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Social Commerce wird zum Gamechanger im Online-Handel – spätestens seit der TikTok Shop jetzt in Deutschland gestartet ist. Aber ist der Hype berechtigt? Max Eber-Ischinger, CEO von addfame, erklärt, warum Social Commerce für viele Marken riesige Chancen bringt – aber auch gefährlicher Kontrollverlust sein kann.

Warum sollten sich UnternehmerInnen jetzt mit Social Commerce beschäftigen?

Wir erleben gerade einen fundamentalen Bruch mit klassischen Verkaufsmustern. Menschen kaufen nicht mehr, nachdem sie suchen – sie kaufen, während sie Inhalte konsumieren, mitten in den Feed: impulsiv, emotional, eingebettet in Entertainment – zwischen neuen viralen Skincare-Hacks und KI-gesteuerten  „Made me buy it“-Trends. Wer diesen Wandel ignoriert, verliert Relevanz. Gleichzeitig lauern aber auch Risiken für alle, die blind aufspringen: Denn Social Commerce funktioniert nicht wie klassisches Performance-Marketing. Es ist kein weiterer Kanal – es ist ein System aus Entertainment, Content, Relevanz und Verkauf, das neue Regeln aufstellt.

TikTok ist aktuell das prominenteste Beispiel, aber Social Commerce als Prinzip geht weit darüber hinaus. Es ist der Einstieg in ein neues Verkaufssystem, in dem klassische Online-Shops und Suchmaschinen nicht mehr die Hauptrolle spielen. Stattdessen entscheidet die Plattform – oder besser gesagt der Algorithmus – was sichtbar und damit verkaufbar ist.

Was bedeutet das für die Markenführung?

Ein radikaler Verlust von Markenkontrolle. Wer seine Brand-Message nicht clever in Creator-Content integriert, gibt die Kontrolle über die eigene Markenwahrnehmung aus der Hand. Nicht mehr die Marke, sondern der Algorithmus hat das letzte Wort. Das ist für viele eine Herausforderung. Dazu kommt, dass Conversion hier flüchtig ist: Impulskäufe können zwar kurzfristig Umsatz bringen, schaffen aber selten langfristige Bindung. Ohne echtes Markenerlebnis bleibt die Loyalität auf der Strecke.

Und schließlich: Der Algorithmus ist König. Wer nicht im Feed stattfindet, existiert nicht. Klassisches Storytelling, Branding und strategische Customer Journeys treten hinter die Moment-Relevanz. Das stellt viele UnternehmerInnen vor komplett neue Herausforderungen in der Markenführung.

Und wo liegen die konkreten Chancen?

Die Chancen sind riesig – aber nicht für alle. Marken, die Social Media heute schon nicht performant nutzen, werden auch im Social Commerce keinen Durchbruch erleben. Aber wer versteht, wie Content funktioniert, Communitys denken, Creator Vertrauen aufbauen und wie man seine Marke dabei glaubwürdig inszeniert, der kann durch Social Commerce explodierende Verkaufszahlen sehen.

Wichtig ist, nicht mit dem Kopf durch die Wand zu wollen. “Test & Adapt” statt “All-in” ist der richtige Weg, denn Social Commerce verlangt ein Umdenken, nicht nur operativ, sondern auch strategisch. Marken müssen lernen, in Echtzeit relevant zu sein, sich im Feed zu behaupten und Vertrauen durch echte Creator-Stimmen aufzubauen.

Langfristig ist zu erwarten, dass Budgets stark in Richtung Social Commerce wandern, gerade, wenn Plattformen wie TikTok-Shopping-Features nahtlos integrieren. Die Frage ist nicht, ob, sondern wie man es nutzt. Und: Zu welchem Preis? Wer Kontrolle über das Markenerlebnis aufgibt, muss wissen, was er dafür bekommt – und ob er es steuern kann.

Wie sollten Unternehmen mit diesen Veränderungen umgehen?

Die wichtigste Empfehlung: erst verstehen, dann verkaufen. Wer blind auf Social Commerce setzt, könnte sich gewaltig verzocken. Es geht um ein Konzept, das erprobt werden muss – mit kreativen Content-Formaten, starken Creator-Partnerschaften und realistischen Zielen. Creator sind heute die neuen VertriebsmitarbeiterInnen. Ihre Glaubwürdigkeit entscheidet über Kauf oder Nicht-Kauf. Marken, die sich nicht trauen, ihre Botschaft über authentische Stimmen transportieren zu lassen, werden im Feed untergehen – selbst mit starken Produkten.

Und: Akzeptieren, dass Marken nicht mehr die Hauptrolle in ihrer eigenen Story spielen. Wer denkt, man könne einfach bestehende Ads auf TikTok oder Instagram schalten und abkassieren, wird schnell merken: Das wird teuer. Social Commerce erfordert echtes Verständnis für die Plattformlogik, Mut zur Adaption – und den Willen, nicht die Hauptrolle in der eigenen Geschichte zu spielen. Make TikToks not Ads!

Viele UnternehmerInnen haben Respekt davor, ihre Marke in die Hände von Creatorn zu geben. Zu Recht?

Ja – und nein. Natürlich ist es ein Risiko, die Brand Voice mit anderen zu teilen. Aber Creator sind heute die glaubwürdigsten VerkäuferInnen. Wer ihnen vertraut und sie gut brieft, gewinnt Reichweite, Relevanz und Umsatz. Wer es nicht tut, verliert Sichtbarkeit – und das ist das größere Risiko.

Was gibst du UnternehmerInnen mit auf den Weg?

Social Commerce ist kein kurzzeitiger Trend. Es ist eine neue Realität, die Marken zwingt, mutiger, schneller und nahbarer zu werden. Wer nicht lernt, in dieser Realität zu bestehen, verliert Sichtbarkeit. Aber wer die Plattformlogik akzeptiert, mutig mit Creator-Formaten experimentiert und seine Marke situativ relevant macht, wird belohnt.

Der Schlüssel liegt nicht im schnellen Abverkauf, sondern im langfristigen Verstehen: Social Commerce ist kein verlängertes Schaufenster, sondern ein neues Betriebssystem für Verkauf im digitalen Zeitalter.

Max Eber-Ischinger

Max Eber-Ischinger ist CEO der Influencer- und Social Media-Agentur addfame und seit über zehn Jahren Experte im Digital Marketing. Zuvor verantwortete er die Marken- und Sponsoringstrategie bei Interwetten als Geschäftsführer für den Fokusmarkt Deutschland sowie als Head of Brand Experience für die Gruppe. Außerdem war er maßgeblich für den Aufbau einer Social Media Beratung mit 130 Mitarbeiter:innen an drei Standorten (München, Zürich und Shanghai) verantwortlich. Seine Schwerpunkte: die Verbindung von kreativem Storytelling mit performanten Strategien sowie die Entwicklung nachhaltiger Markenkommunikation im digitalen Raum. Max steht regelmäßig auf Bühnen wie dem SPOBIS und wurde 2023 als einer der „40 under 40“ im Sportsbusiness ausgezeichnet.

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