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Fachkräftemangel in KMU: So ernst ist die Situation!Gibt es zu viele Akademiker?

Wieder einmal liegen neue Zahlen zum Schreckgespenst „Fachkräftemangel“ vor. Sie legen ein weiteres Mal offen, was längst kein Geheimnis mehr ist: Immer mehr Schulabgänger ziehen es vor, lieber zu studieren als eine Ausbildung zu beginnen. Dem Arbeitsmarkt entgehen dadurch zunehmend spezialisierte Fachkräfte in den klassischen Branchen wie Handel und Handwerk. Das hat vor allem Konsequenzen für den Mittelstand.

Der Trend geht zum Studium

Erst im Februar veröffentlichte das Statistische Bundesamt Zahlen und belegte damit jenen Trend, der aktuell die deutschen Wirtschaft in Atem hält: Von 2006 bis 2012 sank die Anzahl der Absolventen in einer beruflichen Ausbildung um fünf Prozent. Die Zahl der Studierenden erhöhte sich gleichsam um 25 Prozent. So befanden sich 2012 knapp zwei Millionen Menschen in einer Berufsausbildung – zwei Prozent weniger als im Vorjahr.

Steuert Deutschland möglicherweise auf eine Akademisierung seiner Nachwuchskräfte zu? Eric Schweitzer, Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), meint dazu: „Die seit Jahren andauernden Forderungen nach mehr Studenten führen dazu, dass Hörsäle aus allen Nähten platzen, während Unternehmen händeringend Azubis suchen“. Dies betreffe allen Regionen Deutschlands gleichermaßen. Die Folgen für Wirtschaft und Mittelstand zeichnen sich deutlich ab: „Dem Wirtschaftsstandort Deutschland droht nachhaltiger Schaden, wenn der Trend zur Akademisierung um jeden Preis nicht gestoppt wird“, so Schweitzer.

Auch der Direktor des Vereins Deutscher Ingenieure (VDI), Ralph Appel, stimmt zu. Zwar seien zunehmend mehr Menschen in der Lage, Maschinen und Anlagen zu designen, aber immer weniger könnten diese letztendlich bauen oder führen. Regierung und Industrieverbände suchen nun nach den Gründen und Lösungen, die Entscheidung für eine Ausbildung für junge Menschen interessanter zu machen und somit ein ausgewogenes Gleichgewicht herzustellen. Sollte dies nicht oder nur unzureichend gelingen, könnte die „weitere Akademisierung zu einer höheren Arbeitslosigkeit führen“, meint der DIHK-Präsident. Denn viele der angebotenen und studierten Richtungen würden gar nicht gebraucht.

Ist das Handwerk unattraktiv?

Die Ursachen für den sich abzeichnenden Trend sind vielschichtig. Zunächst einmal haben immer mehr Schulabgänger die Möglichkeit, überhaupt ein Studium aufzunehmen. Die Zahl der Abiturienten steigt seit Jahren kontinuierlich. Spiegel Online bezeichnete 2013 gar als Rekordjahr: Demnach haben im vergangenen Jahr mehr als 370.000 Schüler die Schullaufbahn mit dem Abitur beschlossen. Laut Statistischem Bundesamt waren das 3,8 Prozent mehr als noch 2012. 2011 waren es 360.639 Schüler.

Ein weiterer Grund besteht darin, dass sich viele der Absolventen ganz bewusst für ein Studium und gegen die oftmals als unattraktiv empfundene berufliche Ausbildung entscheiden. Ein dritter Aspekt findet sich in der demographische Entwicklung, aufgrund derer Lehrstellenbewerber verloren gehen.

Unterschätzt werden auch die zunehmenden Abbrecherquoten und vorzeitig aufgelösten Ausbildungsverträge, welche seit 2005 konstant anteigen und 2011 mit 24,4 Prozent den höchsten Wert seit der Wiedervereinigung erreichten. Dies kann als Zeichen verstanden werden, wie junge Menschen Ausbildungsberufe und somit Handwerk und Industrie wahrnehmen: Nämlich als unattraktiv. Das Baugewerbe trifft es dabei am deutlichsten. Von den in den letzten drei Monaten des Jahres 2013 knapp 20.000 unbesetzten Lehrstellen (im sogenannten „Ersten Arbeitsmarkt“) fielen fast 50 Prozent auf diesen Berufszweig.

Der Mittelstand muss reagieren!

Mittelständische Unternehmen bekommen das Ausmaß unbesetzter Lehr- und Fachkräftestellen besorgniserregend zu spüren. Während sich noch immer viele Absolventen und Schulabgänger um die meist raren Stellen in den gut etablierten und renommierten Großkonzernen reißen und teilweise mehrtägige Auswahlverfahren über sich ergehen lassen, können KMU davon nur träumen. Laut Angaben der Tageszeitung „Die Welt“ konnten nach jüngsten Zahlen mehr als 300.000 Arbeitsplätze im deutschen Mittelstand nicht besetzt werden.

Was also können diese Betriebe tun, um Personal und somit ihre Zukunft zu sichern? Es gibt verschiedene Ansatzpunkte, an welcher Stelle der „Achillessehne Fachkräftemangel“ angesetzt werden kann. Die Politik reagiert bereits. Neben der Anwerbung und Ausbildung ausländischer Fachkräfte, legt die Bundesregierung einen wesentlichen Schwerpunkt auf die Unterstützung kleinerer und mittelständischer Unternehmen. Auch die Wichtigkeit der dualen Ausbildung sei unumstritten, so ein Sprecher des Bundeswirtschaftsministeriums. Immerhin beneide „das Ausland Deutschland um sein duales Ausbildungssystem“.

Im Zuge politischer Vorgaben um Mindestlohn, Rentenpläne und Frauenquoten fordert der Mittelstand hier betriebliche, flexible Lösungen. Dies heißt aber keinesfalls, dass einzelne Betriebe von ihrer individuellen Verantwortung ausgenommen sind. Ein Unternehmen kann und muss mit internen Umstrukturierungen sowie speziellen Angeboten für Lehrlinge und Mitarbeiter oder konkret mit einer attraktiveren Außenwirkung einen erheblichen Beitrag leisten, um sich das dringend benötigte Personal zu sichern. Ein durchdachtes, sich von der unmittelbaren Konkurrenz abhebendes Darstellungs-, Marketing- und Kulturkonzept zeichnet hier den Rahmen für eine richtungsweisende Zukunft.

Potentielle Topkräfte: Studienabbrecher!

Die Abbrecherquote in den Ingenieurwissenschaften liegt laut IHK-Hauptgeschäftsführer Thomas Albiez bundesweit bei fast 40 Prozent. Auch am Hochschulcampus Tuttlingen beenden rund 35 Prozent der jungen Leute ihr Studium ohne Abschluss. Dies bietet einen ganz neuen Ansatzpunkt für Unternehmen: Die Umwerbung von Studienabbrechern.

Ein Vorteil hierbei liegt insbesondere darin, dass die Abbrecher meist etwas älter als jene Schulabgänger sind, die gerade erst ihre Schulzeit beendet haben. Zudem wissen sie, was sie nicht wollen und sind im Umkehrschluss motivierter. Sei es aus Gründen, endlich Leistung und Ergebnisse erbringen zu wollen (oder müssen). Oder im Studium selbst haben sich andere Interessen aufgezeigt, welche sie nun in einer betrieblichen Ausbildung vertiefen können.

Auch können Menschen, die bereits ein paar Semester studiert haben, einiges an Fachwissen aufweisen, wodurch die reale Ausbildungszeit verkürzt werden kann und sie somit dem Arbeitsmarkt schneller zur Verfügung stehen. Auf jeden Fall bieten sich Unternehmen hier eine attraktive Gruppe, derer es ebenso wert ist, umworben zu werden.

Zu welchen Maßnahmen sich Firmen auch entscheiden: Es ist wichtig, dass reagiert wird. Mit einer strategisch sinnvollen Mischung aus attraktiver Außen- und Innendarstellung sowie der gezielten Werbung um Nachwuchskräfte werden KMU sicherlich den besten Erfolg erzielen können.

Oliver Marquardt

Oliver Marquardt ist studierter Kommunikationsdesigner. Er arbeitete als Texter in renommierten Werbeagenturen, bevor er sich als Marketing- und Kommunikationsberater für Großunternehmen selbstständig machte. Mittlerweile ist er gefragter Berater für Markenentwicklung im Mittelstand und Autor vieler Fachartikel. 2013 gründete er zusammen mit seiner Frau das Büro "Marquardt+Compagnie" für wertebasierte Markenentwicklung. Privat spielt Golf, produziert Musik und kocht gerne.

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10 Comments

  • A. Dittrich sagt:

    Ein Bekannter von mir hat sich als Grafiker beworben. 40 Jahre alt. Antwort: „Sie sind zu alt für unser junges Team“. Das ist beileibe kein Einzelfall, ich kenne mehrere Fachkräfte denen es so erging. Unter diesen Umständen braucht man sich nicht wundern.

    • Marquardt+Compagnie sagt:

      Wichtiger Punkt. Unternehmen setzen die Hürden teilweise unnötig nach oben. Auch extrem hohe Anforderungen im Stellenprofil sind einem falschen Verständnis von Qualifikation im Vorraus geschuldet.

  • Stefan Becker sagt:

    Wie wärs denn mal mit anständigen Löhnen für Facharbeiter.
    Immer wird nach der Politik gerufen, wenn Arbeitgeber vermeindliche Nöte haben. Wenn es jedoch um die Interessen der Angestellten geht, müssen die s.g. Marktgesetze herhalten.

  • Kommentar 14 sagt:

    Der angebliche Fachkräftemangel ist eine Illusion! Fachkräftemangel ist laut Definition, wenn sich weniger als 3 Bewerber für einen Job interessieren. Bei manchen Instituten und Organisationen hat man diesen Wert auf bis zu 7 heraufgesetzt. Dadurch entsteht der Eindruck, es gäbe so viele Stellen, die nicht besetzt werden können.

  • projektwerk sagt:

    Nicht länger hinnehmen, dass es so lange dauert, eine Stelle zu besetzen, in der Zwischenzeit Projekte nicht realisieren können oder eine veraltete und überarbeitete Kernbelegschaft riskieren – sondern einfach das Hybridmodell nutzen: Feste Mitarbeiter als Kernbelegschaft + Freelancer für zeitlich befristeten Einsatz auf Top-Niveau. Für weitere Infos diesbezüglich, schauen Sie sich gerne unser neu erschienes Whitepaper an: http://bit.ly/fachkraeftemangel-ade-projektwerk

  • Marquardt+Compagnie sagt:

    Danke für die vielen Kommentare. Wir stellen zu diesem Thema übrigens ein umfangreiches Strategiepapier zur Verfügung. Bis Ende Juli ist es noch kostenfrei: http://marquardt-compagnie.de/strategiepapier-mitarbeitersuche-download.html

  • TPA sagt:

    Auch wenn die Ursachen zu klären und zu beheben sind, den Symptomen kann man zumindest bedingt entgegenwirken.
    http://www.tu-perspectiva.eu

  • In 2012 sollen laut Bitkom allein im ITK-Sektor den mittelständischen Unternehmen Umsätze in Höhe von 11 Mrd. Euro entgangen sein, weil die geeigneten Leute fehlten. Das ist schon eine Hausnummer. Hauptproblem dürfte die wachsende Lohnschere zwischen KMU und Konzernen sein, die zudem an den attraktiven Standorten zu finden sind und nicht in Hintertupfingen.

    • Marquardt+Compagnie sagt:

      Ja, es sind die Löhne und es sind die unzeitgemäßen Kommunikationsinstrumente, sowie fehlende Darstellung der eigenen Markenwerte einzelner KMUs.

  • Robert Lemke sagt:

    Mit dem Ausdruck „Fachkräfte“ treibt man die Jugend ja geradezu ins Studium, weil man annimmt, dass Fachkräfte studiert haben müssen.
    Wer hingegen einen Mangel an Handwerkskräften sieht, der sollte das auch genau so sagen.

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