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Zukunft Als womöglich erster Industriezweig hat die Textilbranche einen moderierten Blick in die Zukunft geworfen. Im Ergebnis der einjährigen Zeitreise, zunächst in das Jahr 2050 und von dort zurück auf 2025, liegen jetzt über 250 Ideen und Lösungsvorschläge „in Textil“ auf dem Tisch. Zudem konnte der Forschungsbedarf in Richtung der zehn wichtigsten Bedarfssegmente von Architektur über Bekleidung, Energie und Gesundheit bis Mobilität und Wohnen präzisiert werden.

Mit der Methodik der Zukunftslandkarte, die mehr als bloße Trendsammlung ist, wurde eine bis in das nächste Jahrzehnt reichende Wissensbasis geschaffen. Sie ermöglicht es Unternehmen, selbstständig oder mit Expertenbegleitung firmenspezifische Strategien für die Umsetzung in Innovationen und in neue Geschäftsmodelle abzuleiten. Vom Herangehen und den Ergebnissen der „Perspektiven 2025“ könnten auch andere Herstellerbranchen und Unternehmen profitieren, denn: Schneller Wissenszuwachs, beschleunigte Entwicklungen bei Technologien und Innovationen sowie individuellere Kundenanforderungen steigern die Komplexität, die Unternehmen bewältigen müssen. Reagieren auf Veränderungen reicht jedoch oft nicht mehr aus, „vorausschauendes Fahren“ wird deshalb zur Notwendigkeit für dauerhafte Unternehmenserfolge und zufriedene Mitarbeiter.

Handlungsfelder nach der Rückschau aus der Zukunft in die Gegenwart (dargestellt am Beispiel der Textilwirtschaft)

Vernetzte Trends wahrnehmen

Oft werden Zweifel geäußert, ob es sinnvoll sei, sich „mit einer Zukunft zu beschäftigen, die dann doch ganz anders kommt“. Wie sich die Zukunft im Detail zu bestimmten Zeitpunkten entwickeln wird, lässt sich kaum treffsicher vorhersehen. Dennoch sind bestimmte Entwicklungen innerhalb einer abschätzbaren Bandbreite so vorgezeichnet, dass daraus Grundlagen für wahrscheinliche Szenarien gewonnen werden können.

Beispiele dafür sind die verbrauchsabhängige Reichweite von Rohstoffen, die zeitliche Verfügbarkeit von Technologien oder der zu erwartende, regionale Bedarf an Energie und Nahrungsmitteln. Bei Technologien geben Roadmaps Hinweise darauf, wie sich die Leistungsfähigkeit von Solarzellen oder die Bandbreiten für Übertragungsraten im Bereich der Telekommunikation in Zukunft entwickeln werden. Bewährte Quellen für die Trendsammlung als Grundlage für jede Zukunftslandkarte sind kreativ gestaltete Internet-Recherchen, Fachliteratur in Form von Büchern und Magazinen sowie interdisziplinäre Expertengespräche. Zusätzlich ist es wertvoll, verfügbare Zukunftsstudien, die zum Projektkontext passen, auszuwerten.

Retropolation als Methode

Ziel der Arbeit mit Zukunftsszenarien ist es jedoch nicht, ein Bild zu beschreiben, das später genauso eintrifft. Zukunftslandkarten in Form von Mind Maps verknüpfen vielmehr bekannte und vorstellbare Trends zu einer gesamtheitlichen Sicht einer möglichen Zukunft. Dabei wird nachvollziehbar, welche Trends sich gegenseitig verstärken, welche sich hemmen oder sogar ausschließen. So kommt man schließlich zu völlig neuen Geschäftsideen, einer Vorstellung über Bedürfnisse der Kunden von morgen und neue attraktive Zukunftsmärkte.

Wie also nähert man sich dem Blick in die Zukunft bis 2025? Zunächst werden längerfristige Trends mit Blick auf Kunden, Wettbewerb, Wirtschaft, Technologie, Umwelt, Politik und Gesellschaft identifiziert und in ihrer Wirkung zu einem Bild einer denkbaren Zukunft zum Beispiel im Jahr 2050 verknüpft. Mit dokumentierten Prämissen wird eine Zurückschau z.B. auf das Jahr 2025 und von dort auf die Gegenwart möglich – methodisch betrachtet ist dies eine Retropolation und damit eine virtuelle Zeitreise aus der fernen Zukunft zurück ins Heute.

Auf diese Weise erhalten wir zwangsläufig einen anderen Eindruck der nahen Zukunft, als bei einer reinen Extrapolation, die vor allem Vergangenheitserfahrungen fortschreibt.

Extrapolation als Sichtweise bewährt sich bei relativ kontinuierlichen Entwicklungen, so dem Bevölkerungswachstum. Schon beim Telefon funktioniert das Ganze nicht mehr. Warum? Weil 80 Jahre zwischen dem hölzernen Wandtelefon und dem schwarzen Bakelit-Telefon aus Wirtschaftswunderzeiten liegen. Von dort sind es aber nur gut 40 Jahre bis zum Smartphone, das vielfältigste Funktionen bietet – auch telefonieren. Mit bloßer Extrapolation, also erfahrungsbasiertem Wissen, ist so ein technischer Quantensprung nicht erkennbar, mit Retropolation dagegen wird er denkbar.

Bessere Zukunftssicht mit Retropolation als Methode

Frühzeitige Einsicht in Veränderungen

Durch die intensive Diskussion von Zukunftsbildern und der Retropolationsmethodik, die zugleich auch kreative Denkfreiheit für Milliarden Gehirnzellen bedeutet, entwickeln die Beteiligten ein erfahrungsbasiertes „Bauchgefühl für Morgen“, das dauerhaft ihren Umgang mit Zukunftsfragen und die Vorbereitung von Entscheidungen verändert. Der besondere Nutzen der Zukunftslandkarte besteht darin, dass die mit der Erstellung verbundene Zeitreise in unserem Gehirn eine Lernerfahrung hinterlässt, die uns bei zukünftigen Entscheidungen als Wissensvorsprung zur Verfügung steht.

Aus einem solchen Zukunftsbild auf die Gegenwart zurückzublicken, gibt frühzeitig Einsicht in bevorstehende Veränderungen im Unternehmensumfeld. Wer sich schneller bewegt und weiter vorausschaut als der Markt im Augenblick, kann rechtzeitig Anpassungen vornehmen und frühzeitig Weichen stellen. Vor diesem Hintergrund ergibt sich ein neues Zukunftsverständnis für Geschäfts- und Wissensstrategien sowie neue Ideen für Geschäftsmodelle, Innovationen und Patente. Wer dann für ausgewählte Szenarien Maßnahmen vordenkt, muss seltener auf unerwartete Veränderungen reagieren.

Teamarbeit ist Erfolgsfaktor

Mindestens so wichtig wie das Ergebnis der Zukunftslandkarte ist der intensive Gedankenaustausch der am Entstehungsprozess Beteiligten . Die Summe der Kompetenzen und Blickwinkel der Mitarbeitenden fließt über die gemeinsame Diskussion in die Vernetzung und Bewertung der Trends ein. Die Wahrnehmungsfilter der Einzelpersonen werden so nicht zu Hindernissen bei der Erststellung eines Zukunftsbildes, sondern die Gruppendynamik sorgt für aktive Wissensflüsse, die das Herstellen bisher unbekannter Zusammenhänge ermöglichen. Außerdem wird durch die Zeitreise eine gemeinsame Sichtweise erarbeitet, die auch zukünftige Gespräche und Entscheidungsvorbereitungen deutlich effizienter und fundierter gestaltet.

Zukunftslandkarten als Entscheidungshilfe schützen uns davor, die Gegenwart nahtlos in die Zukunft fortzuschreiben. Die Gefahr, wichtige Weichenstellungen für die Unternehmensentwicklung zu verpassen, nimmt dadurch ab. Und: Wer sich frühzeitig auf eine Zukunft vorbereitet, die kommen kann, ist auch besser für die gerüstet, die morgen Wirklichkeit wird. Zum Zeitpunkt von Entscheidungen können die Beteiligten schon auf „vorgedachtes Erfahrungswissen“ zurückgreifen und so umsichtiger handeln.

(Bild: © SC-Photo – Fotolia.de)

Thomas Strobel

Zukunftsforscher Thomas Strobel ist Geschäftsführer der FENWIS GmbH in Gauting. Der 49-jährige Dipl.-Ing. für Maschinenwesen gilt auf Grund seiner beruflichen Vita u. a. in Strategie- und Planungsteams von Siemens und Telekommunikationsfirmen als besonders industrienah. In seiner aktuellen Arbeit hat er sich spezialisiert auf systematische Zukunftsplanung und bessere Wissensflüsse in mittelständischen Unternehmen.

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