprechender Nachfrageverschiebung zurückführen ließen. Wir fanden fünf dominante Entwicklungslinien und zugehörige Kulminationspunkte, die aus unserer Sicht eine Vorhersage zukünftiger Anforderungen an die Produktausgestaltung zulassen:

  • Ultimate Convenience and Comfort
  • Holistic Communication
  • Individuality
  • Independence and Freedom
  • Ultimate Efficiency

„Comfort & Convenience“ – Was ist das?

Das mag auf den ersten Blick etwas theoretisch klingen. Anhand des Trajektors „Comfort & Convenience“ lassen sich sehr schön Entwicklungslinien und Zielpunkte veranschaulichen. Verkürzt dargestellt, ist die ultimative Convenience dann erreicht, wenn der Produktnutzen (Convenience) vom Käufer erzielt wird, während das Produkt (fast) nicht mehr vorhanden ist. Bei der Produktentwicklung gibt also eine Steigerung bzw. Verbesserung der bestehenden Convenience die Entwicklungslinie vor. Der Kulminationspunkt ist dann erreicht, wenn der Verbraucher den Produktnutzen genießen kann, aber das Produkt für ihn nicht mehr (wahrnehmbar) vorhanden ist. Die Entwicklung der Hörgeräte in den letzten 100 Jahren ist hier geradezu ein mustergültiges Bespiel: die Entwicklungslinie weg vom sperrigen Hörrohr hin zu implantierbaren Miniatur-Hörgeräten vollzieht sich entlang der Dimension „Convenience“. Von Entwicklungsstufe zu Entwicklungsstufe wurden die Geräte bequemer, indem sie kleiner und kleiner wurden (Miniaturisierung des Produktes). Heute ist der Nutzen „Gehörersatz“ (fast) ohne ein sichtbares oder störendes Hörgerät möglich.

Ähnliche Entwicklungstendenzen kann man am Beispiel der Miniaturisierung des Telefons sehen. Das Telefon wurde im Laufe der Zeit immer kleiner und es wird eines Tages nicht mehr (wahrnehmbar) zum Telefonieren notwendig bzw. vorhanden sein.

Bei der zukünftigen Entwicklung des Mobiltelefons dürfte aber eine weitere Entwicklungsline, nämlich „Independence and Freedom“, eine wesentliche Rolle spielen. Das Streben nach persönlicher Unabhängigkeit und Freiheit wird dazu führen, dass Mobiltelefone noch wesentlich „mobiler“ werden und dem Nutzer ein höheres Maß an persönlicher Freiheit und Unabhängigkeit gewähren.

So dürfte das lästige Aufladen der Akkus mittels eines Ladegeräts, sicher bald der Vergangenheit angehören. Ladegeräte und Ladekabel passen schlichtweg nicht zum Kulminationspunkt „Unabhängigkeit und Freiheit“.

Die Entwicklungslinie „Convenience & Comfort“ hat selbstverständlich nicht nur die Miniaturisierung des Produktes als Zielpunkt. Weitere Entwicklungsziele innerhalb der Entwicklungslinie „Convenience & Comfort“ sind:

  • Unmittelbarkeit der Bedürfnisbefriedigung: Wie schnell setzt die Bedürfnisbefriedigung ein. Setzt die Bedürfnisbefriedigung unmittelbar ein, oder muss der Kunde warten oder gar vorgeschaltete Tätigkeiten erledigen, bis er in den vollen Genuss des Produktnutzens kommt. (Aufbau von Möbelstücken)
  • Dauer der Bedürfnisbefriedigung: Kann der Kunde den Produktnutzen lange nutzen, oder muss das Produkt zwischenzeitlich etwa aufgeladen werden, um den Nutzen längerfristig zu gewährleisten (Akkus)
  • Einfachheit der Bedürfnisbefriedigung: kann ein Kunde ohne Vorbildung und ohne Einweisung den Produktnutzen erzielen? (Gebrauchsanweisungen)

Nutzen für die Produktentwicklung?

Anhand der Trajektoren lassen sich zumindest grobe Vorhersagen über zukünftige Konsumentenwünsche tätigen. Soweit die These zutrifft, wonach Konsumenten ihre Wünsche und ihre Anforderungen nicht abrupt oder über Nacht ändern, kann man mittels der Entwicklungslinien historische Nutzenveränderungen in die Zukunft interpolieren.

Damit entstehen Leitlinien für Produkteigenschaften und -Anforderungen, die im hohen Maße sowohl konsumenten- als auch zukunftsorientiert sind. Dieses Wissen um die Entwicklungslinien und ihre Kulminationspunkte dürfte die zukünftige Produktentwicklung nachhaltig beeinflussen.

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Frank Boy

Dr. Frank Boy ist geschäftsführender Gesellschafter der Timestyles.de GmbH. Zuvor war er als Vorstand und Unternehmensberater für mittelständische Unternehmen im Bereich Marketing und strategische Produktentwicklung tätig. Sein Buch "Innovation and Entrepreneurship" wurde inzwischen in mehrere Sprachen übersetzt.

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3 Comments

  • Steve Lohse sagt:

    Spannender Artikel – den Begriff „Trajektoren“ kannte ich noch gar nicht.

    Vor allem im Hinblick auf die immer kürzer werdenden Lebenszyklen von Produkten (und die damit verbundene Verkürzung der Gewinnphasen) ist die genaue Betrachtung von Entwicklungslinien natürlich elementar wichtig für die meisten Unternehmen.

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