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„Corporate Education Will Never Return To The Classroom.“

So lauten viele Aussagen. Damit beschwören einige in Artikeln und Social-Media-Beiträgen bereits den Untergang von Präsenztrainings in der beruflichen Weiterbildung. Aber bleibt Weiterbildung jetzt tatsächlich für immer online? Und ist das gut so?

Es wurde sicher Zeit, dass MitarbeiterInnen und Unternehmen ihre Vorbehalte gegenüber Web-Konferenzen, Webinaren und der Arbeit aus dem Homeoffice abbauen. Schließlich gibt es inzwischen fantastische Tools, die unterstützen und uns die digitale Kommunikation einfach und methodisch abwechslungsreich ermöglichen. Digitale Whiteboards oder virtuelle Gruppenräume sind nur zwei der zahlreichen Tools, die ich hier beispielhaft erwähnen möchte.

Jeder Trend erzeugt einen Gegentrend

Es gibt aber auch eine Kehrseite: Während die einen die Beschleunigung des Digitalen feiern, hoffen andere, die schon mit der Einrichtung des heimischen Arbeitsplatzes überfordert waren, dass bald alles wieder „normal“ wird. Die Wahrheit und die Zukunft liegen sicher – wie so oft – irgendwo dazwischen.

Bei der beruflichen Weiterbildung geht es im Kern häufig um Verhaltensänderungen im Bereich Kommunikation und Zusammenarbeit. Beides Gebiete, die soziale Interaktion zwischen der Trainerin oder dem Trainer und der Gruppe brauchen, weil die ein wesentlicher Bestandteil für den Erfolg solcher kompetenzbildenden Maßnahmen ist. Deshalb sollten wir die Möglichkeiten, die wir heute im virtuellen Raum haben, schätzen. Bei aller Euphorie aber die Faktoren nicht aus den Augen verlieren, die Präsenztrainings unersetzbar machen.

4 gute Gründe für Präsenztrainings

1. Kommunikation erfolgt zum größten Teil nonverbal

Wenn Menschen miteinander kommunizieren, laufen Schätzungen zufolge zwischen 65 und 90 Prozent auf nonverbaler Ebene ab.

Nicht umsonst heißt es: „Wir verstehen uns ohne Worte“. Es ist ein riesiger Unterschied, ob wir einem Menschen live und in Farbe gegenüberstehen und so in der Lage sind, alle verbalen und nonverbalen Signale zu empfangen, oder ob wir nur einen kleinen Ausschnitt auf dem Bildschirm sehen. Die meist unbewusst wahrgenommenen nonverbalen Signale helfen uns, Kommunikation effizienter und weniger fehleranfällig zu machen. Fallen diese Signale zum großen Teil weg, da wir beispielsweise nur die Mimik erkennen können, fällt es uns viel schwerer den anderen einzuschätzen. Läuft parallel im Vollbild eine Präsentation, entgehen uns manche Reaktionen sogar vollständig. Gerade, wenn man sich vorher noch nie begegnet ist, führt das zu Unsicherheit unter den Gesprächspartnern.

EXTRA: Digitalisierung: Ist Face-to-Face-Kommunikation unnötig?

In Präsenztrainings spürt eine erfahrene Trainingsleitung, aufgrund nonverbaler Signale, sehr schnell, ob es eine Störung in der Gruppe gibt. Dann kann er oder sie sofort reagieren. Vielleicht herrscht aber auch nur Unklarheit bezüglich des Inhalts, oder die Teilnehmer brauchen einfach eine Pause, um danach konzentriert weiter zu machen. Solche Details lassen sich gemeinsam in einem Raum viel leichter entdecken.

2. Lernen findet über Erleben statt

Das „Learning by doing“ funktioniert hat sich schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts durch John Dewey und Co. verbreitet. Das Konzept reicht vermutlich sogar bis zu Aristoteles zurück. Es scheint also ein zeitloses Konzept zu sein. Will ich mir Kenntnisse im Digitalen aneignen, sollte ich mich auch in den entsprechenden Räumen bewegen, das ist klar. Geht es allerdings um andere Inhalte, können sie in Präsenztrainings gemeinsam über persönlichen Austausch, Gruppenarbeiten und Rollenspiele erarbeitet werden. Der Seminarraum bietet einen geschützten Rahmen, in dem neues Verhalten erprobt werden kann und unmittelbares Feedback erfolgt.

Das Erspüren verschiedener Arten von Kommunikation am eigenen Leib in einer Partnerübung bleibt langfristig in Erinnerung. Durch diese emotionale und körperliche Erfahrung, lässt sich Wissen nachhaltig verankern. Diese Möglichkeit der zwischenmenschlichen Interaktion, des emotionalen Supports und der Gruppendynamik fehlt in Online-Trainings oder ist nur sehr schwer herzustellen.

Räumliche Distanz schafft auch Distanz in der Interaktion. Dadurch sind Teilnehmer deutlich gehemmter, sich im virtuellen Raum wirklich auszuprobieren.

3. Physische Präsenz = kognitive Präsenz

Außerdem ist es wesentlich ermüdender, einem Online-Training zu folgen oder sich daran aktiv zu beteiligen. Deshalb entgehen uns oft wichtige Informationen, weil wir nicht mit voller Konzentration dabei sind. Und wir lassen uns leicht ablenken: der Blick aufs Handy oder ein Gang zur Kaffeemaschine… Je größer die Gruppe, desto leichter kann sich der einzelne Teilnehmer verstecken und über Stummschaltung und ausgeschaltete Kamera entziehen. Das bestätigen auch Studien zum Thema virtuelle Meetings:

Über die Hälfte der Befragten gibt an, bei Online-Meetings weniger konzentriert zu sein. Ähnlich viele (56 Prozent) geben an, sich gar nicht erst zu beteiligen.

Der Seminarraum dagegen ist ein kontrollierter Raum: Wir sind den Blicken anderer ausgesetzt, also verhalten wir uns allen Anwesenden gegenüber respektvoll. Dazu kommt die physische Dynamik, die hilft, Aufmerksamkeit aufrecht zu erhalten. Der Trainer oder die Trainerin ist im besten Fall permanent in Bewegung, moderiert stehend oder nutzt verschiedene räumlich präsente Medien, wie ein Flipchart oder eine Metaplanwand. Außerdem kann er oder sie Ortswechsel und Bewegung für die Teilnehmer einbauen.

Nach jedem Ortswechsel, vielleicht sogar einer kleinen Einheit im Freien, kehren alle motivierter und frischer zurück. Nur so ist es überhaupt möglich, acht Stunden an einem Tag miteinander zu arbeiten. Im virtuellen Raum lässt sich Konzentration erfahrungsgemäß kaum länger als vier Stunden aufrechterhalten.

4. Raum für informelles Lernen und Networking

Die Bedeutung von Pausen sollten wir nie unterschätzen. Sie dienen natürlich der Regeneration, aber auch die Weiterbildung läuft währenddessen weiter: Indem sich Teilnehmer untereinander bei einem Kaffee austauschen. So stellen sie oft fest, dass sie mit Problemen nicht alleine sind oder mit den gleichen Herausforderungen kämpfen, und können sich untereinander vernetzen.

Außerdem trauen sie sich in Pausen, abseits der großen Gruppe, persönlichere Fragen zu stellen, auf die man dann individuell oder später – ohne Namen zu nennen – in der großen Gruppe eingehen kann. Durch die emotionale Nähe, die in Pausen entsteht, öffnen sich Menschen schneller und profitieren allein durch die Anwesenheit der anderen Teilnehmer.

Erfolgreiche virtuelle Trainings – Extratipps

Vermutlich wird es in Zukunft vermehrt Mischformen in der Weiterbildung geben, und wir werden fröhlich zwischen On- und Offline-Formaten hin und her springen. Damit wir auch bei den virtuellen Trainings von den Vorteilen des Präsenztrainings profitieren, hier noch ein paar Extratipps:

  • Mit geschickter Moderation und einem „Mehr“ an Kommunikation kann man die TeilnehmerInnen auch in virtuellen Räumen aktivieren und ein Gruppengefühl erzeugen. Dabei ist es wichtig, immer wieder Prozessfragen zu stellen, wie „Ist das so in Ordnung für alle?“ oder „Habe ich die Aufgabe verständlich erklärt?“. Nur so gelingt es, wirklich alle TeilnehmerInnen mitzunehmen.
  • Eine kleine Vorstellungsrunde mit Videobild und persönlichen, vielleicht auch ungewöhnlichen Fragen, wie „Wo sitzt du gerade und was siehst du, wenn du nach links schaust?“, schaffen Nähe trotz räumlicher Distanz.
  • Tools wie Skype for Business, Zoom und Microsoft Teams bieten die Möglichkeit, Inhalte über Powerpoint oder Whiteboards zu visualisieren und interaktiv mit den TeilnehmerInnen zu gestalten. So trägt jeder aktiv zu den Ergebnissen bei.
  • Am besten folgt jedem Themeninput eine interaktive Sequenz. Außerdem muss allen immer klar sein, wie die nächsten Schritte und die genaue Arbeitsanweisung aussehen. Ohne Orientierung sind die Teilnehmer nur noch „lost in (cyber)space“.
  • In so genannten Breakout Rooms können sich Teilnehmer auch virtuell als kleine Gruppe treffen. Das fördert einen aktiven und vertrauensvollen Austausch und ermöglicht die Arbeit in kleineren Gruppen, die nachher wieder zusammengeführt werden können.
  • Klare Regeln sind wichtig, damit nicht alles durcheinandergeht. Pünktlichkeit nach Pausen und aktive Teilnahme sind für mich die wichtigsten. Für Fragen und Wortbeiträge ist der Chat-Bereich ein nützliches Tool. Bei Gruppen über zehn TeilnehmerInnen sollte möglichst ein zweiter Moderator unterstützen. Dieser kann den Chatverlauf im Blick behalten und die Reaktionen der TeilnehmerInnen beobachten, während man sich selbst auf die Vermittlung der Inhalte konzentriert.

Lena Weißenfels

Lena Weißenfels ist Trainerin aus Leidenschaft. Sie weiß, dass Kommunikation die Basis jeder wertschätzenden und wertschöpfenden Zusammenarbeit darstellt. Früher war für sie der Auftritt vor Schulkameraden und Kommilitoninnen ein Albtraum. Heute trainiert, berät und coacht die Diplompädagogin große Gruppen und Führungskräfte aus dem Maschinenbau, dem Einzelhandel, aus Bundesministerien und Universitäten darin, besser zu kommunizieren und zusammenzuarbeiten. Sie moderiert verschiedene Workshop-Formate von der Zielentwicklung bis zum Schnittstellenmanagement, um die Zusammenarbeit in Organisationen wertvoll zu gestalten.

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