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Das Sandburgen-Gen

Da ich öfters Vorträge halte, bin ich immer auf der Suche nach lockeren Scherzen, mit denen ich mein Publikum aufwecken und gleichzeitig verhindern kann, dass es sofort wieder einschläft. Hatte ein Redner früher knapp fünf Minuten Zeit, seine Zuhörer zu begeistern, ist diese Zeit heute auf 30 Sekunden heruntergeschnurrt, wie Forscher festgestellt haben. Am besten stellt man sofort eine Frage oder erzählt einen Witz.

In dieser Situation kam mir vor ein paar Wochen die Schlagzeile gerade recht, dass Deutschland, wie dort schwarz auf weiß stand, inzwischen das beliebteste Land in der Welt sei. Solche überzogenen Scherze freilich, die so ganz und gar an den Haaren herbeigezogen sind, bergen das Risiko, dass das Publikum sie als allzu weit weg von der Realität empfindet und nur verwundert den Kopf über den Redner schüttelt, anstatt herzhaft loszulachen.

Deutschland: Attraktivstes Land 2013

Ich musste mich mehrmals in den Artikel beugen, bis sich herausstellte: Das war gar kein Scherz, das war ernst gemeint: Die BBC hatte herausgefunden, dass Deutschland es in der Tat im Jahr 2013 zum attraktivsten Land weltweit gebracht hat. Nun bin ich von Natur aus ein skeptischer Geist und war sicher, dass da irgendetwas nicht stimmen konnte: Entweder man hatte nur Geheimdienste befragt oder die Sandburgen und Wackeldackel im Fond unserer Autos nicht berücksichtigt. Denn so lange ich mir persönlich auch das Hirn zermartere, mir würde kein Grund einfallen, warum wir Deutschen in den letzten Jahren sympathischer geworden sein sollten.

Wenn wir Deutschen je eine Saturn-V-Rakete ins äußere Weltall abschössen und den Außerirdischen etwas mitgeben könnten, damit Sie sich einen Eindruck von unserem Leben hierzulande machen können, wären das eine 22-seitige Schankerlaubnis, eine Schiedsrichterbeleidigung, ein schriftlicher Einspruch gegen Kirchenglockenläuten, ein Blankoformular für weitere Einsprüche, ein belegtes Brötchen mit versiffter Mayonnaise und eine Sandburg. Nein, wir Deutschen haben uns nicht geändert. Unsere weltweite Sympathie muss andere Gründe haben.

Sympathisch bis in den Tod

Klar, wir gewinnen nicht mehr jede Welt- und Europameisterschaft und schießen vor allem keine unverdienten Abstaubertore mehr in der 90. Minute, obwohl wir vorher 89 Minuten lang Rumpelfußball geboten haben. Immerhin machen wir jetzt inzwischen auch mit bei weltweit beliebten Dingen wie Doping, Geldwäsche und Bestechung. Man weiß einfach zu schätzen, dass wir da in den letzten Jahren wesentlich lockerer geworden sind und die Dinge nicht mehr so eng und verbissen sehen wie früher. Aber der Grund für die globale Sympathiebezeugung muss tiefer liegen. Es könnte, bei genauerer Betrachtung, auch daran liegen, dass wir weniger werden.

Ja, wir sterben ja aus: Die Bevölkerungszahl geht immer weiter runter und irgendwann sind wir bei Null. Und genau das macht uns sympathisch: Dass wir irgendwann weg sind. Außerdem müssen Sie das mathematisch sehen: Die weltweit vorhandene Menge an Sympathie für unser Land verteilt sich jetzt auf weniger Personen – damit wird jeder einzelne automatisch sympathischer. Dafür muss er gar nix tun, das geht schon rein rechnerisch.

Die Beliebtheit liegt wohl nicht an den Deutschen

Es könnte für die Sympathie freilich auch eine Rolle spielen, dass wir Deutschen nicht nur weniger, sondern auch doofer werden. Das muss ich erklären, sonst verstehen Sie das nicht. In jeder weltweiten Bildungsstatistik tauchen wir Deutschen meist irgendwo im hinteren unbedeutenden Drittel der jeweiligen Umfrage auf, egal ob Deutsch oder Mathematik oder Allgemeinbildung abgefragt wird, etwa wo der Popocatepetl liegt. Sehen Sie, das wissen Sie schon nicht.

Wer aber immer doofer wird, kann auch nicht mehr so besserwisserisch auftreten wie wir Deutschen viele Jahre lang. Doof, aber sympathisch. Ist auch ein Trend. In der Schweiz kursiert schon ein Witz über uns: „Kommt ein Deutscher an die Bar und erzählt seinen Freunden freudestrahlend: Hab gerade ein Puzzle fertiggemacht in nur zwei Stunden, obwohl auf der Packung steht „4-6 Jahre“. Früher hätten wir gegen den Witz beim ersten greifbaren Gericht geklagt, heute verstehen viele ihn nicht mal mehr.

Burmesen in den Alpen

Nein, nein, der wirkliche Grund für diese globale Sympathie liegt ganz woanders: Kennen Sie diese Befragung, die in Mannheim gemacht wurde: „Glauben Sie, dass die Innenstädte bei uns überfremdet sind?“ 1,5 Prozent antworteten mit „Ja“, 2 Prozent mit „Weiß nicht“ und 96,5 sagten (wechselnd in türkisch-kroatisch-russischem Tonfall): „Könne Fragge widerhollen, Chefe?“ So sieht das aus. Einwanderer, Zuwanderer, Ausländer überhaupt haben unser Land völlig umgekrempelt. Das haben wir gar nicht richtig gemerkt. Nun ist das mit der Integration wahrlich nicht überall ein positiver Selbstläufer, aber das Land ist anders geworden, seit in den deutschen Alpen ein Burmese Wanderführer ist und wir freudestrahlend in mehr spanische Tapas-Kneipen latschen können, als deutsche Gasthöfe mit dem Namen „Zum Adler“.

Der deutsch-steife Kaffee-Kellner im Frack hat sich nicht verändert, nein, er ist einfach ausgestorben, weil ihn die italienische Cappucchino-Mafia mit anderen Kellnern vollständig verdrängt hat. Weggemobbt, rausgemobbt. Deutschland, ich sage das nur ungern, aber Deutschland ist wohl nur deswegen so sympathisch, weil es gar nicht mehr deutsch ist. Über diesen fulminanten Satz müssen Sie jetzt erst mal nachdenken, das verstehe ich. Und dann werden Sie murmeln: „Na ja, könnte was dran sein“. Das murmeln wir Deutschen immer, wenn wir zeigen wollen, dass wir gar nicht so deutsch sind.

Das Sandburgen-Gen

Wir wissen ja aus unseren Unternehmen, wie schwierig Veränderung ist, weil wir mindestens einmal im Jahr ein Change-Projekt krachend gegen die Wand fahren. Warum sollte da also ausgerechnet das Projekt „Der Deutsche verändert sich“ funktionieren? Der Deutsche wird noch in 10 Jahren an der Supermarktkasse den Betrag von 16,85 auf den Cent genau aus dem Portemonnaie abzählen. Er wird dort seine Postleitzahl hinterlassen und das Wort „amtlich“ wird ihn als Motto des Lebens weiterhin durch selbiges führen.

Nein, der Deutsche wird sich nicht verändern, der Deutsche hat ein unveränderliches Sandburgen-Schutz-Gen in sich, den 23. Strang an der DNS, der sonst nirgendwo auf der Welt vorkommt. Jeder von uns liebt und lobt sich zwar selber als offener Weltbürger, möchte aber nie als typisch deutsch wahrgenommen werden. Wir machen uns ja inzwischen selber über unser Deutsch-Sein lustig. Wir wollen irgendwie anders sein als unser Ruf und wissen doch nicht wie. Nein, uns selbst einfach mal sympathisch zu finden, das ist keine deutsche Eigenschaft. Für unsere Sympathie als Volk müssen offenbar andere sorgen.

 

(Bild: © Perseomedusa – Fotolia.com)

Dr. Klaus-Ulrich Moeller

Dr. Klaus-Ulrich Moeller ist Kommunikationsberater, Kolumnist, Speaker und Autor. Er war PR-Chef bei der Deutschen Lufthansa, der TUI und beim weltweiten Beratungskonzern PricewaterhouseCoopers. Viele Jahre hat er mit Unternehmern im Unternehmernetzwerk Vistage International gearbeitet. Als Journalist schreibt er satirische Kolumnen. Für die Aufdeckung der STERN-Affäre um die gefälschten Hitler-Tagebücher erhielt er den renommierten Theodor-Wolff-Preis. Mehr Informationen unter: www.creative-comm.de.

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